Im seelischen Tal: Wie können müde Christen wieder munter werden?

Müde

«Ich habe keine Zeit, müde zu sein!», sagte Kaiser Wilhelm I. (1871–1888). Heute ist Müdigkeit «in». Wir leiden unter Depressionen, Burnout, Stress oder einfach Frühjahrsmüdigkeit. Darum ziehen sich viele Menschen aus ihrem bisherigen Lebensfeld zurück, auch in der Gemeinde. Wie aber können müde Christen munter werden?

Prediger quittieren da und dort ihren Dienst. Mitarbeiter in der Gemeinde steigen aus ihren Gruppen aus. Therapeutische Seelsorgeeinrichtungen kommen mit der Arbeit nicht mehr nach. War es vor Wochen noch der überfüllte Terminkalender, der Menschen Bedeutung gab, so ist es jetzt das daraus resultierende Ergebnis: Müdigkeit. Der Zeitgeist macht auch vor den Christen nicht Halt. Es würde Seiten füllen, wenn man alle Felder der Müdigkeit erschöpfend beschreiben würde.

Ganz natürlich

Fakt ist: Es gibt eine natürliche körperliche Müdigkeit, die zu unserem Geschöpfsein gehört. Wie viel Müdigkeit dabei normal oder unnormal ist, lässt sich nicht festlegen. Müdigkeit ist als medizinischer Begriff kaum zu definieren, weil jeder Mensch seine eigene Auffassung von Müdigkeit hat. Wir alle brauchen Schlaf und entwickeln einen Rhythmus. Alle Menschen sind ab und zu müde, und die natürlichsten Ursachen sind ein Mangel an Schlaf und Überarbeitung. Wer viel oder sogar zu viel tut, der wird müde und braucht entsprechende Erholungsphasen. Bezüglich der Frühjahrsmüdigkeit ist man sich in Forscherkreisen nicht sicher, woher sie genau kommt. Man kann nur darauf warten, dass sie vorbei geht und sich durch vitaminreiche Ernährung, Bewegung und viel frische Luft eine «Basisfrische» erhalten.

Gerade habe ich übrigens meinen kleinen Mittagsschlaf hinter mir. 15 Minuten nach dem Mittagessen reichen mir. Mit neuer Kraft geht es jetzt weiter!

Tiefere Ursachen

Es gibt aber auch Formen von Müdigkeit, die nicht einfach nur mit einem kleinen Schläfchen zu überwinden sind. Die Ursachen dieser seelischen Müdigkeit liegen viel tiefer. Hier eine Auswahl möglicher Ursachen:

1. Seelische Belastungen: Sie nehmen mehr und mehr zu, die individuelle Belastungsfähigkeit dagegen ab. Dies führt oft auch zu körperlicher Erschöpfung. Die Ursache liegt in unserer Gesellschaftsstruktur, in der immer mehr möglich ist und damit auch immer mehr gefordert wird. Gleichzeitig wachsen viele Kinder ohne Grenzerfahrungen auf, was sie als Erwachsene beim kleinsten Gegenwind resignieren lässt.

2. Verlust der Selbstverständlichkeit: Geprägt durch Pluralismus und Individualismus müssen wir uns mit diesem Verlust abfinden. Jede Situation verlangt ihre eigene und immer wieder neue Entscheidung. Nichts mehr läuft einfach nur so. Das Abwägen nach allen Seiten hin kostet viel Kraft. Da die Gestaltungsmöglichkeiten in unserem Leben schier grenzenlos sind, führt dies mehr und mehr zu einer ziellosen Entscheidungsfreiheit. Wir können uns heutzutage für alles entscheiden, wissen aber oft nicht, wozu eigentlich. Das strengt seelisch an und erschöpft körperlich.

3. Verschiedene Idealismen: Sie führen zu Konflikten und Enttäuschungen.
a) Ein geistlicher Idealismus weckt den Anspruch, geistlich vorbildlich leben zu müssen und setzt dies oft gleich mit Sündlosigkeit. Zugleich erlebt man sich aber als Sünder und kommt in die Versuchung, genau dieses Spannungsfeld zu verbergen. Die «Siegergesellschaft» fordert so auch ihren religiösen Tribut.
b) Ein pragmatischer Idealismus lebt vom Wahn der Machbarkeit. Heute geht es vielfach nur noch um Erfolgszahlen. Menschen, die in ihrem Umfeld oftmals «kleine Brötchen backen», erleben sich angesichts des Erfolgs anderer als Versager und stehen in der Gefahr zu resignieren. Gefragt sind in erster Linie Gewinner!
c) Ein Beziehungsidealismus lässt von gelingenden Beziehungen träumen. Die Wirklichkeit – auch in unseren Gemeinden – sieht aber oft anders aus: Ehen gehen kaputt, Kinder widersetzen sich ihren Eltern, Mitchristen leben unversöhnt. Man glaubt an den durch Christus erneuerten Menschen und sieht so viel Bruchstückhaftes.

4. Die Zukunft liegt für viele wie ein grosses Fragezeichen vor ihnen. Geglaubte Sicherheiten zerbrechen. Viele sind gelähmt in der Gegenwart durch die Angst vor der Zukunft.

Zielgerichteter Lebensstil

« Darum werden wir nicht müde...» Das behauptet Paulus in 2.Korinther 4,1. Er begründet dies mit dem Auftrag, den er von Gott erhalten hat. In diesem zielgerichteten Lebensstil hat er ein Mittel gegen Müdigkeit gefunden. Selbst seine zunehmende Gebrechlichkeit raubt ihm nicht die Frische (2. Korinther 4,16).

Vielleicht ist das schon die entscheidende Antwort auf die Frage nach der Überwindung der Müdigkeit im Leben mancher Menschen:
- Wer einen klar definierten Auftrag und ein eindeutig beschriebenes Ziel hat, für das er lebt, der hat Kraft und Motivation, Müdigkeit zu überwinden.

- Eine Stelle im Alten Testament ergänzt diese Erkenntnis noch um den Faktor der sinnvollen Planung (2. Mose 18,8). Mose wurde müde, obwohl er sich für Gottes Sache einsetzte, da er unsystematisch arbeitete. Er liess sich durch seinen Schwiegervater helfen, systematisch an seiner Entlastung zu arbeiten.

Auf den Punkt bringt es Jesaja 40,30: «Wer auf den Herrn vertraut, wird nicht müde!»


Entscheidende Fragen

Der zielgerichtete Lebensstil eines Christen zeichnet sich aus durch:
a) einen starken Auftraggeber
b) einen definierten Auftrag
c) ein beschriebenes Ziel
d) einen sinnvollen Plan

In Fragen ausgedrückt:
a) Für wen tue ich etwas? Ich bin eingeladen, meine ganz persönliche Gottesbeziehung zu überdenken. Gott will zuerst mein Vater sein und dann erst mein Auftraggeber. Vielleicht liegt hier ein neu zu entdeckendes Erlebnisfeld. «Gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen!»
b) Was tue ich? Hier stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis von Arbeit und Ruhe, von Spannung und Entspannung. Jesus hatte auch einen grossen Auftrag und konnte doch auch Rückzug leben. «Bin ich randvoll oder erfüllt?»
c) Was will ich damit erreichen? Die Gefahr aller Arbeit liegt darin, dass sie zum Selbstzweck wird. Es geht um das Ziel, nicht um die Arbeit. «Lass mir das Ziel vor Augen bleiben!»
d) Wie tue ich es am besten? Welche Menschen stehen mir zur Seite? Welche Hilfen gibt es, die ich in Anspruch nehmen kann? Es gibt genügend moderne Hilfsmittel, wie aus einer individuellen Überforderung eine gemeinschaftliche Herausforderung wird. «Gemeinsam sind wir stark!»

Niemals müde?

Ist Müdigkeit also eines Christen nicht würdig? Muss man sich ernsthafte Gedanken machen, wenn sich jemand müde fühlt? Ja und nein. Wir sind Menschen und leben mit körperlichen Grenzen. Wer mit diesen im Einklang lebt, sein natürliches Bedürfnis nach Schlaf verantwortlich wahrnimmt, der hat schon einen ersten Schritt getan. Wer darüber hinaus noch im intensiven Gespräch mit seinem Schöpfer steht und in Gelassenheit seine eigenen Grenzen und Fehlannahmen erkennen und annehmen kann, der wird auch aus einem seelischen Tal erfrischt emporsteigen.

Datum: 07.04.2005
Autor: Bernhard Kuhl
Quelle: Chrischona Magazin

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