Familie in der Schweiz hat sich tiefgreifend gewandelt

Familie
Pascal Couchepin

In der Schweiz hat sich das Familienbild stark verändert: Kinderlose Haushalte nehmen weiter zu, immer mehr Mütter sind erwerbstätig, und familienergänzende Kinderbetreuung wird vermehrt beansprucht. Dies hält der Familienbericht 2004 fest.

Bundesrat Pascal Couchepin stellte den Bericht, der nach 1982 erst zum zweiten Mal erstellt wurde, an seinem traditionellen Marsch auf die St. Petersinsel im Bielersee vor. Das Grundlagenwerk wurde von den Bundesämtern für Sozialversicherung und Statistik aufgrund einer Empfehlung des Ständerats erarbeitet.

Eine Million kinderlose Haushalte mehr

Heute gibt es laut dem Bericht ein Drittel mehr Haushalte als 1970. Diese Zunahme ist auf die kinderlosen Haushalte zurückzuführen, die sich fast verdoppelt haben. Die Anzahl der Haushalte mit Kindern ist dagegen annähernd konstant geblieben.

In den Familien leben im Schnitt knapp zwei Kinder, wobei verheiratete Eltern tendenziell mehr Kinder haben als Alleinerziehende und unverheiratete Paare. Nur knapp die Hälfte der verheirateten Eltern hat zwei Kinder, ein Drittel hat ein Kind. Die Hälfte der Alleinerziehenden und der Unverheirateten hat ein Kind.

Die Frauen werden tendenziell bei der Geburt des ersten Kindes immer älter: Sie sind 29 und die Männer 32 Jahre alt. Frauen haben durchschnittlich nur noch 1,4 Kinder (1970 waren es 2,1). Schon gut ein Fünftel der Frauen bleibt kinderlos. Drei Mal so viele Ehen wie 1970 werden geschieden.

Zwei von drei Frauen mit kleinen Kindern verdienen

Zentrale Ausgabenposten für Familien sind die Wohnungs- und die Kinderkosten. Familien leiden zudem unter einem überdurchschnittlichen Armutsrisiko. Dies gilt insbesondere für Alleinerziehende (23%) und für Paare mit zwei und mehr Kindern (20%).

Mütter sind heute häufiger erwerbstätig. Bei fast der Hälfte der Elternpaare arbeitet die Frau teilzeitlich. Zwei Drittel der Frauen mit kleinen Kindern gehen einem Verdienst nach. Erreichen die Kinder das Schulalter, sind es schon drei Viertel. Die Schweiz hat im europäischen Vergleich die höchste Frauenerwerbsquote!

Ein Drittel der Haushalte mit Kindern nimmt familienergänzende Kinderbetreuung in Anspruch. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Die Familienpolitik wird vorab von den Kantonen und Gemeinden geführt. Ein einheitliches Konzept sei nicht in Sicht, hält der Familienbericht 2004 fest.

Pro Familia: den Mehrgenerationenverbund sehen

In einem Kommentar begrüsst die Vereinigung Pro Familia den nach 22 Jahren erstmals wieder erschienenen Familienbericht und hofft, dass er „die die öffentliche Debatte zum Stellenwert der Familien in unserem Land vorantreiben“ wird. Sie kritisiert ihn aber auch deutlich. Insbesondere werde die Familienpolitik sehr eng definiert, nämlich auf die Beziehungen zwischen Eltern und abhängigen Kindern unter 25 Jahren.

Pro Familia Schweiz fordert jedoch eine Ausweitung auf die Generationenbeziehungen: „Diese Beziehungen sind Bestandteil einer zukunftsgerichteten Familienpolitik, innerhalb derer das Verständnis der Familie als Mehrgenerationenverbund eine wesentliche Rolle in der Ausgestaltung des Familienleistungsausgleichs spielt.“

Vorgeschlagene Massnahmen – bescheiden

Zweitens gehe der Familienbericht von einer „bedürfnisgerechten Familienpolitik“ aus. Dabei werde die „fehlende Verknüpfung zu den sehr gut präsentierten statistischen Angaben sichtbar“. So aber bestehe die Gefahr, dass „die Bedürfnisse von aussen definiert werden und nicht mit den Fakten kongruent sind.“ Somit seien auch die vorgeschlagenen Massnahmen in diesem 2. Bericht sehr bescheiden ausgefallen.

Staatliche Belastung der Familie ausgeklammert

Auch die Interessengemeinschaft kinderreicher Familien der Schweiz (IG „Familie 3plus“) begrüsst die Veröffentlichung des Berichts und hofft, dass daraus für die Familienpolitik des Bundes neue Anstösse entstehen. Sie bedauert jedoch, dass das Problem der wachsenden Belastung der Familien durch den Staat im Bericht keinen Niederschlag gefunden habe.

Die Verbrauchserhebung 2001 des Bundesamtes für Statistik habe doch gezeigt, dass sich die Transferausgaben (Sozialversicherungsbeiträge, übrige Versicherungsbeiträge, Steuern, Gebühren) für eine Familie mit drei Kindern zwischen 1990 und 2001 praktisch verdoppelt hätten.

Prämienbefreiung aufgehoben

Diese Kosten seien damit wesentlich stärker gewachsen, als die übrigen Konsumausgaben. Sie nennt als Beispiel das in die KVG-Reform aufgenommene Verbot der Krankenkassen-Prämienbefreiung ab dem dritten Kind, zumal die Prämienrückerstattung in den Kantonen nur ungenügend funktioniere.

Die Kritik der IG3plus gipfelt in der Feststellung: „Der Staat selber trägt in nicht zu vernachlässigender Weise zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor allem der kinderreichen Familien bei. Es wäre zu hoffen, dass diesem Thema in Zukunft seitens der Politik und der Verwaltung vermehrt selbstkritische Aufmerksamkeit geschenkt wird.“

IG3plus: Belastung reduzieren!

Die Interessengemeinschaft verlangt deshalb, „in die Liste der anvisierten familienpolitischen Massnahmen (Kapitel 5 des Familienberichts 2004) eine umfassende Untersuchung aufzunehmen, welche wissenschaftlich abklärt, in welcher Weise der Staat auf den verschiedenen Ebenen zur wachsenden wirtschaftlichen Belastung der Familie beiträgt.“ Eine solche Untersuchung müsse auch Lösungen vorschlagen, wie diese Belastung reduziert werden könne.

Bei der Präsentation des Familienberichts auf der Petersinsel forderte Bundesrat Pascal Couchepin sowohl eine höhere Kinderquote wie auch eine höhere Frauenarbeitsquote in der Schweiz. – Ein Kommentar dazu folgt.

Download Familienbericht:
www.bsv.admin.ch/fam/projekte/d/familienbericht.htm

Pro Familia:
www.profamilia.ch/d/profamilia.htm

IG3plus:
www.ig3plus.ch/

Familienpapier der SVP von 2001:
www.svp.ch/file/d2001.07Familienpapier.pdf

Quelle: SSF/Livenet

Datum: 02.09.2004
Autor: Fritz Imhof

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