Jugendpsychiater Michael Winterhoff

Mit Kindern Werte einüben

Hilfsbereitschaft, Respekt oder Selbstdisziplin und andere Tugenden können Kinder trainieren. Dazu brauchen sie Anleitung und viel Geduld. Der Jugendpsychiater und Buchautor Michael Winterhoff erklärt im Interview mit dem Medienmagazin pro, was Eltern tun können, damit Kinder zu verantwortungsbewussten Menschen heranwachsen.
Michael Winterhoff(Foto: Gütersloher Verlagshaus)

 

Herr Winterhoff, ab welchem Alter versteht ein Kind eigentlich, was gut oder schlecht ist?
Ab einem Alter von etwa fünf Jahren weiss ein Kind: «Das darf ich und das darf ich nicht». Ein Kleinkind hat noch keinen Begriff von gut und böse. Deshalb sind Kinder unter zweieinhalb Jahren gewissermassen respektlos.

Und wie entwickelt ein Kind ein Gewissen oder moralische Massstäbe?
Die moralische Instanz ist ein Teil der Seele, der sich über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren ausbildet. Ob etwas richtig oder schlecht ist, erfährt das Kind durch die Reaktion der Eltern. Kinder wachsen in eine Familie hinein, in der es Werte gibt. Dadurch, dass Eltern ihnen diese auch abverlangen, werden diese verinnerlicht.

Können Sie das genauer erklären?
Die Werteentwicklung funktioniert über die Beziehung zwischen Eltern und Kind: Das Kind merkt, was Papa oder Mama gefällt oder was nicht. Ein kleines Beispiel: Wenn ein Kind «Arschloch» sagt, schicke ich es auf sein Zimmer. Das Kind wird das nächste Mal den Ausdruck nicht verwenden - nicht weil es auf das Zimmer gehen musste, sondern weil es meine entsetzte Reaktion erlebt hat.

Das hört sich recht einfach an. Viele Eltern machen sich aber Gedanken darüber, wie sie ihre Kinder fördern und erziehen können. Hunderte von Erziehungsratgebern füllen die Regale in den Buchhandlungen. Woher kommt die Unsicherheit vieler Eltern?
Das liegt an dem Konzept. Viele Eltern behandeln ihr Kind nicht als Kind, sondern als Partner. Das überfordert viele Kinder. Ich verdeutliche das an dem Beispiel eines Tennistrainers. Wenn ich als Anfänger  zu ihm komme, wird er mich anleiten und üben lassen. Habe ich Erfolg, lobt er mich. Er wird Übungen machen, die Körperhaltung korrigieren und mich liebevoll trainieren, weil er mich als Schüler sieht. Erst wenn ich die Grundtechniken beherrsche, wird er Spieltaktiken mit mir besprechen.

Sieht er mich aber  als Partner, würde er mir erklären, wie man Tennis spielt, es vielleicht ein- oder zweimal demonstrieren. Dann würde der Trainer erwarten, dass ich das nachmache und beherrsche.  Wenn er dann merkt, dass es nicht so klappt, sagt er wohlmöglich: «Ach, lassen wir das für heute, gehen wir etwas trinken.»  Warum? Weil er Angst hat, dass ich ihn sonst nicht mehr mag. So geht es vielen Eltern auch. Sie haben Angst davor, die Zuneigung ihrer Kinder zu verlieren.

Das heisst, das Kind wird heute überschätzt und überfordert?
Ja. Es bekommt zu wenig Anleitung, zu wenig Strukturen und ist überfordert mit der Verantwortung, die Eltern ihm schon in sehr jungen Jahren übergeben.  Seit den 90er Jahren ist die partnerschaftliche Erziehung modern geworden. Damit werden Kinder schon früh wie Erwachsene behandelt. Das wäre so, als ob der Trainer sagen würde: «Nun nehmen Sie den Tennisschläger und machen Sie mal!»

Angenommen, ich möchte meinem Kind beibringen, Respekt vor anderen zu haben, aber auch hilfsbereit zu sein. Was tue ich bei einem Kind im Grundschulalter, um die Entwicklung dieser Werte zu fördern?
Respekt wird nicht anerzogen, sondern er entsteht durch die Entwicklung der Seele und der Beziehungsfähigkeit. Ein 5-Jähriger verhält sich sozial, weil ich es ihm sage. Er würde Kekse mit anderen Kindern teilen, weil ich mich darüber freue, nicht weil er sich in ein anderes Kind hineinversetzen kann und diesem etwas abgeben möchte.

Vereinfacht gesagt: Wenn ein Kind eine reife Entwicklung durchläuft und erziehende Eltern hat, wird es diese anerkennen und respektieren. Es wird viel für die Eltern oder auch die Lehrer tun.

Kinder tun also das, was sie tun, für die Eltern oder andere Bezugspersonen. Lernen sie denn Werte wie beispielsweise Hilfsbereitschaft und Mitgefühl durch das Vorbild der Eltern?
Natürlich funktioniert es ohne das Vorbild der Eltern gar nicht. Eltern müssen das vorleben, was sie von Kindern erwarten. Das muss Hand in Hand gehen: Die Wertevorstellungen, die Eltern leben, müssen sie dem Kind erst beibringen, sie einüben. Das tue ich beim kleinen Kind, indem ich meine Handlungen und Reaktionen mit Worten begleite und deutlich vermittle: «Das freut mich.» Oder «Jetzt bin ich ärgerlich.» Oder «Darüber bin ich traurig.»

Das heisst, sich allein auf das gute Vorbild zu verlassen, reicht nicht aus.
Nein. Neben dem Vorbildsein muss noch viel viel mehr geleistet werden: Eltern müssen immer wieder liebevoll anleiten, immer wieder einfordern. Je kleiner die Kinder sind, desto mehr muss ich regeln. Bei älteren Kindern kommt das  begleitende Gespräch dazu. Eltern leisten hier eine ganze Menge Arbeit.

Das vollständige Interview mit Michael Winterhoff lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des christlichen Medienmagazins pro. Diese können Sie kostenlos bestellen unter 06441/915151oder per E-Mail unter info@pro-medienmagazin.de

Datum: 28.06.2010
Quelle: PRO Medienmagazin

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