Weihnachtliche Gedanken

«Ich möchte nicht in deiner Haut stecken ...»

Die wohlige Ergriffenheit des Heiligen Abends löst bei vielen Menschen eine Gänsehaut aus. Einigen – vor allem wenn sie nur an Heiligen Abenden den Gottesdienst besuchen – gehen Gesang, Liturgie und Atmosphäre regelrecht «unter die Haut».
Winter

Grund genug, dieses «hautnahe» Erlebnis näher zu betrachten. Die Haut ist das grösste Organ des Menschen. Wir nehmen damit die Sinnesreize von aussen auf. Und umgekehrt. Hauterkrankungen sind nicht selten Ausdruck einer inneren Kränkung. Begriffe wie «aus der Haut fahren» oder «sich in seiner Haut unwohl fühlen», die «Haut zu Markte zu tragen» aber auch «mit Haut und Haar» sind in unseren Sprachgebrauch übergegangen. Oft genug und immer wieder wurde die Haut auch zum Signieren gebraucht: Kälber bekamen ein Brandzeichen. Und auch wir haben allesamt ein unsichtbares Zeichen auf unserer Haut. Wir haben es in unseren modernen Zeiten nur verlernt zu lesen. Auf der Stirn eines Jeden steht: «Ich bin ein Mensch!» Könnten wir dieses einfache Zeichen auf der Stirn des anderen heute noch sehen, würden wir nicht so unmenschlich miteinander umgehen.

Haut und Hoffnung

Doch da wurde in Betlehem seinerzeit ein Kind geboren, auf dessen Stirn leuchtete ein ganz anderes Zeichen: Nicht «Ich bin Mensch», sondern «Ich bin der menschgewordene Sohn Gottes. Im Leben, im Lieben und im Leiden will ich euch ein Vorbild sein.» Ganz deutlich: Gott, der allmächtige, gütige und barmherzige Vater, hat seinen Sohn in eine menschliche Haut gesteckt. Ja, Gott möchte in unserer Haut stecken. – Ein interessanter Aspekt.

Was genau heisst denn «in der Haut eines anderen stecken»? Nun, es heisst vornehmlich, in jemand anderen hineinzugehen, sich in ihn hineinzuversetzen. Sich nicht mit Äusserlichkeiten zufrieden zu geben, sondern in den Kern eines anderen Menschen vorzudringen.
«Nicht in deiner Haut stecken wollen» heisst aber, das Schicksal eines Anderen nicht teilen wollen, nicht die Kälte ertragen mögen, unter der er leidet, und nicht seine Narben und Verletzungen spüren müssen. Man möchte für den anderen nicht Partei ergreifen und sich nicht für ihn einsetzen. Unterm Strich bedeutet «nicht in der Haut eines anderen stecken wollen»: fehlende Nächstenliebe.

Weihnachten ist das Sinnbild des Gegenteils. Gott möchte für uns Partei ergreifen! Er möchte in unserem Innersten lesen können, wie es uns geht, welche Gedanken, Sorgen und Freuden wir haben. Er möchte unsere Wunden und Narben heilen. Dafür muss er in unserer Haut stecken.

Das Mit- und Füreinander

Und für uns heute ist dies eine immer noch währende Aufforderung, sich in die Haut des anderen zu versetzen: Partei zu ergreifen, wo Unrecht geschieht. Nicht wegzuschauen, sondern sich einzumischen: Die Einsamen zu trösten, die Sterbenden zu begleiten, die Kranken zu besuchen und den Schwachen zu helfen. Überall dort, wo ich bewusst in der Haut eines anderen stecken möchte, erkenne ich den anderen besser – und am Ende auch mich selbst! Damit erfüllt sich die Aufgabe eines jeden Christen: nämlich «nächstenlieb» zu sein, sich für den anderen zu interessieren, sich für ihn zu engagieren, sich für ihn zu brüskieren, vielleicht auch mal zu opportunieren, mit anderen Christen zu kooperieren und fremde Meinungen zu tolerieren, um somit meinen eigenen Glauben zu manifestieren.

«Ich möchte nicht in deiner Haut stecken» ist eine Komplettabsage an die christlichen Werte des Mit- und Füreinanders. Jesus Christus, der am heutigen Abend in eine menschliche Haut hineingeboren wurde und der uns in seinem kurzen Leben in allem, was er tat und sagte, Vorbild war, ist Mensch geworden, um uns genau daran zu erinnern. «Ja, ich möchte in deiner Haut stecken.»

Website:
Hans-Jörg F. Karrenbrock

Lesen Sie auch das Weihnachts-Interview mit Hans-Jörg-F. Karrenbrock:
Geboren an Weihnachten – fast in einem Stall

(Heute erscheint der Beitrag von K., morgen das Interview mit ihm)

Datum: 22.12.2012
Autor: Hans-Jörg F. Karrenbrock
Quelle: Jesus.ch

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