Kirchen-Café wie ein Kaleidoskop

Otto Keiser
A-Cafe

Otto Keiser ist seit fünf Jahren Pächter des Kirchencafés in der Basler Citykirche St. Elisabethen. Er ist stolz auf seine Quiches "made in church" und lässt die Gäste an seinem sonnigen Gemüt teilhaben. Für sie ist er jetzt sogar unter die Literaten gegangen.

Die Tür zum Kirchencafé im Turm der Elisabethenkirche geht auf und zu. Gäste strömen herein, für sie wirkt das Schild "Café-Bar offen" in diesen kalten Novembertagen wie eine willkommene Einladung. Ein Grund, warum dies so ist, hat auch mit Otto Keiser, dem Wirt dieses Cafés, zu tun.

Seine Anwesenheit verbreitet eine wohltuende Atmosphäre. Ihm macht seine Arbeit sichtlich Spass. Sein Tresen ziert stets ein üppiger Strauss Trockenblumen. Mit flinker Hand bereitet er exotisch anmutende Suppen zu. "Nirgends ist das Menü spiritueller als bei mir", flachst er. Keiser wirkt gut im Schuss. "Hier muss man körperlich fit sein, denn das Lager befindet sich auf der Empore. Wenn wir einen Anlass mit verwöhnten Apéro-Gästen haben, dann renne ich zwei geschwungene gotische Treppen hinauf, um Nachschub zu holen", erzählt er.

Texte für die Gäste

Neulich stand Keiser selbst im Mittelpunkt: Bei der Vernissage seines Bändchens "Texte für die Gäste". "Es war ein schönes Fest, das mich tief bewegt hat", erinnert er sich. Zweihundert geladene Gäste, viele davon Besucher des Kirchen-Cafés, drängten sich bei Kerzenlicht und Theaterdarbietungen in der Krypta der Elisabethenkirche. Das Büchlein entstand nicht nur für die Gäste, sondern auch mit den Gästen. Fotos, Satz und Grafik, selbst das Vorlesen der Texte bei der Vernissage, steuerten Gäste des Cafés bei.

Seit seiner Jugend schreibt der gebürtige Luzerner Tagebuch, Kurzgeschichten, später auch Lyrik. Im Café macht er sich jeweils blitzschnell Notizen, verstaut sie im Geldbeutel und verarbeitet sie zu Hause, wo sich bereits über 700 Tagebuchseiten angesammelt haben.

Einen Grossteil seiner Anregungen findet er beim Zusammentreffen mit interessanten Menschen. Und auf solche stösst er hier täglich. "Ich muss mich nur hinsetzen und ihnen zuhören. Manchmal ist es wie in einem Krimi", beteuert er. Die Geschichten des Büchleins, das zusammen mit einer Hör-CD auf dem Tresen thront, sind mit dem Kirchen-Café eng verknüpft.

"Viele Texte sind Anregungen, die die Gäste ohne ihr Wissen selbst beigesteuert haben", beschreibt er den Schreibprozess. Die Resonanz bleibt nicht aus. "Ist das wirklich so passiert?" habe ihn jemand neulich auf seine Geschichte "Am Stammtisch" ungläubig befragt, die sich um einen spurlos Verschollenen dreht. Einzelne Gedichte werden zudem in den Jahrbüchern 2003 der Frankfurter Bibliothek und in der Nationalbibliothek des deutschen Gedichts (München) publiziert, einem führenden Standartwerk im deutschsprachigen Raum.

Ein Café mit Inspiration

Dass Otto Keiser im Kirchen-Café Inspiration findet, wundert nicht, denn die Mischung seiner Gäste ist so bunt wie das Programm der Offenen Kirche Elisabethen selbst. Hier trifft sich einem Schmelztiegel gleich das ganze Spektrum der Stadt. Man schätzt die Café-Bar als einen Ort, wo sich im Anschluss an eine Veranstaltung Beziehungen vertiefen lassen können.

"Für mich ist die Café-Bar wie ein Kaleidoskop , sagt Keiser. Ihm gefällt, dass sich sein Arbeitsort in einer Kirche befindet, die den Mut hat, sich zu exponieren, Farbe zu bekennen und gewillt ist, am Puls der Zeit zu bleiben. "Die Leute sehen von aussen an die Bar, sehen das Schild, das signalisiert: Komm rein! Offene Kirchen sein heisst für mich, eine Schneise schlagen, Blickfang zu sein", sinniert er.

Jeder Tag, beinahe jede Stunde hat eine eigene Kundschaft, ein eigenes Ritual. Früh morgens sitzt bereits eine Gruppe älterer Bankangestellter da. "Das sind die, die sich bei mir etwas anwärmen müssen, bevor sie wieder in ihre Büros gehen", sagt Keiser. Andere schildern dem Wirt, was nach ihrer Pensionierung ansteht. Darunter sind lustige Lebensentwürfe. Stunden später kommen die Leute aus der Schule für traditionell-chinesische Medizin, sie haben kein Pausencafé. Zur Mittagszeit folgen Geschäftsleute, die auf einen Espresso vorbeischauen und in eine andere Welt abtauchen möchten. Zwischendurch verrichtet Tochter Anna Carina am Tisch ihre Schulaufgaben. Die Anregungen für seine Notizen gehen ihm auf diese Weise nie aus.

Bewegtes Leben

Dazu bietet bereits sein Leben Stoff genug. Zum Wirtberuf ist Otto Keiser erst als 47-Jähriger über Umwege gekommen. Seine Eltern führten ein Gasthaus im Luzernischen, er jedoch ging einen anderen Weg. Er war Lehrer und Buchhändler in Lugano, bewirtschaftete im Piemont ein kleines Weingut und machte später in der Schweiz den Wirtekurs. "Mit wenig Geld in der Tasche ein neues Ziel ansteuern, eine fremde Sprache lernen und eine neue Existenz aufbauen, das hat mich stets fasziniert", bekennt er.

Als Keiser 1995 in die Schweiz zurückkam, suchte er eine neue Herausforderung und fand sie im Kirchencafé. Sein Büchlein, in dem Texte wie "Die Blinden" auch seine nachdenkliche Seite zeigen, widerspiegle die ganze Bandbreite seines bewegten Lebens, sagt er.

Tankstelle für die Seele

Es wird klar, dass man an einem solch exponierten Ort mehr ist als nur der Pächter: einer, der im besten Falle Leute aufrichten kann. Diesen Part nimmt er gerne wahr: "Heute morgen erzählte mir jemand vom Tod seiner Katze, er brauchte Zuwendung", schildert er. Ein Seelsorger sei er aber nicht.

Mit der Institution Kirche hat er nicht allzu viel am Hut, wohl aber mit der Basler Citykirche: "Es spricht für sie, dass sie hier einen Freigeist wie mich arbeiten lassen", scherzt Keiser, der sich selbst als einen religiösen Menschen bezeichnet. Keiner müsse die Maske des freundlichen Christen tragen, um in der Kirchen-Bar Zutritt zu erhalten. Er scheint ganz aufzugehen in dem Spruch, mit dem dieser Ort für sich wirbt: "Es ist keine Sünde, wenn Sie auf dem Weg zur Kirche an der Bar hängen bleiben."

Offene Kirche Elisabethen

Die Offene Kirche Elisabethen versteht sich als Ereignisort im Zentrum von Basel. Sie ist die erste Citykirche der Schweiz, die als selbständiger Verein organisiert, ökumenisch von der Evangelisch- reformierten, der Römisch-Katholischen und Christkatholischen Kirche Basel-Stadt getragen wird. In einer Selbstdarstellung hat die Offene Kirche Elisabethen folgende Zielsetzung:

Religiöse und spirituelle Erfahrung: Schaffen eines Experimentierfeldes für aktuelle, welt- und menschenbezogene Formen von Spiritualität.
Kultur & Kunst: Wirkungsraum für die Basler Kunst- und Kulturszene. Kulturschaffende aller Sparten zeigen in den Räumen der Elisabethenkirche ihre Kunst und Arbeit.
Soziales Tun: Engagement für Menschen, die von der Gesellschaft benachteiligt werden. Seel-Sorge-Zentrum, Zufluchts-Ort und Ruhe-Pol zugleich. Ein geeignetes Gesprächs- und Beratungsangebot steht zur Verfügung.
Fragen des Lebens, der Stadt und der Welt: Stellung beziehen für Friede und Gerechtigkeit, für die Bewahrung menschlicher Lebensgrundlagen, für Demut gegenüber der Schöpfung. Ohne Wenn und Aber Aufgreifen von aktuellen gesellschaftlichen und politische Fragen - als ein Forum für Auseinandersetzung, Vermittlung und Dialog.
Gewisse Aktivitäten dieser Kirche sind jedoch sehr umstritten: Die "Lesbische und Schwule Basiskirche" (LSBK) wurde 1991 gegründet. Sie hat zum Ziel, regelmässige Gottesdienste für Schwule, Lesben, Bisexuelle zu organisieren und zu feiern. Die LSBK hat 70 Mitglieder, zwei Drittel davon sind Männer. Sie kennt keine Predigten, ihre Gottesdienste sind geprägt von Musik, Bewegung, Farben, Spiritualität , Essen und Gruppendenken.

Auch der „Gottesdienst für Mensch und Tier“ entspricht nicht den gängigen Vorstellungen. Den Einladungen zum „Schöpfungsfest“ folgen verschiedene Tiere mit ihren Besitzern: Meerschweinchen, Ratten, Mäuse, Katzen und Goldfische. Der Gottesdienst für Mensch und Tier soll auf fröhliche Weise erfahren lassen, dass Tiere Mitgeschöpfe sind, sagen die Organisatoren. Nach einem solchen Gottesdienst findet jeweils die individuelle Segnung der Tiere statt.

Quelle: Kipa/Livenet

Datum: 24.11.2003
Autor: Vera Rüttimann

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