Echte Trauerarbeit

Uns traf der Blitz

Der Sänger Johannes Osswald
Helene Osswald, die vom Blitz erschlagen wurde.

Im “Trauermonat” November sind viele bewegt von der Trauer- und Verlusterfahrung, die der Sänger Herbert Grönemeyer in seinem Album “Mensch” verarbeitet hat. Auch der Christ und Sänger Johannes Osswald (27), der zur Zeit an einer Bibelschule studiert, hat seiner Trauer über den tragischen Tod seiner jungen Ehefrau (26) in einem Liederalbum Ausdruck verliehen (“Und der Schmerz regnet sich von der Seele”). Hier sein Bericht.

Im Sommer 1999 schien noch alles perfekt. Helene und ich waren gerade ein Jahr verheiratet, die Zukunft lag vor uns. Und wir hatten grosse Pläne. Wir wollten für drei Monate nach Nepal zu einem Missionseinsatz fliegen. Die Flugtickets waren schon längst gebucht. Vorher aber wollten wir noch Urlaub machen. Wir entschieden uns für eine Kurzreise nach Südtirol, eine zweitägige Bergtour. Unsere Berg-Euphorie war nicht zu bremsen, und die Kletterroute machte enormen Spass. Am zweiten Tag unserer Tour zogen dunkle Wolken auf, so dass wir einen Klettersteig ausliessen und schon nachmittags vom Berg abstiegen.

Der Abstieg in das Tief

Bei unserem Abstieg zurück zum Karerpass wunderten wir uns, dass immer noch einige Wanderer aufstiegen, obwohl bereits die ersten Regentropfen vom Himmel fielen. Wir zogen schon bald unsere Regenbekleidung über, weil es stärker zu regnen begann. Mittlerweile zogen von zwei Seiten dunkle Wolken auf, und Blitze zuckten vom Himmel. Blitz und Donner waren für uns noch nicht besorgniserregend. Die Zeit zwischen Blitz und Donner von etwa sechs bis zehn Sekunden (umgerechnet zwei bis drei Kilometer Gewitterentfernung) machte uns noch nicht nervös. Wir waren nur noch 20 bis 30 Minuten von der sicheren Paolinahütte mit dem Sessellift-Anschluss auf den Karerpass entfernt.

Ich bat Helene, für das letzte Wegstück das Tempo anzugeben und vorauszugehen. Nach kaum 20 Schritten zuckte vor uns ein blendend heller Blitz. Er traf Helene, schlug durch sie durch und streifte meinen Fuss. Ich war sofort bewusstlos. Als ich nach geraumer Zeit wieder zu mir kam, glaubte ich aus einem Alptraum erwacht zu sein. War es Tag oder war es Nacht? Wo war Helene? Schliesslich dämmerte mir in meiner Erinnerung der Augenblick des Blitzschlags. Ich wollte aufstehen und nach Helene schauen, aber mir versagten die Beine. Was war mit mir? Meine Beine waren wie gelähmt, schwer und pelzig.

Wo ist meine Frau?

Ich rief nach Helene, erhielt jedoch keine Antwort. Alles kam mir immer noch wie ein böser Traum vor. Dann hob mich ein Mann vorsichtig vom Boden auf, sogleich musste ich erbrechen. Er drehte meinen Kopf von Helene weg und versuchte mich wieder auf meine Beine zu stellen. Doch sie waren durch den Stromstoss des Blitzes wie gelähmt. Ich sah meinen nackten linken Fuss, der Verbrennungen erlitten hatte, und vor mir den zerfetzten Bergstiefel. “Ich bin doch nirgends heruntergefallen”, dachte ich. Der Mann versuchte mir mehrmals zu erklären, dass uns ein Blitz getroffen hat und er bereits mit seinem Handy Hilfe gerufen hätte. “Was ist mit meiner Frau?”, erkundigte ich mich sofort. “Wir haben sie versorgt”, bekam ich zur Antwort. Eigenartigerweise begnügte ich mich damit. Da kamen auch schon die Hubschrauber. Der Rettungsarzt gab mir eine Narkosespritze, und man flog mich auf die Intensivstation nach Bozen.

Dunkle Wolken

Meine erste Frage im Krankenhaus war: “Wo ist meine Frau, und wie geht es ihr?” Man antwortete mir, dass Helene in einem anderen Haus läge. Nach weiteren bohrenden Fragen sagten mir die Ärzte – in Sorge um meine Herzwerte –, dass Helene schwer verletzt in einer anderen Klinik läge und es ihr sehr schlecht gehe. Draussen gewitterte es immer noch. Nicht nur der Himmel über Bozen war mit dunklen Wolken verhangen, sondern auch mein persönlicher Lebenshimmel trübte sich langsam in ein tiefes Schwarz. Wie ging es Helene wirklich? Wie stark waren ihre Verbrennungen? Würde sie wieder völlig genesen? Ich flehte die ganze Nacht zu Gott mit der Bitte, Helene zu heilen.

Lange liess man mich im Ungewissen. Erst 24 Stunden nach dem Unglück teilte man mir mit, dass der Blitzschlag Helene sofort das Leben nahm. Das war (und ist) für mich ein unfassbarer Schock. Ich weinte nur noch und wollte alle Uhren der Welt zurückdrehen.

Gott: warum?

Der dunkelste Moment meines Lebens war hereingebrochen: Gott, warum? Warum hast du Helene schon zu dir geholt nach nur einem einzigen Jahr Ehe, wo wir deinen göttlichen Segen gemeinsam so konkret und intensiv erlebt haben? Warum hast du, Gott, mich nicht auch von dieser Welt zu dir geholt? Warum gerade Helene, wo ich immer wieder zu ihr gesagt hatte, dass ich ohne sie nicht leben könnte? Warum lässt du das zu?

Gottes Zusagen vertrauen

Mein Pastor besuchte mich im Krankenhaus und lenkte meinen Blick auf sensible, seelsorgerliche Weise mehr und mehr auf Gott: Bei ihm allein gibt es wahren Trost und reales Auffangen in solchem Leid. Wir beteten und redeten gemeinsam über Zusagen in der Bibel, in welchen Gott verspricht, den Schwachen, Niedergeschlagenen, Trauernden, Einsamen, Kranken, Verletzten, Witwen und Witwern nahe zu sein, sie in besonderer Weise zu segnen, sie zu tragen, wenn sie nicht mehr können, sie zu trösten, sie aufzurichten und ihnen neue Kraft zu geben. Ich verstand allerdings erst nach und nach, was diese Zusagen für mein Leben bedeuten. Einige Bibelstellen bewegen mich dabei bis zum heutigen Tag, so Psalm 39 und Psalm 40. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass für mich, für Helenes und meine Familie Hunderte von Christen bereits beteten, doch ich spürte es ganz real.

Keine Antworten

Trotzdem gab es für mich auch in den ganzen Monaten danach keine Antwort auf die mich immer wieder bedrängenden Warum-Fragen. Diese Fragen und auch viele Ängste begleiteten mich durch meinen Trauerprozess. Hoffnung gab mir Helene selbst: Vor ihrem Tod betonte sie immer wieder: “Ich habe keine Angst vor dem Tod, denn ich weiss, dass der himmlische Vater dann auf mich wartet!” Sie freute sich sehr darauf, einmal in seinem himmlischen Reich zu sein. Bis auf den heutigen Tag war in mir kein verbitterter oder gar auflehnender Gedanke gegen Gott. Im Gegenteil, es gab seit diesem Erleben seiner nicht in Worte zu fassenden Nähe erst recht keine Zweifel mehr an seiner Existenz und an seinem für uns doch so unbegreiflichen Handeln. Ich erlebte, was es heisst: “Gott ist in meiner Schwachheit mächtig!”

"...und der Schmerz regnet sich von der Seele"

Die CD mit dem Titel "...und der Schmerz regnet sich von der Seele"hat Osswald gemeinsam mit ein paar auch Helene nahestenden Freunden produzierte. Darauf wird - teils mit eigenen Texten und Kompositionen ("Letzter Weg", "Lied am Grab", "Lass mich nicht mehr los!", teils mit bekannten Werken ("Jesu, meine Freude", "Schöpfer aller Himmel") - ein Bogen gespannt von Verzweiflung ("Sag mir: warum") bis "Hoffnungsschimmer" ("Das Leben geht weiter, aber es ist anders geworden", heisst es dazu im Begleittext). Ausserdem will Osswald anderen, "die trauern oder in einer Lebenskrise sind", auch in Vorträgen von seinen ermutigenden Erfahrungen mit Gott berichten.

Als "echte Trauerarbeit" bezeichnet Johannes Osswald die Arbeit an dieser CD: "Als sie aufgenommen war, habe ich auch wieder Spass daran gehabt, mich mit Freunden zu treffen oder ins Kino zu gehen." Und auch die Vorstellung, dass eine andere Beziehung möglich ist, war wieder denkbar.

Quellen: idea.de/Livenet

Datum: 18.11.2002

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