«Messies»

In der Küche standen 16 Flaschen Abwaschmittel

Helene Karrer aus Wallisellen lässt Parkplätze polizeilich sperren, um dort Container aufstellen zu können. Sie hat schon tonnenweise Material eingelagert oder entsorgt. Sorgsam begleitet sie Menschen, die sich von Vielem trennen wollen und müssen. Helene Karrer und ihr Mann Oski helfen Messies, sich wieder wohl zu fühlen.
Helene Karrer liegt daran, auch Messies dienen zu können.

«Es sind faszinierende Persönlichkeiten. Messies interessieren sich für vieles, sammeln viel und bringen diese Fülle dann nicht unter einen Hut», erzählt die 55-jährige Zürcher Geschäftsfrau. «Dann häufen sie Material an in ihren Wohnungen, zum Beispiel Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Briefe, Nippes, Kleider, Schuhe, Tüten und Taschen oder auch Esswaren.»

In der Küche einer ledigen Frau fanden sich 16 Flaschen Abwaschmittel, die meisten original verpackt. «Was genau der Auslöser für dieses Verhalten ist, weiss niemand», erklärt Helene Karrer. Oft habe es mit Verlusterlebnissen zu tun, mit seelischen Schmerzen, die durch Material zugedeckt werden.

Dabei müsse eine Wohnung nicht schmutzig und von Ungeziefer bevölkert sein. «Messie ist nicht gleichbedeutend mit verwahrlost», erklärt die Fachfrau. Es gebe Messies, die ausgesprochen pingelig auf Sauberkeit achten. Nur fehle ihnen dann die Zeit für anderes.

Mutter und Geschäftsfrau

Als junge Mutter von zwei Kindern gründete Helene Karrer 1995 die Firma Fidato. Diese bietet Non-Profit-Unternehmen und KMU Buchführung und Sekretariatsarbeiten an. Die Kauffrau und Hauswirtschaftliche Betriebsleiterin HHF führte von zuhause aus jahrelang das Sekretariat ihres Berufsverbands und anderer Dachverbände aus der Berufsbildung.

Seit 2006 organisiert sie als Chefexpertin die Abschlussprüfung von Lernenden. Sie bildete sich weiter in Öffentlichkeitsarbeit, Erwachsenenbildung und Coaching. Als Selbständige hatte sie sich vor neun Jahren eben ein grosszügiges Büro in Wallisellen eingerichtet, als ein Personalwechsel die Zusammenarbeit mit ihrem grössten Kunden massiv verschlechterte. Wegen Mobbing kündigte sie schliesslich das Mandat. Nun fehlten ihr die Einkünfte, um die Arbeitsräume zu finanzieren. Dies einfach ihrem Mann Oski zu überlassen, befriedigte sie nicht.

Menschen dienen

Einst hatte Helene Karrer Grosshaushalte organisiert. Doch den Menschen zu dienen, lag ihr als Christin besonders am Herzen. «Soziales und Wirtschaft haben mich schon immer interessiert», erklärt sie. Ein Zeitungsartikel machte sie dann auf die Probleme von Messies aufmerksam und führte dazu, dass sie 2004 die «homeManagement GmbH» gründete, um solchen Menschen Hilfe anzubieten.

Sie gehört damit zu den ersten Dienstleistern in der Schweiz, die sich dieser Aufgabe annehmen. Zahlreiche Medien haben seither über ihr Engagement berichtet. Trotzdem setzt sie nicht einfach ihre sechs Teilzeitangestellten ein, sondern packt bei Wohnungsräumungen selber mit an.

Klienten respektvoll behandeln

«Die Mobbingerfahrung war hart für mich, aber ich habe viel gelernt», hält Helene Karrer fest. Mobbing erleben zu müssen habe sie abgehärtet und gelehrt, dass es nicht so wichtig ist, was andere über sie denken: «Ich muss verantworten können, was ich mache.»

Der Erfolg ihrer Arbeit gibt ihr recht. Für Helene Karrer ist es sehr wichtig, dass Klienten respektvoll behandelt werden. Sie stellt nur Leute an, die selber schon Krisen durchlebt haben. «Man muss im Tempo der Messies vorwärtsgehen. Druck nützt nichts, ihre Seele muss mitkommen», weiss sie.

Der Leidensdruck, niemanden in die Wohnung lassen zu können oder eine Kündigungsandrohung führen dazu, dass Betroffene sich melden. «Ein Mann kaufte teure Velos, um damit ein Geschäft zu eröffnen. Doch dazu ist es nicht gekommen. Die Velos lagern nun bei ihm zuhause.» Seine Frau verlangte schliesslich eine Lösung. Oft sind es auch Psychiater oder Sozialämter, welche die Adresse von Helene Karrer vermitteln.

Neue Perspektive

«Es braucht sehr viel Energie, mit Messies zu arbeiten», so Helene Karrer, «vollamtlich kann man das nicht tun.» Manchmal schickt sie ein Gebet zum Himmel, wenn sie eine Wohnung betritt. Sie erlebt immer wieder, dass sie den richtigen Ton trifft und die nötige Geduld aufbringt, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen.

Seit ihr 63-jähriger Mann pensioniert ist, unterstützt er sie im Marketing und bei Räumungen. Daneben entlasten Karrers einen Unternehmer bei speziellen Anlässen im administrativen Bereich. Das Ehepaar tankt Kraft durch seinen Glauben und besucht Gottesdienste im ICF Zürich, wo ihr 30-jähriger Sohn Michael angestellt ist.

Es freut sich an den drei Enkelkindern von Tochter Susanne, die in den USA lebt. Und es zieht sich gerne ins Bündnerland zurück, wo die Beiden herkommen. Inmitten von Weinbergen verbringen sie Arbeits- und Ruhezeiten und geniessen auch die neue Phase ihrer Ehe.

Weniger Unordnung

Helene Karrer hat den Verband «lessmess» (weniger Unordnung) mitbegründet, der über Verhaltensmuster von Messies informiert. Das Verhalten selbst wird nicht als eigene Krankheit definiert, kann aber die Folge einer Krankheit sein. Die Antriebslosigkeit depressiver Menschen kann zum Beispiel dazu führen. Helene Karrers Firma homeManagement GmbH bietet Dienstleistungen an für die Haushaltführung. Durch Kurse und Einzelberatungen unterstützt sie Personen und Institution in der ganzen Schweiz.

Datum: 20.10.2011

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