Fasten: Ferien für Leib und Seele

In der Zuviel-Gesellschaft hat das Fasten neue Bedeutung gewonnen. Die sechs Wochen vor Ostern legen Einkehr nahe. Livenet sprach mit Ruth Schmocker, die Fastenkurse im Schweigen anbietet.


„Ich verzichte nicht – ich bekomme“: Ruth Schmocker

Livenet: Worum geht es beim Fasten?
Ruth Schmocker: Nicht ums Abnehmen. Bei einer Fastenwoche besteht die Gefahr eines Jojo-Effekts: dass ich nachher umso mehr esse. Daher ist es heikel, von einer Fastenwoche eine Gewichtsabnahme zu erwarten. In einer Woche baue ich nicht Fett ab, sondern vor allem Wasser. Wenn im körperlichen Bereich etwas verändert werden soll, kann man nach einer Fastenwoche die Nahrung umstellen, zum Beispiel den Zucker- oder Salzgehalt zurücknehmen. Dann fällt die Umstellung leichter, weil wir durch das Fasten ein anderes Geschmacksempfinden entwickelt haben.

Wenn es nicht ums Abnehmen geht: Was soll der Nahrungsverzicht in der Fastenwoche?
Der Körper ist für mich im Fasten wie der Lehrmeister: Er lässt los, entschlackt, entgiftet, er schafft sozusagen Liegengebliebenes aus dem Darm heraus, wirft alten Ballast ab. Wenn beim Fasten viel getrunken wird, werden Schlacken herausgeschwemmt, die vielleicht über Monate liegen blieben.


Zu sich kommen: Das „Haus der Stille und Besinnung“ in Kappel…

Es geht auch im übertragenen Sinn darum, alten Kram loszuwerden. Der Körper macht mir vor, was die Seele brauchen würde. Die Fastenwoche ist dazu da, dem Darm Ferien zu geben und – wenn die Zeit mit Schweigen gekoppelt ist – auch der Seele. Man entlastet den Körper und auch die Seele von dem dauernden Zuviel: zuviel Essen, zu viele Worte, Geräusche, optische Impulse. Fasten ist Entlastung für den Körper, für die Sinne, für die Seele.

Was gewinnt die Seele durchs Fasten?
Freiraum, um zuerst einmal zu spüren, wo die Seele steht. Ich drücke das mit dem Satz aus: „Ich wollte dich besuchen, und du warst nicht zu Hause.“ Ich bin überzeugt, dass vieles, was wir religiös aufnehmen, die Seele gar nicht wirklich erreicht, weil sie zu voll ist. Wir wissen gar nicht, was alles in uns hockt. Wir sind nicht bei uns selber angekommen.

Von daher geht es darum, durch Reduzieren des Essens und der Worte Raum zu schaffen, damit ich merke, was ich wirklich brauche. Das führt mich zum Wesentlichen zurück. Meditieren fängt damit an, dass ich frage: Wo stehe ich, was ist mein Problem? Und dann kann ich Gottes Wort in meine Seele hineinfallen lassen, an den Punkt, wo ich stehe, damit sich das Wort und die Seele verbinden. Nach meiner Erfahrung hat das Wort der Bibel so eine viel stärkere Wirkung.


…bietet einen prächtigen Ausblick in die Innerschweizer Alpen.

Wie bringen Sie Bibelworte ein?
Ich lese das kurze Wort in einer Meditation mindestens dreimal und lasse es die Teilnehmenden aufschreiben, zeichnen, verarbeiten. Dies im Vertrauen, dass Gottes Geist das Wort so wandelt, dass es die Seele erreicht und etwas daraus brauchbar wird für jeden Einzelnen.

Ich ziele darauf ab, die religiöse Quantität herabzuschrauben. Die Leute schreiben für sich selbst auf, was sie körperlich, im Gemüt und den Gedanken erleben, und fassen es dann zusammen. Was ist das Wesentliche? Es geht darum, dass die Teilnehmenden sich selbst wahrnehmen und mit sich selbst und Gott auf dem Weg sind.

Nicht essen – viel trinken: Übertragen Sie das auch auf die Seele?
Ja, das Wasser spielt eine grosse Rolle. Das „Haus der Stille und Besinnung“ in Kappel, wo ich den Kurs anbiete, hat eine eigene Quelle. Wir schöpfen jeden Tag daraus; ich gestalte damit das Morgenritual „Lebendiges Wasser für dich“. Die Teilnehmenden können über das Bibelwort und das Ritual etwas aufnehmen.


Eigene Quelle: Der Brunnen im Kreuzgang des ehemaligen Zisterzienserklosters.

Wie soll ich auf eine Fastenzeit zugehen?
Zur Fastenwoche gehört eine behutsame Vorbereitung: Vorher soll die Nahrung zurückgefahren und der Darm entleert werden. Wir tun auch gut daran, langsam aus der Fastenwoche hinauszugehen und den Körper allmählich wieder an Nahrung zu gewöhnen. Wir müssen den Körper ernst nehmen, gerade wenn wir geistliche Motive zum Fasten haben.

Eine solche Woche ist eine Sabbatwoche im Kleinen. In der Kirchgemeinde haben wir sie alltagsnäher durchgeführt; wichtig ist dabei, dass der Terminkalender möglichst freigehalten wird.

Fasten ist für mich nicht primär ein Verzicht. Im Mittelalter war das Fasten verordnet. In der vorösterlichen Fastenzeit nahm man eine Pflicht auf sich und verzichtete. Sicher liegt in einer Fastenwoche ein Verzicht drin; man muss zu etwas Ja sagen und sich in einem gewissen Sinn durchbeissen. Doch das Wichtigste ist für mich der Freiraum, der mir geschenkt wird: Ich verzichte nicht – ich bekomme.

Ruth Schmocker-Buff (56) hat seit 1999 eine Praxis für Einzelberatung, Familiensystemik und Erwachsenenbildung: www.ruthschmocker.ch

Der Kurs in Kappel/ZH ist auf den 10.-17. März 2007 angesetzt: Infos und Anmeldung

Datum: 21.02.2007

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