Zum 150. Geburtstag: Vincent van Gogh – der unbekannte Laienprediger

Vincent van Gogh: als Maler berühmt - als Laienprediger unbekannt.

Vincent van Gogh ist aus der Kunstgeschichte nicht wegzudenken. Am 30. März jährte sich sein 150. Geburtstag. In der Kirchengeschichte jedoch fand der „Franziskus der belgischen Bergleute“ bisher kaum Beachtung.

Schon während seines ersten London-Aufenthaltes hatte Vincent die Gottesdienste in der methodistischen Kirche von Isleworth besucht. Die Predigten von Reverend Jones zogen ihn an. Jetzt schrieb er ihm und kündigte einen neuen Besuch an. Er wusste sich berufen, Gott zu dienen und hoffte, Pastor Jones könnte ihm eine Tätigkeit vermitteln. Der bot ihm tatsächlich eine Stelle in der Schule seiner Gemeinde an. Der begabte junge Holländer sollte dort unterrichten und gleichzeitig zum Laienprediger ausgebildet werden. Vincent schien am Ziel seiner Hoffnungen zu sein. Seinem Bruder Theo schrieb er von seiner Arbeit in den Vorstädten Londons. Er sei befriedigt, jetzt einen Beruf „zwischen Pastor und Missionar“ gefunden zu haben.

Es war bei den Methodisten üblich, bewährte Mitarbeiter hauptamtlich anzustellen und zu ordinieren. Das schien die Perspektive des 22-jährigen Vincent zu sein, der in der Gemeindeschule arme Kinder unterrichtete und Zeit zum Studium, zum Beten und zur gewissenhaften Ausarbeitung seiner Predigten hatte. „Man fühlt sich geborgen, wenn man in der Bibel liest“, schrieb er seinem Bruder befriedigt. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit Gott spreche. Ich bin noch weit entfernt von dem Ziel, das ich erreichen möchte, aber mit Gottes Hilfe wird es mir gelingen.“ Sein Ziel war „ein geheiligtes Leben“. Und in hoffnungsvoller Gewissheit fügte er hinzu: „Ich glaube, dass der Herr mich aufgenommen hat, mit allen meinen Fehlern und Mängeln.“

Die Arbeit bei den Methodisten

Vincent wuchs in die Arbeit der Gemeinde hinein. Er machte Hausbesuche, um Kranke zu trösten und Traurige durch Wort und Gebet zu ermutigen; er predigte aber auch schon. Seinem Bruder Theo teilte er im Oktober 1876 mit, er habe in einer Methodistenkirche in Richmond über das Jesus-Wort gepredigt: „Der Geist des Herrn ist bei mir, weil er mich gesalbt hat, zu predigen das Evangelium den Armen“ (Lukas 4,18). Er wird kaum geahnt haben, dass John Wesley 1739 seine erste Predigt auf freiem Felde vor Kohlenarbeitern bei Kingswood gerade über dieses Wort gehalten hatte. Den Armen die Botschaft der Erlösung zu verkündigen war methodistische Theologie und Praxis. Und das passte, wie sich noch deutlicher zeigen sollte, zu Vincent van Gogh. In Richmond, wo er die Predigt gehalten hatte, war damals schon ein berühmtes methodistisches College. Dietrich Bonhoeffer hatte es später besucht und war beeindruckt.

Die methodistische Arbeit unter der Leitung von Reverend Jones war in dem Bezirk Isleworth noch jung. Erst ein Jahr vor der Ankunft van Goghs war die Kirche gebaut worden. Vincent nahm 1876 am Jahresfest teil, das typisch methodistisch gefeiert wurde: Dem Gottesdienst am Sonntag folgte am Montag ein Liebesfest als Agape. Sein Hinweis, die Feier habe bis tief in die Nacht gedauert, lässt darauf schliessen, dass das von John Wesley für seine Gemeinden mit neuem Leben gefüllte Stundengebet Vigil, also die „Nachtwachen“, als „Wachnacht“ mit Gesängen, Erfahrungsberichten und Gebeten gefeiert wurde, um Gott zu danken.

Vincent war rundum zufrieden. Er sandte seinem Bruder Briefe mit persönlichen Ermahnungen und mit Tipps, welche Kapitel aus der Bibel er lesen solle; dazu auch diese und jene Predigt, die er ausgearbeitet hatte. Einmal predigte er in Isleworth, dann in Richmond, dann wieder in Petersham oder in Turnham Green. Er muss die schlichten Versammlungshäuser dieses Bezirks geliebt haben, sonst hätte er diese Kapellen kaum gezeichnet, um sie seinem Bruder zu schicken. Kam er einmal nach London, dann besuchte er Gottesdienste verschiedener Konfessionen, um neue Erfahrungen zu sammeln. Gelegentlich nahm er auch an Versammlungen der Heilsarmee teil. Einmal war er von der Predigt so ergriffen, dass er seine Handschuhe und seine goldene Uhr in die Kollekte legte. Das war damals in England nicht ungewöhnlich.

Vincent als Missionar unter Bergarbeitern?

Vincent war fest entschlossen, sich als Prediger in den kirchlichen Dienst zu stellen. „Ich würde sehr unglücklich werden, wenn ich nicht das Evangelium verkündigen dürfte“, schrieb er seinem Bruder Theo in Anlehnung an ein bekanntes Paulus-Wort. Reverend Jones bemühte sich im Herbst 1876 um eine Stelle für Vincent unter englischen Bergarbeitern. Das war die Arbeit, zu der er sich hingezogen fühlte. Er wollte den Ärmsten ihre Würde zeigen, die sie bei Gott haben. Der Plan schlug fehl. Der Laienprediger Vincent von Gogh wurde nicht eingestellt, weil er für eine so schwere Aufgabe noch zu jung sei.

Wieder in Holland

Vincent kehrte in die Heimat zurück. Sein Vater wollte ihm ein Theologie-Studium an der Universität Leyden ermöglichen. Der Plan scheiterte. Kurz vor der Aufnahmeeprüfung brach Vincent die Vorbereitungen für die Universität ab. Reverend Jones aus Isleworth war mit ihm im Kontakt geblieben. Der begabte junge Mann lag ihm am Herzen. Darum war er wieder bemüht, ihm zu helfen. Er reiste nach Holland und besuchte ihn in seinem Elternhaus in Etten, wo Vincents Vater Theodorus van Gogh als reformierter Pfarrer wirkte. Jones wusste sich für Vincent mitverantwortlich. Darum beriet der methodistische Pastor mit den reformierten Eltern über die nächsten Schritte für den eigenwilligen Vincent. Er schlug vor, Vincent solle in Brüssel ein Seminar zur Ausbildung von Evangelisten besuchen. Kurzentschlossen reisten Pastor Jones, Theodorus van Gogh und sein Sohn Vincent nach Brüssel.

Es dauerte nicht lange, bis Vincent unter den Bergarbeitern der Borinage in Südbelgien tätig wurde. Man könnte seinen aufopferungsvollen Einsatz mit der Bezeichnung „Arbeiterpriester“ kennzeichnen. Die einfachen Bergarbeiterfamilien mochten ihn, aber die Brüsseler Missionsleitung wollte keine aufmüpfigen Arbeiterpriester, sondern wortgewaltige Evangelisten. Daran scheiterte er. Er bekam keine dauerhafte Anstellung und musste sich notgedrungen einer anderen Berufung zuwenden. Was für die Menschen in der Borinage tragisch war, endete für die Kunstwelt als ein Glücksfall. Die Karriere als Maler konnte beginnen.

Autor: Karl Heinz Voigt

Datum: 04.04.2003
Quelle: APD

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