Kindererziehung

Zurück in die Zukunft

Pädagogen sprechen von Erziehungsnotstand. Und dies in einer Zeit, wo man alle gesellschaftlichen Probleme euphemistisch kaschiert. Bekannte Namen machen sich jetzt für eine Rückbesinnung auf die Autorität der Erziehenden und ihre Durchsetzung stark.



Während Eltern auf Ratgeberseiten immer noch die Frage stellen, ob man Partner und Freund seines Kindes sein dürfe, sprechen Pädagogen vom Scheitern der partnerschaftlichen Erziehungsstile. Die NZZ am Sonntag rezensiert in ihrer jüngsten Ausgabe gleich zwei Werke, die in die gleiche Richtung weisen.

Experiment „freie Erziehung“ gescheitert

„An Bernhard Buebs ‚Lob der Disziplin’ werden auch eingeschworene Anhänger einer machtfreien, ja machtfeindlichen Reformpädagogik nicht vorbeigehen können“, stellt der Rezensent fest. „Denn der Autor gehörte lange zu ihrer Konfession: Bernhard Bueb war Schüler des deutschen Schulreformers Hartmut von Hentig und leitete über dreissig Jahre die deutsche Internatsschule Schloss Salem, die für Erziehungs- und Bildungskonzepte abseits des normalen Schulbetriebs bekannt ist.“ Nun habe sich Bueb zum Renegaten erklärt und sich von seinen früheren „träumerischen Gedanken einer freien Erziehung“ mit dem Ziel, „durch die scheinbare Gewährung von Selbstbestimmung Jugendliche zu verantwortlichem Handeln“ zu erziehen, verabschiedet. Sein heutiges Fazit laute: „Das Experiment ist vollständig gescheitert.“

Durch Unterordnung und Verzicht zum Ziel

Der Pädagoge fordert stattdessen die Rückkehr zur „alten Wahrheit, dass nur der den Weg zur Freiheit erfolgreich beschreitet, der bereit ist, sich unterzuordnen, Verzicht zu üben und allmählich zu Selbstdisziplin und zu sich selbst zu finden“. Der Glaube, zwischen Lehrern und Schülern, zwischen Eltern und Kindern sei ein „partnerschaftliches Verhältnis“ herzustellen, erkennt er jetzt als Quelle von Erziehungsfehlern. Wer in Familie und Schule alles zur Disposition von „Verhandlungen“ stelle, eine Schüler-Mitbestimmung etabliere und die Zustimmung der Kinder und Jugendlichem zu einem zentralen Kriterium pädagogischen Handelns macht, der werde mitschuldig am herrschenden „Erziehungs- und Bildungsnotstand“.

„Viele irren ziel- und führungslos durchs Land“, bilanziert Bueb, weil der Erziehung „das Fundament weg gebrochen“ sei, nämlich „die vorbehaltlose Anerkennung von Autorität und Disziplin“. Von den Heranwachsenden wünscht sich der Pädagoge mehr Manieren und erwartet von Schule und Familie, dass sie mehr Zeit für Rituale einzuräumen.

Mut zur Macht in der Erziehung

Auch die Lehrerin Vera Frey und der Unternehmensberater Stephan König wollen mit ihrem Buch „Mut zur Macht“ die Autorität der Erziehenden stärken. Sie bieten ein Trainingsprogramm für machtbewusste und machtkompetente Lehrer an. Die Autoren entwickeln „Machtstrukturanalysen“ der Beziehungen zwischen Eltern, Lehrern und Schülern, um daraus Techniken der „operativen Machtausübung“ abzuleiten, die guten Unterricht ermöglichen sollen. Dabei werden auch Kleidung, Gestik und Mimik der Erziehenden ihrer Selbstkontrolle unterworfen. Manches ist bedenkenswert und kann die Lehrerausbildung gar bereichern.

Dem Rezensenten der NZZ, Heribert Seifert, ist es dabei nicht mehr ganz wohl. Er bemängelt, Erziehung werde hier reduziert auf Taktiken zur Durchsetzung des legitimen Lehrerwillens: „Formulierungen wie ‚Der Lehrer ist der Boss’ mögen gequälten Pädagogenseelen gut tun. Sie verführen aber zu falschen Schlüssen und treiben zum Irrweg, es doch einfach wieder mit autoritärem Auftreten zu versuchen.“

Erziehung als Kunst statt Technik

Dass es ohne dieses ganz bestimmte Auftreten in heutigen Realklassen keinen geregelten Unterricht geht, werden hingegen Lehrkräfte bestätigen, die auch mit den Schülerinnen und Schülern am Rande unseres Systems noch Lernziele verfolgen möchten.

Eine Mittelstellung nimmt in der Diskussion der Erziehungsberater und Bestsellerautor Jan-Uwe Rogge ein. Er erinnert an den gesunden Menschenverstand, der vielen Eltern und Lehrern angesichts der überbordenden Ratgeberliteratur abhanden gekommen sei. Von Disziplin oder gar Macht der Erziehenden mag er jedoch nicht reden. Seine Kernaussage, zitiert in der Aargauer Zeitung, lautet: „Ich verstehe Grenzen setzen nicht als Technik, als Mittel zur Einengung, sondern als Haltung dem Kind gegenüber, aber auch als Achtung vor mir selbst.“ Haltung beinhalte ja das Wort Halt, das heisst: „Ich zeige dem Kind, dass ich ihm Halt gebe, dass ich es annehme, wie es ist, aber auch eine eindeutige Position: „Bis hier und nicht weiter.“

Wenn die gesetzte Grenze überschritten werde, gelte es Konsequenzen folgen zu lassen, die einen Zusammenhang mit der Grenzüberschreiung hätten und auch durchsetzbar seien. Rogge will aber nicht von Sanktionen und Strafen reden. Denn Strafen würden als Racheakt empfunden und provozierten Machtproben. Rogge formuliert damit eine Position die sich im normalen Erziehungsalltag wohl bewährt, aber im Umgang mit Jugendlichen, die zum Beispiel aus Kulturen mit ausgeprägten Machtstrukturen stammen, in der Praxis oft abprallt.

Datum: 08.12.2006
Autor: Fritz Imhof
Quelle: SSF

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