Matrix – Der Glaube an das Unglaubliche

Neo der Retter der Science-Fiction-Welt.
Die Haupdarsteller von Matrix
Matrix

Vier Jahre ist es her, dass "Matrix" aus dem Nichts auftauchte - und die Kinowelt erschütterte. Ohne Marketing-Kampagne und weitgehend ignoriert von der Kritik entwickelte sich die Geschichte des Hackers Neo, der erfährt, dass sein Leben nur eine computergenerierte Scheinwelt ist, und der sich als "Auserwählter" dem Kampf gegen die herrschenden Maschinen stellt, zum globalen Phänomen. In dieser apokalyptischen Zukunftsvision, in der Menschen als Batterien für Maschinen "gezüchtet" werden und die gespickt ist mit Zitaten aus Religion, Mystik und Philosophie, entdeckten die Zuschauer immer neue Wendungen und Geheimnisse. Der Kinogänger wird bei dem Science-Fiction-Film an die Grenzen des Vorstell- und Wahrnehmbaren geführt. Es wird erwartet, dass der am 22. Mai startende Film alle Kinokassenrekorde hinter sich lässt.

Die Dreharbeiten in Australien gerieten allerdings schnell zum Albtraum: Erst brach sich Laurence Fishburne ein paar Rippen, dann Carrie-Anne Moss das Bein. Dann starb Gloria Foster, 64, die als freundliches "Orakel" hilft im Kampf gegen die Computer, und kurz darauf verunglückte die Popsängerin Aaliyah, 22, die bereits für ein paar Aufnahmen als Rebellin vor der Kamera gestanden hatte, tödlich.

Die Story fügt sich nahtlos an den ersten Teil an: Die Menschen haben vor langer Zeit den Kampf gegen intelligente Maschinen verloren und werden von ihnen körperlich ausgebeutet. Ein gigantisches Computerprogramm - die Matrix - ersetzt diesen Sklaven das Bewusstsein. Neo (Keanu Reeves) ist wirklich «der Eine», der Auserwählte, der mit übermenschlichen Kräften die Menschheit befreien könnte. Gemeinsam mit seiner Geliebten Trinity (Carrie-Anne Moss) und Captain Morpheus muss er aber zuerst die Rebellenstadt Zion retten, der ein Killerangriff der Maschinen bevorsteht.

Tiefsitzendes Bedürfnis nach Sinnsuche

Eingeschworene Fans schauten sich den Film nicht zwei-, sondern gleich zwölfmal an. In einer Zeit, in der sich das Internet wie ein Ölteppich ausbreitete und jeden Tag neue Verschwörungstheorien um die Welt schickte, einer Zeit, da sich in den westlichen Grossstädten eine gleichgeschaltete Monokultur aus McDonald's, Starbucks und Microsoft etabliert hatte, befriedigte das paranoide Cyber-Drama ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Sinnsuche und Antworten - selbst wenn diese nur auf einer Kinoleinwand gegeben werden.

Der Christian Science Monitor (CSM) beschäftigt sich in einem Artikel mit der religiösen Komponente der Warner Bros.-Trilogie Matrix. Grundsätzlich - so die Meinung verschiedenster Experten - können alle Religionen ihre eigenen Leitmotive in "Matrix" entdecken. Aber, so einige Theologen, würde "Matrix" im Gegensatz zu anderen Filmen, die auf den Werten des christlichen Glaubens basieren, direkt das Herz der christlichen Identität ansprechen. Das Filmscript erscheint dabei als Mischung aus platonischer Philosophie, griechischer Mythologie, Buddhismus und postmodernen Elementen.

Religion oder Blasphemie?

Glenn Yeffeth, Autor des Buches "Taking the red Pill: Science, Philosophie and Religion in the Matrix", meint aus christlicher Sicht zwei unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten des Films zu erkennen: zum einen könnte man es als eine Nacherzählung des Lebens von Jesus Christus interpretieren, zum anderen als einen sehr brutalen Film mit viel Blasphemie und atheistischen Motiven. Mittlerweile finden sich schon einige Bücher zum Thema "Religion und Philosophie in Matrix" - einen Überblick finden Sie unter http://www.ursasoft.com/matrix

Die religiösen Elemente

Der "Christian Science Monitor" bietet unter anderem noch ein Matrix Glossar, in dem die religiösen Motive näher beleuchtet werden. Unter den gesammelten Einträgen finden sich etwa die Wiedergeburt - Neo muss vor seiner Mission die Menschheit aus der Sklaverei zu befreien erst wiedergeboren werden - dies geschieht als ihm die Lebensversorgungsleitungen aus dem Körper entfernt werden und er haarlos, verwirrt und bedeckt mit einer schleimigen Flüssigkeit in seiner "Fruchtblase" erwacht. Unter dem Punkt "Buddhismus" findet sich der Eintrag, dass das Leitproblem der Buddhisten nicht aus Sünde und dem Bösen besteht, sondern in der Unfähigkeit der Menschen die echte Wahrheit zu erkennen - so wie die Menschen in Matrix eben.

"Neo is the One"

Der Name "Neo" als Anagramm von "One" impliziert seine Einzigartigkeit und macht ihn zum "dem Einen". Numerologische Aspekte finden sich unter anderem bei seiner Zimmernummer "101" - wieder als Metapher für er ist der Eine - oder auch in der Nummer des Zimmers in dem er erschossen wird - nämlich "303" - danach folgt seine Wiederauferstehen nach 72 Sekunden - was, je nach Deutung, eine Anspielung auf die 72 Stunden beziehungsweise drei Tage bis zur Auferstehung Christi sein könnte.

Auch Neos echte Name, Thomas Anderson" wurde auf seine religiösen Wurzeln hin untersucht, und so folgt die Erkenntnis, dass der Apostel Thomas im Griechischen als Didymus - also zum Zwilling oder Double - bezeichnet wurde und Anderson "son of man" meint - ein Name den Jesus auch für sich selbst benutzte. Die letzte menschliche Stadt in "Matrix" ist "Zion", im Alten Testament stand Zion für die königliche Hauptstadt von David. Und Morpheus Raumschiff nennt sich wiederum "Nebuchadnezzar", diese Figur findet sich in der Bibel im Buch Daniel als mächtiger König von Babylon, der von unheilvollen Träumen verfolgt wird. Morpheus beispielsweise ist der Name des findigsten Gehilfen des griechischen Gottes des Schlafes. Weitere Beispiele finden sich im CSM-Artikel. http://www.csmonitor.com/monitortalk/

Schon diese skizzenartige Auflistung wirft Fragen auf: Warum wird in so massiver Weise auf religiöse Vorstellungen zurückgegriffen? - "Terminator" oder andere SF-Action- oder auch Kung-Fu-Filme kommen weitgehend ohne aus, obgleich es auch dort unter Umständen um die Rettung der ganzen Menschheit gehen kann. Und warum wird eine solche Vielzahl und Kombination von religiösen Elementen bemüht?

In "Matrix" ist Zion die letzte Stadt in der realen Welt, die letzte in der noch Menschen frei leben, in diesem Sinn also auch der Nabel der menschlichen Welt und einzige Stätte, von der Heil für die Menschheit ausgehen kann. Zion ist Keimzelle des Widerstands und letzte Bastion der Hoffnung.

Nebukadnezar II. ist ein bedeutender babylonischer König, der ab 605 den gesamten Nahen Osten unter seine Herrschaft zwingt. Im Jahr 597 v. Chr. erobert er Jerusalem zum ersten Mal, 586 zum zweiten Mal. Dabei wird die Stadt und der Tempel zerstört und die Oberschicht ins babylonische Exil deportiert, ein schrecklicher Markstein in der israelitischen Geschichte. In "Matrix" trägt diesen Namen allerdings das Raumschiff, von dem aus der Aufstand gegen die Maschinen durchgeführt wird.

Angesichts dieser kulturgeschichtlichen Erbmasse kann die überhaupt nicht notwendige Zusammenstellung von Zion und Nebukadnezar in "Matrix" als geradezu paradox angesehen werden: Aus dem Zerstörer Jerusalems ist ein Kampftrupp Zions geworden. Was wird damit zum Ausdruck gebracht? Geht es vielleicht um die Umwandlung oder Umwertung von Geschichte und Tradition angesichts eines Feindes, der alle Menschen bedroht? Dann liefe die Anhäufung und Verquickung unterschiedlicher religiöser Vorstellungen in Verbindung mit zugehörigen kulturgeschichtlichen Ereignissen darauf hinaus, dass es letztlich egal ist, welche konkrete Vorstellung von Religion und Glaube die Menschen besitzen, sondern nur entscheiden ist, dass sie welche besitzen, weil dieser sie gegenüber den Maschinen als Menschen auszeichnen. Schliesslich wird Glaube an die Auserwählung Neos im Film in hohem Masse benötigt, um sich gegen die Welt der Matrix zur Wehr setzen zu können. Cypher, dem dieser Glaube fehlt, will schon aus diesem Grund den Untergang des Aufstandes herbeiführen.

Religion ermöglicht das Begreifen der Welt, indem sie eine Aussenperspektive auf die Welt erzeugt, die die Frage nach dem Sinn, nach dem Woher und Wohin der Welt beantworten kann. Hinsichtlich der Orientierung bietet sich ausserdem eine weitere Möglichkeit an. In "Matrix" wird auf eine der Religion verwandte, ihr abgeschaute Möglichkeit der Weltdeutung hingewiesen, nämlich auf (profane) Literatur. Neos Erlebnisse werden mit den Geschehnissen in "Alice im Wunderland" verglichen. Und auch dieser Vergleich bringt Orientierung, weil es sich um ein ähnliches, freilich nun genau benennbares Beispiel von Desorientierung handelt, das durch seine Benennbarkeit wieder einen Orientierungsrahmen bietet. Statt auf religiöse Elemente zurückzugreifen, hätte "Matrix" im Sinne einer Orientierungsfunktion unter Umständen also verstärkt auf profane literarische Muster zurückgreifen können. Warum ist dies nicht geschehen? Oder anders gefragt: Worin liegt letztlich der Unterschied zwischen Literatur und Religion in "Matrix"?

Religion gründet sich "in Matrix" auf etwas, das die Wirklichkeit verändert hat und es weiterhin tun soll. Ohne den Auserwählten würde es keine Möglichkeit zum Aufstand geben, denn er war es, der die ersten Menschen befreit hat. Und ohne Morpheus' und Trinitys felsenfeste Gewissheit bestünde der Aufstand nicht nur nicht mehr und würde auch Neo nicht ausfindig gemacht worden sein, sondern wäre der Kampf auch von vorneherein verloren. Morpheus und Trinitys und schliesslich auch Neos Glaube befähigt sie, im Kampf gegen die Maschinen Erfolg haben zu können. Dies gelingt mit "Alice" nicht. Das Entscheidende ist freilich: Dass sie diesen Erfolg zuletzt auch tatsächlich haben, liegt an der Grundbestimmtheit einer Welt, die Neo als den Auserwählten ausweist.

Somit kommt die Rede von der Funktion von Religion in "Matrix" an ihre Grenze. Religion muss im Folgenden auch qualitativ bestimmt werden, um nicht hinter die Filmwelt zurückzufallen. Es ist nicht nur Ordnung oder Orientierung, was die Menschen brauchen: Neo ist der Auserwählte, der Messias, und wäre er es nicht, alles wäre verloren. - Ein Vergleich mit Jesus drängt sich hier geradezu auf.

Es folgt eine vergleichende Zusammenstellung wichtiger Strukturelemente, die Neo mit Jesus gemeinsam hat bzw. ihn von letzterem unterscheiden:

Gemeinsamkeiten

- Beide werden als Retter der Menschheit angesehen
- Beide besitzen besondere Fähigkeiten
- Beide sterben, um erlösen zu können
- Bei beiden: Auferweckungswunder (im 1. Teil des Filmes)
- Beide erlösen die Menschen aus einer Lage, aus der sie sich nicht selbst befreien können

Unterschiede

- Einsetzen direkter Gewalt (Neo), während Jesus den Waffengebrauch ablehnte.
- Erlösung/Befreiung der Menschen durch Kampf. Bei Jesus durch Leiden
- Neo wird angelernt, Jesus hat keine Lehrer (Lk 2,41ff.)
- Auferweckt durch Trinitys Glaube, Liebe und Kuss. Jesus auferweckt durch den Heilligen Geist
- Jesus spricht von Gott und weiss um seine Sendung. Neo hat keinen Gottesglaube und weiss auch nicht um seine Auserwählung.

Trotzdem macht diese Zusammenstellung deutlich, in welch hohem Masse "Matrix" ein religiöser Film ist. Ihm liegt ein bedeutender Teil der christlichen Erlösungslehre zugrunde. Es ist dies die Notwendigkeit von Erlösung, weil es sich um die Befreiung aus einer schrecklichen Gefangenschaft handelt, die nicht mit gewöhnlichen, menschlichen Kräften zu bewerkstelligen ist. Die Realisierung dieser Erlösung ist sicherlich sehr verschieden, ja für "Matrix" auch noch gar nicht abzusehen, doch Neo trägt alle Züge eines Messias und ist in manchem Jesus zum Verwechseln ähnlich. - Muss so eine Geschichte sein, die sich heute gut verkaufen lässt?

Ein positives Verständnis von Religion und Glaube ist - vor allem wenn es sich um christliche Vorstellungen handelt - in unserer Gesellschaft nur erschwert anschlussfähig, so scheint es zumindest. Warum kann "Matrix" dann aber einen solchen Erfolg haben, obgleich der Film letztlich eine einzige Predigt über wahren Glauben und bedeutende Inhalte der christlichen Erlösungslehre ist? Liegt es daran, dass sich Neo den Weg zur Erlösung über weite Teile des Films freiballert? Ist das der entscheidende Unterschied? Aber was soll dann die Auferweckungsszene im 1. Teil des Filmes? Oder sollte es etwa daran liegen, dass das Wissen um die Erlösungsbedürftigkeit der Menschen populärer ist, als gemeinhin angenommen? Der Erfolg von "Matrix" widerspricht dem zumindest nicht.

Während manche Menschen davon ausgehen, dass ohnehin jedes Thema, das die Weltliteratur jemals beschäftigt hat, auch in der Bibel vorkam und somit eigentlich jedes Werk seine "biblischen Wurzeln" nicht verleugnen können, sehen andere die Diskussion über die Religion in Büchern und Filmen als überflüssig und unnötig an. Tatsache ist, dass Sinnsuche – wenn auch in einer ungewöhnlicher Form – immer wieder vom Publikum gefragt ist.

Quellen: Christian Science Monitor/pte-online/Stern/Standard/Livenet

Datum: 19.05.2003
Autor: Bruno Graber

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