Neues Gesetz

Kann die vertrauliche Geburt die Babyfenster ersetzen?

In Deutschland ermöglicht ein neues Gesetz seit dem 1. Mai die «vertrauliche Geburt». Für Gegner der Babyfenster macht das Gesetz diese Einrichtung jetzt unnötig. Im Folgenden erklärt der Initiator der Babyfenster in der Schweiz, Dominik Müggler, weshalb er die vertrauliche Geburt nur als Ergänzung, nicht aber als Ersatz der Babyfenster sieht, sollte auch in der Schweiz ein analoges Gesetz kommen.
Babyfenster in Olten
Dominik Müggler

Hinter der Motivation, die vertrauliche Geburt einführen zu wollen, sollte in erster Linie das Interesse stehen, den betroffenen Müttern echte Hilfe zu leisten. Stecken hingegen ideologische Gründe dahinter, Babyfenster überflüssig zu machen, kann das den Müttern in Not zum schwerwiegenden Nachteil werden. Der hauptsächliche Diskussionspunkt betrifft die Vertraulichkeit bzw. die Anonymität: Kann die vertrauliche Geburt das Bedürfnis nach völliger Anonymität von Müttern in extremen Notsituationen abdecken?

Wie vertraulich ist die «vertrauliche Geburt»?

Bei der vertraulichen Geburt muss die Mutter im Spital ihre Personalien angeben, damit ihre Identität registriert werden kann. Dadurch ist aber auch die Grundlage für die Abrechnung der Kosten der Geburt über ihre Krankenversicherung gegeben. Im Spital kommt sie mit zahlreichen Angestellten aller möglichen Berufsgruppen in Kontakt, angefangen von der Gynäkologin oder dem Gynäkologen, über den Pädiater, die Hebamme, die Pflegefachpersonen, die Sozialarbeiterin bis hin zum Reinigungspersonal. Zudem gelangen ihre Informationen an das Zivilstandsamt und zur Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB). 

Letztere übernimmt die Rechte und Pflichten des Kindes und besorgt eine Beiständin oder einen Beistand. Das Kind kommt zu Pflegeeltern. Die Zustimmung zur Adoption kann die Mutter erst sechs Wochen nach der Geburt rechtsgültig geben. Dazu muss sie zu einem persönlichen Gespräch auf der KESB erscheinen. Ein weiteres Gespräch ist zwölf Wochen nach der Geburt wiederum auf der KESB notwendig, nämlich dann, wenn die Mutter rechtsgültig auf ihr Widerrufsrecht bei der Adoption verzichten will. Die Mutter muss also während drei Monaten einen eigentlichen Behörden-Marathon absolvieren. Das alles unter dem Titel «vertrauliche Geburt». Von Vertraulichkeit bleibt am Ende nicht mehr viel übrig.

Bedürfnisse von Müttern in Not ernst nehmen

Das Bedürfnis der Mütter nach Anonymität und Unerkanntbleiben muss sehr ernst genommen werden. Mütter, die ihr Baby ins Babyfenster legen, sind zutiefst überzeugt, dass absolut niemand von der Schwangerschaft und der Geburt etwas erfahren darf. Sie wollen das Problem zwar auf die bestmögliche Art und Weise lösen, gleichzeitig aber wieder in das Privatleben zurückkehren, als wäre nichts geschehen. 

Diese Mütter haben kein Vertrauen in die Spitäler- und Behörden-Maschinerie. Wenn diese Mütter nicht ernst genommen werden und kein zuverlässiges Angebot bereitgestellt wird, in das sie Vertrauen haben können, wählen sie ganz einfach eigene Wege, wie in der Vergangenheit immer wieder festgestellt werden konnte: Diese Wege heissen dann Kindsaussetzung oder gar Kindstötung. Das sollte um jeden Preis verhindert werden. Es ist falsch zu meinen, man könne alle Mütter in Not in die vertrauliche Geburt hineinzwingen.

Welche Risiken müssen anonyme Mütter tragen?

Eine heimliche Geburt birgt Risiken für Mutter und Kind. Das ist richtig. Aber man sollte dieses Risiko in unserem medizinaltechnisch hochabgesicherten Land auch nicht überbewerten. Es ist ein Unterschied, ob man irgendwo im Busch gebären muss, weit ab von der Zivilisation, oder aber in der Schweiz, wo man sich per Internet auf die Geburt vorbereiten kann, wo das Handy jederzeit mit allen Notrufnummern bereit liegt und die Ambulanz im Notfall innert Minuten an Ort und Stelle ist.

Ein Kind im Babyfenster heisst auch nicht, dass es die Informationen über seine Herkunft nicht erfahren wird. In rund der Hälfte der Fälle geben die Mütter bereits wenige Tage nach der Abgabe der Kinder ihre Identität bekannt. Später steigt diese Zahl noch an. Der Weg zum Kind steht den Müttern immer offen: Es genügt, dass sie sich an die KESB wendet und sich nach dem Kind erkundigen.

Es bleibt noch anzufügen, dass wer den Müttern in Not zur Hilfe eilen will, sich keineswegs  gegen die vertrauliche Geburt aussprechen soll. Vielmehr sind alle Wege zu begrüssen, die es Müttern in Notsituationen einfach machen, ein Kind zu gebären. Die vertrauliche Geburt ist als eine sinnvolle Ergänzung und nicht als Ersatz für Babyfenster zu betrachten.

Dominik Müggler ist Leiter der Schweizerischen Hilfe für Mutter und Kind (SHMK) in Basel.

Datum: 07.05.2014
Autor: Fritz Imhof / Dominik Müggler
Quelle: Livenet

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