Erwachsenwerden

„Lass mich in Ruhe!”

„Unsere Tochter Mirjam zieht sich immer mehr zurück. Wenn ich mit ihr reden will, heisst es: „Lass mich in Ruhe! Du weisst ja doch alles besser!“ Als sie letzte Woche mit Freundinnen ins Kino ging, fragte ich sie, ob man sie eventuell über Handy erreichen könnte. Doch schon das war zu viel. Ich denke, es ist in Ordnung, wenn ich als Mutter wissen will, wohin meine Tochter geht.“


Ihre Tochter braucht das Gefühl, dass Sie ihr vertrauen!

Ich hoffe, dass ich Sie mit meinen Zeilen ein Stück in die Lebenswelt von Mirjam mit hineinnehmen kann. Zwar kenne ich Ihre Tochter nicht, aber durch viele Begegnungen mit Teenagern ahne ich ein wenig, wie sich Mirjam womöglich fühlt.

1.Vom Kind zum jungen Erwachsenen

Viele Jahre haben Sie ihre Tochter umsorgt und versucht, ihr eine gute Mutter zu sein. Nun aber ist Mirjam älter geworden und es ist gut möglich, dass sie dieses „Umsorgt-Werden” einfach nicht mehr will. Sie will in immer mehr Bereichen ihres Lebens die Verantwortung für sich selber übernehmen und nicht mehr auf Mutter oder Vater hören müssen. Natürlich ist auch Mirjam klar, dass sie nicht alles alleine regeln kann. Sie spürt genauso, dass sie finanziell abhängig und in vielem den Anforderungen der Erwachsenenwelt noch nicht gewachsen ist. Dennoch möchte sie Lebensbereiche wie Freundschaften, Schule, Freizeit, Kleidung, Zimmer, Tageseinteilung und „Ordnung” selber verantworten, darin experimentieren und sich intuitiv von Ihren Überzeugungen als Eltern „absetzen”. Wenn dies auch bei Ihrer Tochter so ist, dann hat sie Ihre Frage nach den Freundinnen und nach der Handynummer als eine weitere unzulässige Einmischung in private Planungen erlebt. Dies wirkt wie eine bewusste Gängelung oder Bevormundung auf Mirjam. Womöglich hat sie noch keine Möglichkeit gefunden, sich hier von Ihnen emotional zu lösen. Um ihrer Entwicklung willen muss sie dies aber lernen.

2. Loslassen lernen

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie Ihre Tochter nicht verärgern möchten. Doch Ihre Sorge um die Tochter führt immer wieder zu solchen Nachfragen, die Mirjam negativ erlebt. Vielleicht wäre es gut, wenn Sie Ihre Tochter bewusst ein weiteres Stück loslassen. Versuchen Sie doch auch, mit Jesus Christus über Ihre Sorge um Mirjam zu sprechen und ihn zu bitten, auf sie aufzupassen. In seinen Händen ist sie ohnehin am besten aufgehoben.

3. Vertrauen wagen

Mirjam braucht dringend das Gefühl, dass Sie als Eltern ihr vertrauen. Vor allem, dass Sie ihr zutrauen, die Lebensbereiche, die sie vermehrt für sich beansprucht, geregelt zu bekommen. Dies bedeutet nicht, dass Sie ihr jetzt einen Freibrief für alles ausstellen, was Mirjam will. Sie braucht weiter Grenzen, die für Sie als Eltern wichtig sind. Aber Sie können diese Grenzen nicht mehr einfach „befehlen” und „blinden” Gehorsam erwarten. Vielmehr geht es darum, die Grenzen mit ihr auszuhandeln und so zu verabreden, wie dies Erwachsene untereinander tun.

Übrigens: Erziehungsmethoden, die sehr stark von der Gehorsamspflicht der Kinder ausgehen, greifen bei 12- bis 17-Jährigen immer weniger. Mehr denn je sind jetzt solche Erziehungsstile gefragt, die mit einer verständnisvollen Haltung dem Teenager begegnen. Dies bedeutet nicht, dem Teenager immer Recht zu geben. Vielmehr hilft diese Haltung, Brücken zu bauen, über die – trotz des entwicklungspsychologisch notwendigen Grabens — aneinander Anteil genommen, Gefühle ausgetauscht und häusliche Regeln und Aufgaben abgesprochen werden können. Je enger die Familienatmosphäre und der elterliche Erziehungsstil von Teenies erlebt wird, umso deutlicher kann es zu einer „fristlosen Kündigung” des Teenies gegenüber den Vorstellungen, Werten, Gefühlen, Planen und Hoffnungen der Eltern kommen. Für diese Kündigung steht dann neben anderem ein völliger Rückzug, ein unkontrollierter emotionaler Ausbruch oder Flucht aus der elterlichen Umgebung hinein in die Gruppe der Gleichaltrigen. Daher sollten Eltern ein Gespür dafür entwickeln, wo sie zur Bedrängung ihres Teenies neigen und ihn in solchen Situationen ganz bewusst frei geben.

Datum: 17.01.2007
Autor: Wilfried Veeser
Quelle: Neues Leben

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