Astrid Eichler

«Es muss was anderes geben» – jenseits von Singlefrust und Eheglück

Pfarrerin Astrid Eichler hat sich für ein Leben als Single entschieden. Bewusst. Doch die meisten Singles sind eher unfreiwillig allein. Viele warten Jahre oder auch Jahrzehnte auf den richtigen Partner. Die Ehe verkörpert für die meisten immer noch das Lebensideal Nr. 1. Doch vielleicht gibt es jenseits von Singlefrust und Eheglück auch noch andere Perspektiven? Im Interview sprach Astrid Eichler über Risiken und (positive) Nebenwirkungen eines „anderen Standes“.
Pfarrerin Astrid Eichler

Frau Eichler, nach dem biblischen Menschenbild ist der Mensch für Gemeinschaft geschaffen. Kann man auch als Single erfüllt leben?
Ja, man kann auch als Single erfüllt leben! Sonst hätten die vielen Singles heute nur wenige Lebensperspektiven. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ – dieser Satz aus dem 1. Mosebuch gilt natürlich auch für Singles. Aber deswegen muss die Ehe ist nicht der einzige Ausweg sein. Wenn wir von einem biblischen Menschenbild reden, sollten wir darauf achten, dass wir es nicht zu sehr verkürzen. Der oben erwähnte Satz wird überwiegend auf die Ehe als Lebensform bezogen.

Das ist sicher nicht falsch, aber nicht alles, wenn man den Gesamtzusammenhang betrachtet. Im Alten Testament ist ein Leben ohne eine Ehe undenkbar. Aber im Neuen Testament gibt es auf einmal auch andere Möglichkeiten. Jesus brach mit vielen Konventionen seiner Zeit: Er heilt Kranke am Sabbat, befreit Besessene, er vergibt Schuld, er hat Gemeinschaft mit Leuten, die unmöglich sind. Und er spricht von einer neuen Lebensform im Reich Gottes: „Was ich jetzt sage, können nicht alle verstehen, sondern nur die, denen Gott das Verständnis gegeben hat. Es gibt verschiedene Gründe, warum jemand nicht heiratet... andere verzichten von sich aus auf die Ehe, weil sie ganz davon in Anspruch genommen sind, dass Gott jetzt seine Herrschaft aufrichtet. Das sage ich für die, die es verstehen können.“ Nachzulesen im Matthäusevangelium, 19. Kapitel.

Darüber lohnt es sich nachzudenken. Ebenso über das Wort von Paulus, der Ehelosigkeit im 1. Brief an die Korinther als Charisma bezeichnet. Diese Aussagen haben im Protestantismus heute kein großes Gewicht mehr. Ich finde das schade; da ist uns einiges verloren gegangen, was echte Chancen birgt. Nicht im Sinne einer schnellen Antwort auf die Lebensnöte von Singles. Aber wir sollten dieses ganz Andere wieder als eine Möglichkeit in den Blick nehmen.

In christlichen Kreisen gibt es ein eklatantes Missverhältnis zwischen Männern und Frauen. Viele Frauen finden einfach keinen Partner aus dem einfachen Grund, dass Männer in christlichen Gemeinden unterrepräsentiert sind – zumindest als Singles. Wie ist dieser Problematik zu begegnen? Und wie begegnet man dem Frust, der viele jüngere Frauen irgendwann einholt?
Nach meiner Erfahrung ist das Verhältnis von Männern und Frauen in der Regel irgendwo bei 2:3 angesiedelt, zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer. Allerdings herrscht unter Singles ein noch stärkeres Missverhältnis vor. Auf Tagungen für Singles, die ich leitete, lag das Verhältnis auch schon mal bei 1:10; wenn es gut war, bei 1:5. Die Ursachen dafür mögen vielfältig sein und es wäre interessant, dieser Frage einmal nachzugehen. Die Antworten könnten für unsere gemeindlich-missionarische Arbeit durchaus Folgen haben.

Aber zuerst einmal muss man die Tatsache dieses Missverhältnisses sehen. Und wir müssen damit konstruktiv umgehen. Im Klartext heißt das, dass die Gebete von vielen christlichen Frauen um christliche Ehemänner sich nicht erfüllen können, weil ganz einfach die Männer fehlen. Bei Gott ist natürlich kein Ding unmöglich, aber ich halte auch sehr viel von einem gesunden Realismus und finde es einfach tragisch, wenn unverheiratete Frauen ihr Leben in der Hoffnung auf einen Mann leben, den es nicht gibt …

Dafür ist das Leben zu kostbar und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gott noch ganz andere Ideen hat, Leben zur Erfüllung zu bringen als durch ein Ehe. Ich will hier auf keinen Fall die Ehe schlecht reden. Die Ehe ist eine geniale Idee Gottes, aber sie ist nicht die einzige Idee. Wir sollten diese Fixierung auf einen Partner loslassen. Aber natürlich kann man das nicht mal so in einem halben Satz propagieren, dazu braucht es mehr als kurze und einfache Antworten.

Welche biblischen Single-Vorbilder gibt es? Sind diese Vorbilder für moderne Christen im 21. Jahrhundert noch relevant?
Das beste und grösste Single-Vorbild ist Jesus selbst und er ist für moderne Christen im 21. Jahrhundert auf jeden Fall noch relevant. Johannes der Täufer ist vielleicht nicht so anziehend. Aber niemand wird abstreiten, dass sein Leben ein Leben war, das erfüllt war. Paulus habe ich schon erwähnt. Ich habe mich mit dieser Frage nie intensiv beschäftigt, weil es für mich selbstverständlich ist, dass es in der Bibel solche Vorbilder gibt. Aus der Kirchengeschichte kann man auch einige Persönlichkeiten nehmen.

In der Bibel waren Singles eher die Ausnahme als die Regel. Heute nehmen Single-Haushalte immer mehr zu. Woran liegt es, dass in unserer Gesellschaft mehr und mehr Menschen als Single leben?
Die Überzahl der heutigen Single-Haushalte hat nichts mehr mit der Ehelosigkeit aus Jesu Zeit zu tun. Diese Tendenz, die wir in der Gesellschaft sehen, ist alarmierend. Ich glaube, dass der Individualismus unsere Gesellschaft auf eine Art und Weise prägt, die uns zunehmend krank macht. Schuld daran ist die kulturelle Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die uns alle fest im Griff hat. Die extreme Individualität ist aber auch das Ergebnis der zunehmenden Beziehungslosigkeit von Menschen, die nicht mehr in Familien aufwachsen, die keine Primärbeziehungen mehr haben, die immer mehr die Fähigkeit verlieren, in verbindlichen Beziehungen zu leben.

Es scheint mehr frustrierte Singles als glückliche zu geben. Worin liegen die Chancen dieses Lebensmodells? Worin die Herausforderungen?
Wenn wir nicht umschalten und auch andere Möglichkeiten der Lebensführung als gleichwertig betrachten, werden frustrierte Singles in der Mehrzahl bleiben. Gott bindet ein erfülltes Leben nicht an einen Ehepartner, sondern an Jesus. Die gute Nachricht ist, dass es immer mehr Singles gibt, die das entdecken und die aufstehen und sagen: „Es gibt eine Vision für mein Leben, unabhängig von Ehe oder Nicht- Ehe. Und ich will sie entdecken und leben.“ Wenn es stimmt, dass er gut ist, dass er für unser Leben gute Absichten hat, dann sind wir auf der falschen Fährte, wenn wir um jeden Preis einen Partner haben müssen.

Der Single-Stand birgt grosse Chancen: Freiheit, Unabhängigkeit in der Zeitgestaltung, Verantwortung nur für sich selber übernehmen zu müssen …

Die Herausforderungen sind ebenso vielfältig: Man muss alles allein planen und organisieren. Mit wem fährt man in den Urlaub, mit wem geht man ins Theater – solche Fragen gehören zum Alltag. Eine andere Frage, die sich sehr schmerzlich ins Herz bohren kann, ist die Frage nach der Zugehörigkeit. Da geht es um ganz tiefe menschliche Bedürfnisse und um Fragen, die eine Antwort brauchen.

Was sagen Sie christlichen Singles, die einen Partner suchen, aber keinen finden? Reichen Internetkontaktbörsen aus?
Internetkontaktbörsen sind eine gute Möglichkeit für Leute, die jemanden suchen, die beten und fragen ... Ich weiss von Paaren, die sich über das Internet gefunden haben. Aber das funktioniert nicht bei jedem. Letztlich sollte jeder für sich selber Gott fragen: „Was willst Du für mein Leben?“ Vielleicht auch mit Hilfe von seelsorgerlicher Begleitung. Ich möchte Singles Mut machen, sich auf die Wege Gottes einzulassen, sich von alten Vorstellungen zu verabschieden und aktiv, das Andere suchen. Hier möchte ich mich gern mit anderen auf den Weg machen und fragen und suchen, ob es dieses Andere gibt, und wie es aussehen könnte.

Wie gestalten Sie Ihr Single-Sein im Alltag? Welche Tipps können Sie anderen Singles geben?
Lebensgestaltung hängt nicht nur an meinem Single-Sein, sondern auch von vielen anderen Faktoren ab - der Art meiner Berufstätigkeit, von persönlichen Vorlieben, meinem Freundeskreis. Mein allgemeiner Rat an Singles ist der, das Leben nicht auf dem Bahnsteig zu verbringen. Das Leben ist zu schade dafür.

Welche Tipps geben Sie Gemeinden mit vielen Singles? Wären Single-Gemeinden eine Lösung?
Es ist wichtig, dass Gemeinden entdecken, dass es Singles gibt, und dass das ganz normale Menschen sind – keine Übriggebliebenen oder bedauernswerten Betreuungsfälle. Es ist auch falsch davon auszugehen, dass Singles viel in der Gemeinde mitarbeiten können, weil sie ja keine Familie haben. Das Klischee vom einsamen Single stimmt schon lange nicht mehr. Aber unsere Gemeinden sind weithin tief davon geprägt, dass Verheiratetsein normal ist. Hier ist es nötig, theologisch zu arbeiten, umzudenken, Neues zu entdecken.

Und dann wird es hoffentlich keine Single-Gemeinden geben. Gemeinde ist Gottes Gross-Familie, in der wir alle zusammen gehören. Singles brauchen die gemeindliche Gemeinschaft genauso wie Familien. Kleingruppen verschiedener Art können hier eine große Chance für praktisches gemeinschaftliches Leben sein.

Astrid Eichler ist Pfarrerin der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz und arbeitet als Gefängnis-Seelsorgerin an einer Berliner JVA. Sie ist Autorin des Buches Es muss was Anderes geben: Lebensperspektiven für Singles (R. Brockhaus-Verlag).

Kontakt: der-andere-stand@web.de

Datum: 31.05.2007
Quelle: come

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