„Es hatte mich nichts gekostet zu stehlen...“

Alex - Adrenalin Pur
Alex

Im Buch ‚Alex - Adrenalin pur' von Damaris Kofmehl beschreibt der Zürcher Alex seine kriminelle Karriere - und wie er vom Stehlen loskam. Alex wurde Christ; doch das Stehlen hörte nicht auf: "Ich las die Bibel und ging zur Kirche, klaute aber frisch-fröhlich weiter."

Nach Jahren erst kam Alex frei von seiner Sucht. Entschlossen ging er daran, seine Vergangenheit zu klären und den Schaden wieder gutzumachen. Dazu gehörte manch schwerer Gang. - Hier das letzte Kapitel des Buchs, leicht gekürzt.

Ich hab beinahe Blut geschwitzt. Mit Herzklopfen und Schweissperlen auf der Stirn stand ich am Eingang zu den Messehallen. Meine Knie waren so weich wie Pudding. Ich wusste: Ich musste da rein. Ich musste etwas in Ordnung bringen. Selbst wenn es bereits vier Jahre her war und sich niemand daran erinnern würde. Aber Gott erinnerte sich daran, und er hatte mir eingeschärft, nicht zur "Equitana" zu gehen, ohne die Sache mit der gestohlenen Reithose zu bereinigen. Es hatte mich nichts gekostet, sie zu stehlen, aber jetzt kostete es mich alles, meinen Fehler von damals wieder gutzumachen.

Mein Mut war so elend klein, dass man ihn selbst unter einem Mikroskop mit tausendfacher Vergrösserung nicht finden würde. Der Superheld Alex, der klaute, wie, wo und wann immer sich eine Gelegenheit ergab, der existierte nicht mehr. Und wer denkt, es wäre einfach gewesen, diesen alten Alex abzulegen, der täuscht sich gewaltig. Es war alles andere als leicht gewesen. Ein innerer Kampf, den ich ganz alleine mit mir selbst austragen musste. Kein Mega-Power-Gebet hat mich davon befreit oder verschont oder mir die Sache erleichtert. Ich musste da selbst durch, nüchtern, ohne Halleluja, aber dafür knallhart.

Zaghaft trat ich in die riesige Halle und suchte den Stand, den ich damals um die 500 Mark teure Leder-Reithose erleichtert hatte. Ich atmete tief durch, fasste mir ein Herz und fragte die junge Dame hinter der Kasse, ob ich den Chef sprechen könne. Sie stöckelte auffällig in einen Nebenraum, tänzelte kurz darauf zurück und sagte mir, ich solle in einer Viertelstunde wieder kommen. Ich setzte mich an eine Bar, trank eine Cola und nahm eine Beruhigungstablette. Meine Nervosität steigerte sich von Minute zu Minute, ich rutschte unruhig auf dem Barhocker hin und her und betete innerlich wie ein Wilder.

Es war nicht der erste Diebstahl, den ich wieder gutmachen wollte. Über all die Jahre meiner kriminellen Tätigkeit hinweg hatte sich eine Menge gestohlener Ware in meiner Wohnung angesammelt, und ich hab mir fest vorgenommen, jeden Gegenstand seinem ursprünglichen Besitzer wiederzugeben. So etwa wie Zachäus aus der Bibel. Natürlich war das nicht immer möglich.

Als ich zum Beispiel einen Pferdesattel zurückbringen wollte, merkte ich, dass das Geschäft, in dem ich ihn gestohlen hatte, vor vier Jahren Konkurs gegangen war (ich hoffe doch nicht meinetwegen ...). Ich wollte den Sattel trotzdem nicht behalten und hab ihn einer Kollegin geschenkt, allerdings ohne sie im Ungewissen über dessen Herkunft zu lassen. Sie konnte damit leben und war sogar sehr froh über das unerwartete Geschenk. Und ich war froh, den Sattel nicht mehr ansehen und jedes Mal daran denken zu müssen, dass er gestohlen war.

Andere Dinge, von denen ich nicht mehr wusste, wo ich sie geklaut hatte, brachte ich kurzerhand in einen Second-Hand-Shop. Hauptsache, ich war die Ware los. Ich wollte dieses düstere Kapitel abschliessen, endgültig.

Ich war so nervös, dass ich ununterbrochen an meinen Fingernägeln herumkaute. Die Zeit schien unendlich langsam vorwärts zu kriechen. Wenn dieser Moment doch nur schon vorbei wäre! Es ist nicht leicht, sich freiwillig als Dieb zu bekennen. Es ist erniedrigend und beschämend, vor dem rechtmässigen Besitzer zugeben zu müssen, dass man ihn bestohlen hat. Doch wenn ich Frieden haben wollte, dann hatte ich keine andere Wahl, als mich für meine Taten zu entschuldigen. Ich konnte keine halben Sachen machen. Ich hatte mir die Suppe eingebrockt, jetzt musste ich sie auch auslöffeln, so schwer mir das auch fiel.

Die Viertelstunde war vorbei. Ich begab mich mit zitternden Knien zum Stand zurück und fragte dieselbe Dame erneut nach dem Chef. Diesmal hatte er Zeit. Vor mir stand ein grosser, schlanker Herr mit grauem Anzug und einer Brille, die seinem Gesicht etwas Strenges verlieh.
"Ja bitte?" sagte er und wartete mit hochgezogenen Augenbrauen auf mein Anliegen. Ich schluckte.

"Ich ... ich bin gekommen, um etwas mit Ihnen zu bereinigen", stammelte ich mit gesenktem Blick. "Ich schulde Ihnen 500 Mark."

Ich sah flüchtig zu ihm hoch und merkte, dass er mich ziemlich verdutzt musterte. Wahrscheinlich hielt er mich für verrückt. Ich kramte in meinem Hirn nach den richtigen Worten. "Die Sache ist die", murmelte ich verlegen und in meinem besten Schuldeutsch, das ich zustande brachte, "vor vier Jahren hab ich an Ihrem Stand eine Leder-Reithose mitgehen lassen, und ich bin gekommen, diese jetzt zu bezahlen."

Jetzt war es raus, und es hing vom Ladenbesitzer ab, was er mit meinem Geständnis anfangen würde. Mein Herz klopfte jedenfalls zum Zerspringen. Ein paar wenige Sekunden verstrichen, und sie kamen mir vor wie eine Ewigkeit.

"Sie haben hier vor vier Jahren eine Hose gestohlen und wollen diese jetzt bezahlen?" wiederholte der Mann ungläubig. Ich nickte. "Ich will wieder gutmachen, was ich damals getan hab. Ich bin Christ geworden; deshalb." Ich sah auf und brachte sogar ein scheues Lächeln zustande. Der Besitzer erwiderte mein Lächeln.

"Sie sind nicht von hier, hab ich Recht?" - "Ich bin aus der Schweiz", sagte ich. "Ach", tat der Mann beeindruckt. "Sie sind den weiten Weg aus der Schweiz nach Essen gefahren, nur um eine geklaute Hose zu ersetzen?"

Wieder nickte ich. "Wenn ich die Hose noch hätte, hätte ich sie zurückgebracht. Aber ich hab sie längst verkauft. Doch ich bin bereit, Ihnen zu bezahlen, was immer sie dafür verlangen."

"Das ist ja ein Ding", sagte der Herr und schüttelte sichtlich bewegt den Kopf. "So was ist mir in meinem Leben noch nicht passiert. Katja!" Er winkte die Dame von der Kasse zu sich. "Rufen Sie unsere Belegschaft zusammen. Ich möchte, dass die sich diese Geschichte anhören." Die junge Dame blickte ihren Chef verwundert an. "Jetzt gleich?"
"Ja, jetzt gleich. Holen Sie alle her. Alle, verstehen Sie?" - "Natürlich. Sofort."

Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Was um alles in der Welt hatte dieser Mann vor?
"Wie ist Ihr Name, junger Mann?" fragte er mich freundlich. "Alex Huber", antwortete ich.
"Herr Huber, es macht Ihnen doch nichts aus, Ihre Geschichte vor meinen Mitarbeitern zu wiederholen?"

"Wenn Sie meinen", sagte ich, obwohl ich von seiner Idee alles andere als begeistert war.
"Das ist die umwerfendste Story, die ich jemals gehört habe", meinte er. "Ein Dieb, der unaufgefordert für seine Tat gradesteht. Sie haben Mut, Herr Huber. Alle Achtung."

Wenn der wüsste, dachte ich. Ich hatte mir beinahe in die Hosen gemacht vor Angst, und er hielt mich für mutig. Innerhalb weniger Minuten hatte sich ein Grüppchen von zehn Leuten um mich geschart, und der Ladenbesitzer stellte mich seinem Personal vor, als wäre ich so eine Art Held des Tages. Mir war das alles furchtbar peinlich. Ich fühlte mich weder als Held noch als einer, der gut genug war, diesen Menschen irgendetwas zu sagen. Aber alle ihre Blicke waren erwartungsvoll auf mich gerichtet, und ich konnte ja nicht einfach vor versammelter Schar davonlaufen. Ich räusperte mich.

"Nun", rang ich verzweifelt nach Worten, "ich bin eigentlich bloss hergekommen, um mich offiziell zu entschuldigen für das, was ich vor vier Jahren getan habe. Und wie ich schon gesagt habe: Ich möchte die gestohlene Leder-Reithose bezahlen. Das ist alles." Ich hoffte, damit würden sie sich zufrieden geben. Aber ich hatte mich getäuscht.

"Wie edel", bemerkte ein Mann, der etwa in meinem Alter war. "Wie kommen Sie dazu, so etwas zu tun?" - "Ich bin Christ geworden", sagte ich. "Jesus hat mein Leben verändert. Und er hat mir gezeigt, dass ich da noch einiges bereinigen muss aus meiner kriminellen Vergangenheit."

"Ach, dann war das nicht der einzige Diebstahl?" fragte jemand. "Ich hab damit begonnen, als ich fünfzehn war", gestand ich, und auf einmal war meine Nervosität verschwunden. Ich bekam geradezu Lust, mehr aus meinem Leben zu erzählen. "In der Schule war ich ein Aussenseiter, weil ich immer Streit anzettelte, und so bin ich eben auf die schiefe Bahn gerutscht.

Anfangs waren wir zu viert, Rafael, Dirk, Patrick und ich, wir haben so eine Art kriminellen Club gegründet und am laufenden Band krumme Dinger gedreht. Das Stehlen war so tief in mir drin verankert, dass ich nicht mal damit aufhörte, als ich Christ wurde. Es war wie eine Sucht, und ich tat es ganz automatisch, hier etwas mitgehen lassen, da etwas entwenden. Im Nachhinein kommt es mir beinahe lächerlich vor: Ich las die Bibel und ging zur Kirche, klaute aber frisch-fröhlich weiter.

Und dann geschah etwas Eigenartiges: Jedes Mal, wenn ich etwas mitgehen liess, musste ich mich übergeben. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, aber nach einem Monat wurde es immer schlimmer, ich konnte nicht einmal mehr richtig essen, und da ging ich zum Arzt. Der sagte zu meinem Erstaunen, ich wäre kerngesund. Und ich dachte: Mensch, das kann doch nicht sein. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Huber. Ich erzählte es meinem Pastor, und der meinte väterlich: ‹Ich glaube, mit dir stimmt eine Menge nicht, Alex.›

Er erklärte mir, dass man als Christ nicht stehlen sollte, und da kapierte ich endlich eine Menge Dinge, von denen ich bisher keinen Schimmer gehabt hatte. So hab ich mit dem Stehlen aufgehört und alles zurückerstattet, was ich über die Jahre hinweg zusammengeklaut hab. Und deshalb bin ich hergekommen, um die Sache mit der Leder-Reithose ebenfalls zu bereinigen. Wenn ich mich recht erinnere, hat die Hose damals 500 Mark gekostet. Ich bin auch bereit, mehr zu bezahlen. Hauptsache, ich kann dieses lästige Thema endlich abhaken und mit Jesus voll durchstarten."

Ich blickte in die Runde. Die Zuhörer schienen von meiner Geschichte angetan zu sein.
"Und Ihre Familie?" fragte eine pummelige ältere Frau mit aufwändig hochgesteckter Frisur. "Hat Sie Ihre Familie nie unterstützt?"

Ich zuckte die Achseln. Ich rede nicht gerne über meine Familie. "Meine Eltern sind geschieden. Sie wissen zwar, dass ich kriminell war, und haben zur Kenntnis genommen, dass ich durch Jesus davon weggekommen bin. Aber es wird nicht darüber geredet. Mein Leben war für meine Eltern noch nie ein Thema. Und mein jüngerer Bruder hat auch andere Prioritäten."

"Und was ist aus Ihren Freunden geworden?" wollte eine andere Frau wissen. "Rafael ist nach Afrika ausgewandert", berichtete ich. "Er hat sich dort ganz gut eingelebt. Dirk hab ich aus den Augen verloren. Und Patrick, der mir von den dreien am nächsten stand, hat ein Mädchen aus der Drogenszene geheiratet. Er hat sich aber ganz gut gefangen und führt heute ein eigenes Geschäft."

"Und was sind Ihre Zukunftspläne?" - "Einen christlichen Reitstall gründen", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. "Ich liebe den Pferdesport, und ich möchte versuchen, Reiter für den christlichen Glauben zu begeistern."

Der Ladenbesitzer legte mir die Hand auf die Schulter. "Alex Huber. Sie sind ein bemerkenswerter Mensch. Ich könnte Ihnen stundenlang zuhören, aber leider ruft uns die Arbeit. Ich bin sicher, Sie hätten noch eine Menge zu erzählen. Kommen Sie doch ein andermal wieder vorbei, damit wir uns ausführlicher unterhalten können."

"Okay", sagte ich, "und wie machen wir das mit dem Bezahlen der Hose? Sind Ihnen 500 Mark recht?" Der Besitzer war damit einverstanden, und ich überreichte ihm das Geld feierlich.

Als ich von dem Stand wegging, fühlte ich mich um einige Tonnen leichter. Ich habe meine Schulden bezahlt. Endlich bin ich frei. Jetzt werde ich mit Gott Vollgas geben. Ich habe zwar keine Ahnung, was Jesus mit mir vorhat, welche Richtung er mit mir einschlagen wird, aber ich bin für alles zu haben. Mit Volldampf ins Abenteuer.

Doch diesmal nicht mehr auf krummen Schienen. Diesmal werde nicht mehr ich meine Fingerabdrücke hinterlassen - sondern Gott. Und ich bin neugierig, wie er das in meinem Leben anstellen wird. Mann, ist das spannend! Tausendmal atemberaubender als alle Adrenalinstösse meines gesamten bisherigen Lebens. Das ist Action. Nervenkitzel. Mit Gott am Schalthebel. Adrenalin pur. Alex pur.

Was Besseres kann ich mir gar nicht vorstellen.

Autorin: Damaris Kofmehl
Quelle: Alex – Adrenalin pur!
Taschenbuch, 240 Seiten
Brunnen Verlag, Basel/Giessen
ISBN: 3-7655-3717-9

Datum: 10.09.2003
Autor: Damaris Kofmehl
Quelle: Brunnen Verlag Schweiz

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