"Die Leidtragenden sind die Jugendlichen"

Die Ruach wurde stillgelegt. Die Jugendlichen dürfen nicht mehr aufs Jugendschiff.
Hansulrich Birenstihl vergeht nun das Lachen. Das Sozialamt lässt Schwererziehbare lieber auf der Strasse oder in geschlossenen Anstalten.

Die Foltercamp-Affäre in Spanien hat auch Folgen für die Jugenddisziplinarschiffe von Hansulrich Birenstihl. Schwererziehbare sitzen nun in geschlossenen Abteilungen oder hängen auf der Strasse. Auf die Schiffe im Atlantik dürfen sie im Moment nicht mehr.

Im Interview kritisiert der Sozialpädagoge die Handlungsweise des Stadtzürcher Sozialdepartements.

Herr Birenstihl, Sie segeln mit Schwererziehbaren über den Atlantik. Was genau bringt den Jugendlichen diese aussergewöhnliche Methode?
Der schwererziehbare Jugendliche muss sich erst mal von Drogen, Alkohol und der Kriminalität distanzieren. Viele Jugendliche wachsen in zerrütteten Familien auf, oder verbringen die meiste Zeit auf der Strasse. Dort wollen wir sie wegholen. Auf dem Schiff können sie eine Seefahrerausbildung parallel zur Schule absolvieren und erhalten Bestätigung bei ihrer Tätigkeit. Ausserdem bekommen sie auf dem Schiff eine neue Chance, weil ihnen das Umfeld von Anfang an positiv begegnet.

Nächstens müssen Sie ein Schiff stilllegen. Wo befinden sich dann die Jugendlichen?
Die Jugendlichen werden in geschlossene Abteilungen gesteckt, oder leben wieder auf der Strasse.

Ein Jugendlicher wurde kürzlich vom Sozialdepartement der Stadt Zürich von Ihrem Schiff geholt. Was passiert mit ihm?
Er wurde in eine geschlossene Anstalt gesteckt, hängt aber jetzt nach neusten Informationen am Bahnhof Zürich rum. Offenbar ist er nicht mehr betreut.

Das Sozialdepartement der Stadt Zürich hat aber bestätigt, dass der Junge in einer Geschlossenen weilt.
Das stimmt nicht.

Ausserdem verweist das Sozialdepartement der Stadt Zürich darauf, dass Ihre Schiffe nicht unter Schweizerischer Rechtsordnung stehen und deshalb schwierig zu kontrollieren seien. Liegt da das Problem?
Das ist nicht korrekt. Schliesslich versteuern wir den Ertrag der Schiffe im Kanton Bern.
Ausserdem liefen die Kontrollen mit dem Sozialdepartement von Basel zum Beispiel immer sehr gut ab. Zürich hat sich leider nie vor Ort gezeigt.

Wo liegt denn das Problem, dass Sie Ihre Schiffe nicht mehr genügend belegen können?
Fakt ist, dass mir die Stadt Zürich vor drei Wochen schriftlich bestätigte, es liege an den 320 Franken pro Tag. Das sei einfach zu teuer für eine Betreuung eines schwererziehbaren Jugendlichen.

Das Sozialdepartement der Stadt Zürich behauptet aber, es liege nicht am Geld.
Ich bin jetzt schon über zehn Jahre im sozialen Bereich tätig. Da laufen sehr viele Machtspiele.

Was für Machtspiele?
Zum Beispiel sind die Auswahlverfahren für Plätze undurchsichtig. Die Stadt Zürich zum Beispiel sucht sich die Betreuungsstandorte auf dem Papier aus. Das ist nicht seriös. Mich ärgert es auch, dass sie keine Kontrollen vor Ort machen. Jugendliche werden sozusagen in die Höhle des Löwen geschickt.

Was löst das in Ihnen aus?
Es macht mich wütend, weil hier geschlampt wird und es nicht mehr um die Jugendlichen geht. Sie sind die Leidtragenden. Mein Ziel ist es aber, den schwererziehbaren Jugendlichen eine neue Chance zu geben, um sich in die Gesellschaft integrieren zu können.

Gelingt Ihnen das auch?
Eine Studie der Universität Zürich besagt, dass wir bei acht von zehn Jugendlichen erfolgreich sind. Ich denke, dass sagt genug aus.

Hansulrich Birenstihl gründete vor 10 Jahren das christliche Jugendheim Sternen.
Mittlerweile besteht es aus 5 Jugendheimen und zwei Segelschiffen.
Jugendliche, die nicht mehr tragbar sind in der Gesellschaft, erhalten in dieser Einrichtung eine neue Chance. Birenstihl setzt als erfahrener Sozialpädagoge auf die Erlebnispädagogik.
Jugendlich fassen im Sport und in der Natur neues Selbstvertrauen und lernen sich spielerisch in Gruppen einzufügen.

Datum: 04.12.2006
Autor: Iris Muhl
Quelle: Livenet.ch

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