Im Gegenwind des Lebens bestehen

Und zulegen

Was macht Kinder stark?
Sich selbst motivieren, nicht überschätzen: Prof. Astrid Schütz lehrt an der Technischen Universität Chemnitz.
Sich nicht unterkriegen lassen: Samuel Pfeifer bei seinem Vortrag in Lindau.
…auch wenn man ganz allein dasteht: Reinhard Deichgräber.

Was macht Kinder stark? Und wie schaffen es Menschen, an widrigen Umständen zu wachsen? Ein Kongress in Lindau am Bodensee befasste sich mit dem Geheimnis der inneren Widerstandskraft und dem gesunden Selbstwertgefühl.

Was ist das Geheimnis von Natascha Kampusch, die trotz einer achtjährigen Gefangenschaft in einem Verlies keine Anzeichen einer Traumatisierung aufweist? Mit dieser Frage führte Samuel Pfeifer, Chefarzt der Klinik Sonnenhalde in Riehen bei Basel, in das Hauptthema des zweiten Kongresses für Seelsorge und Lebensberatung ein, der vom 18.-20. Oktober in Lindau stattfand. Über 250 Personen folgten der Einladung dreier christlicher Institutionen, die Lebensberater ausbilden (bcb-CH, die deutsche Bildungsinitiative e.V. und CLS-A).
Das Beispiel von Kampusch zeigt laut Pfeifer, dass Menschen an ihrem Schicksal oder traumatisierenden Erfahrungen nicht zerbrechen müssen, sondern sogar daran wachsen können. Die neuere Psychiatrie richte ihren Fokus daher stärker auf die psychische Widerstandskraft des Menschen als auf krankmachende Erfahrungen und ihre Wirkungen. Diese natürliche psychische Widerstandskraft umschreibt sie mit dem Begriff ‚Resilienz‘. Die Fähigkeit, mit belastenden Lebensumständen umzugehen, lasse sich sogar trainieren, so Pfeifer.

Langzeituntersuchung mit überraschenden Resultaten

Der Psychiater verwies dabei auf eine Langzeituntersuchung an Kinder aus schwierigem sozialen Umfeld auf Hawaii. Kinder mit dem Jahrgang 1955 wurden und bis zu ihrem 32. Lebensjahr beobachtet. Dabei stellten die Forscher fest, das ein Drittel dieser unter schwierigen sozialen und psychischen Bedingungen aufgewachsenen Menschen davon kaum geprägt wurden. Sie wiesen sogar ein ähnliches Verhaltensmuster auf wie Menschen aus einem positiven sozialen Umfeld.

Durch schwierige Erfahrungen wachsen

Ihnen sei gemeinsam gewesen, dass sie überzeugt waren, dass sie etwas aus ihrem Leben machen konnten, wenn sie wollten, sagte Pfeifer. Bei näherer Untersuchung wurde aber festgestellt, dass sie im Gegensatz zu den andern zwei Dritteln von einer Reihe positiver Faktoren in ihrem Umfeld profitierten. So hatten sie mindestens eine gute Bezugsperson innerhalb des eigenen Familienverbandes sowie emotionale Unterstützung von ausserhalb der Familie, zum Beispiel von Jugendarbeitern und Pfarrern. Diese ermöglichten ihnen, einen Lebenssinn zu entwickeln. Sie machten auch Erfahrungen mit Glaube und Gebet.

Während Menschen an traumatisierenden Erfahrungen zerbrechen können, gelingt es Menschen mit einem guten Resilienzpotenzial, sogar daran zu wachsen, führte Pfeifer aus. Sie zeigten gegenüber andern Menschen mit schwierigen Erfahrungen mehr Mitgefühl. Religiöse Menschen erführen eine tiefere Gottesbeziehung und Spiritualität.

Mut gegen Mobbing

Der Theologe und Logotherapeut Reinhard Deichgräber forderte christliche Eltern auf, ihre Kinder nicht zur Unterwürfigkeit zu erziehen. Gelingende Erziehung müsse Kinder die Fähigkeit vermitteln zu sagen: „Ich nicht!“ Für Deichgräber ist klar: Das Mobbing eines Mitschülers kann bereits vermieden werden, wenn nur einer der Mitschüler bekundet: Ich mache da nicht mit! Doch es braucht Mut, sich so zum Aussenseiter zu machen. Christen seien besonders prädestiniert, hier als Vorbilder zu wirken, sagte Deichgräber. Denn sie sind doch Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft, die sich immer wieder in den Gegensatz zu ihrer Kultur und Gesellschaft gestellt hat und deshalb auch unterdrückt wurde. Sie mussten lernen, Widerstandskraft aufzubringen.

Wer sich zu sehr mag…

Die Chemnitzer Persönlichkeitsforscherin Astrid Schütz analysierte Aspekte des Selbstwertgefühls. Für die Selbsteinschätzung bedeutender sind Gedanken „über das, was wir sind, als über das, was wir nicht sind“, sagte Schütz. Der Gedanke „Ich bin ängstlich“ prägt stärker als „Ich bin nicht mutig“. Menschen mit einer stabilen Selbsteinschätzung sind gesünder. Gemäss Schütz beeinflussen die Kulturen mit ihren Wertvorstellungen das Selbstwertgefühl: Während Asiaten sich in der Regel gut finden, wenn sie zur Gruppenharmonie beitragen, gehört es zu den Idealen der Europäer, sich von der Gruppe abzuheben.

Die Psychologieprofessorin strich heraus, dass es auch im Erwachsenenalter möglich ist, den Selbstwert zu stärken. Personen mit niedriger Selbstwertschätzung könnten bei Gruppendruck weniger Nein sagen und gerieten eher in eine Sucht hinein. Wer sich selbst gut findet, reagiert auf Fehlschläge mit gesteigertem Bemühen – doch Beharrlichkeit sollte nicht in Sturheit abgleiten. Vom gesunden Selbstwertgefühl unterschied Astrid Schütz die Selbstüberschätzung und seine krankhafte Form, den Narzissmus. Auch für den Selbstwert gebe es ein gesundes Mass, schloss die Forscherin. Die Kunst des Lebens besteht darin, vergängliche Quellen des Selbstwerts durch stabile zu ersetzen.

Ein weiterer Bericht folgt.

Homepage des Kongresses mit Angaben zu den Veranstaltern

Quelle: Livenet / Fritz Imhof

Datum: 26.10.2007
Autor: Peter Schmid

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