Chronisch erschöpft

Überleben im Käfig

Frauke Bielefeldt leidet seit 15 Jahren am chronischen Erschöpfungssyndrom. Sie sagt, dass sie sich oft wie ein Schmetterling in einem Käfig fühle.
„Es vergeht kaum eine Woche ohne ein Zusatzproblem.“ (Symbolbild)
„Ich kenne diese Zeiten, wo ich an Gott verzweifeln könnte.“ (Symbolbild)
Frauke Bielefeldt hielt ihre Erfahrungen in einem Ratgeber-Buch fest.

Der Käfig heisst „CFS“: chronisches Erschöpfungssyndrom. Bis zu meinem siebzehnten Lebensjahr war alles ganz normal. Dann kam Ostern 1990. Ich bekam eine heftige Grippe. Wochenlang ging es auf und ab; immer, wenn ich meinte, bald auskuriert zu sein, kam eine neue Welle von leichtem Fieber, geschwollenen Lymphknoten, Halsschmerzen und bleierner Erschöpfung. Verschiedene Verdachte wurden nicht bestätigt, und so blieb nur die vage Aussage, dass mit meinem Immunsystem etwas nicht in Ordnung sei. Die verbleibenden anderthalb Schuljahre überstand ich, indem ich nachmittags und am Wochenende komplett im Bett lag. So konnte ich meine Fehlzeiten an den Vormittagen gerade so in Grenzen halten, dass ich mein Abitur machen durfte.

Ich lernte mit meinem eingeschränkten Rhythmus halbwegs zurechtzukommen und begann ein Studium. Doch am Ende des ersten Studienjahres passierte die zweite Katastrophe: Bei einem Urlaub in der Tschechei holte ich mir Insektenstiche, die sich böse entzündeten. Es sah ganz nach einer Borreliose aus. Doch weil der Arzt die entsprechenden Werte im Blut damals nicht nachweisen konnte, bekam ich keine Behandlung.

Eingeschränktes Leben

In den Wochen danach wurde meine Erschöpfung deutlich schlimmer. Ich wandte mich an einen Spezialisten, und nach etlichen kostspieligen Blutuntersuchungen war ich endlich einen Schritt weiter: Mein Immunsystem bestand aus einem Durcheinander von zu hohen und zu niedrigen Werten. Dazu hatte ich doch eine Borreliose und man fand ein gefährliches Holzschutzmittel, das meine Eltern vor Jahren bei der Renovierung unseres Hauses verwendet hatten und das mich vergiftet hatte (PCP = Pentachlorphenol, in Deutschland seit 1989 verboten). Ich bekam über Monate hinweg verschiedene Infusionen und Medikamente verabreicht und man versicherte mir, dass es mir in einem halben Jahr wieder gut gehen würde. Und so stellte ich meine Urlaubs- und Studienpläne darauf ein.

Seitdem sind zehn Jahre vergangen, aber es geht mir kein bisschen besser. Stattdessen sind verschiedene Folgeprobleme dazu gekommen. Ich habe auf teilweise geradezu wundersame Weise mein Theologiestudium abschliessen können, aber kann ich nur ein paar Stunden in der Woche arbeiten. Jeden Tag brauche ich sehr viel mehr Schlaf als andere und dazu weitere Ruhephasen. Ich muss einen Rollstuhl benutzen, um länger als ein paar Minuten auf den Beinen sein zu können. Ausserdem habe ich unzählige grippale Infekte im Jahr und auch meine Schleimhäute und Sehnen entzünden sich häufig. Es vergeht kaum eine Woche ohne ein Zusatzproblem. Das ist alles nicht einfach.

Zwischen Fragen und Hoffen

Als das CFS bei mir ausbrach, war ich erst vor kurzem Christin geworden. Manche Menschen sagen, dass sie nicht an Gott glauben können, seit sie einen besonders schweren Schicksalsschlag verkraften mussten. Ich kenne diese Zeiten, wo ich an Gott verzweifeln könnte. Es gibt Momente, da erscheint mir der Glaube nicht als Hilfe, sondern als eine zusätzliche Last. Da wäre es mir fast lieber, ich wüsste nichts von diesem Gott, der mächtig sein soll und mich liebt – und trotzdem nicht eingreift in meine gesundheitliche Situation. Jedenfalls bis jetzt. Und doch ist Gott immer mehr für mich gewesen als der Ausputzer meines Lebens. Mehr und mehr lässt er mich das „Leben in Fülle“ erleben, das er jedem versprochen hat (Die Bibel, Johannes, Kapitel 10, Vers 10). Ihn zu kennen wiegt vieles auf. Ihn aufzugeben hiesse für mich, den Ast abzusägen, auf dem ich sitze. Krankheit kann uns vieles nehmen. Aber sie kann uns nicht unserer Chance berauben, mit Gott zu leben. Sein Kind bin und bleibe ich! Ein Schmetterling, der in einen Käfig gesperrt wird, ist von vielem abgeschnitten. Aber der Käfig kann ihm auch zur Klosterzelle werden – zu einem Ort, an dem der Herr des Himmels ihm auf besondere Weise begegnet. Das habe ich selbst oft erlebt.

In der Bibel entdecke ich immer wieder, wie offen „grosse“ Gottesmänner und -frauen mit Gott umgegangen sind. Gerade in den Psalmen finden sich alle Formen von Klagen und Gefühlsausbrüchen. Ich staune darüber, was sich diese Menschen herausnahmen gegenüber dem allmächtigen Gott, dem sie oft auf so atemberaubende Weise begegnet waren. Und immer wenn ich Zweifel hege, ob Gott wirklich zu Mitleid fähig ist, denke ich an den, in dem sich der verborgene Gott sich am deutlichsten gezeigt hat: in der Person von Jesus Christus. Ihn bezeichnet die Bibel nämlich nicht nur als „Gott“ und „Herrn“, sondern auch als Mann „voller Schmerzen und Krankheit“ (Die Bibel, Jesaja, Kapitel 53, Vers 3).

Warten auf Heilung

Warte ich auf Heilung? Natürlich. Schon zu Beginn meiner Krankheit rechnete ich fest damit. Obwohl ich damals noch nichts von göttlichen Heilungen gehört hatte, ging ich wie selbstverständlich davon aus, dass Gott meine Gebete erhören und mich gesund machen würde. Ich habe im Laufe der Jahre die verschiedensten Formen von Heilungsgebet erlebt. Meine Gemeinde bietet regelmässig das Gebet für Kranke an und wir erleben es immer wieder, dass Leute direkt oder nach einem anschliessenden Prozess gesund werden. Ich habe schon oft davon Gebrauch gemacht. Dennoch bin ich weiterhin krank und muss mit diesem Spannungsfeld leben lernen.

Gottes guter Plan

Ich bin überzeugt, dass Heilung eine der unmittelbarsten Arten ist, den Himmel heute schon erleben zu können. Was aber, wenn wir krank sind und Gott nicht heilt? Haben wir dann „Pech gehabt“? Nein, Gott hat noch unendlich viel mehr Möglichkeiten, uns zu segnen. Er hat immer auch noch einen guten Plan B in petto. Das, was wir ihn anfassen lassen, verwandelt er immer in irgendeiner Form zu Gold. Er öffnet immer neue Türen und führt uns in neue Räume, auch wenn wir in der Enge eines Krankheitskäfigs leben. Wenn wir also nicht wie gewünscht gesund werden, können wir auf diesen Plan B gespannt sein. Vielleicht ist dieser Plan sogar der grössere?

Was meine Zukunft auch bringen mag – eins weiss ich ganz sicher: Der Schmetterling wird eines Tages wieder fliegen! Dann wird es kein Leid und keine Schmerzen mehr geben. Auch für mich nicht. Der Apostel Paulus drückt es so aus: „Was wir jetzt leiden müssen, dauert nicht lange und ist leicht zu ertragen, wenn wir bedenken, welch unendliche, unvorstellbare Herrlichkeit uns erwartet. Deshalb lassen wir uns von dem, was uns zurzeit so sichtbar bedrängt, nicht ablenken, sondern wir richten unseren Blick auf Gottes neue Welt, auch wenn sie noch unsichtbar ist. Denn das Sichtbare vergeht, doch das Unsichtbare bleibt ewig“ (Die Bibel, 2. Korinther, Kapitel 4, Verse 17+18).

Frauke Bielefeldt ist evangelische Theologin und arbeitet als Referentin und freie Autorin. Mehr über ihr Leben mit der chronischen Krankheit „CFS“, erfahren Sie in ihrem aktuellen Ratgeber . „Wie ein Schmetterling im Käfig – Perspektiven für ein Leben mit Krankheit“ .

Autorin: Frauke Bielefeldt

Datum: 26.11.2007
Quelle: Neues Leben

Werbung
Livenet Service
Werbung