Verwöhnung - Der sicherste Weg zur Lebensuntüchtigkeit

Überfluss macht Kinder nicht wirklich glücklicher
Echte Bedürfnisse von unechten unterscheiden
Erziehen heisst Grenzen setzen! Foto: glueckskaefer.de

Viele Eltern sind zutiefst verunsichert und wissen nicht, wie sie sich ihren Kindern gegenüber verhalten sollen. “Sehen Sie, ich habe keinen Einfluss mehr auf mein Kind”, hören Lehrer, die sich über das schlechte Benehmen eines Schülers beklagen. Den Eltern ist der Massstab abhanden gekommen. Die in den sechziger Jahren aufgekommene Theorie der antiautoritären Erziehung ist gescheitert. Trotzdem ist das Gewährenlassen des Kindes noch immer fest in den Köpfen verankert. Viele Eltern haben Angst, ihr Kind werde traumatisiert, wenn man ihm klare Grenzen setzt oder etwas verbietet.

Heute sind viele Väter und Mütter beruflich stark engagiert und finden wenig Zeit für ihren Nachwuchs. Aus schlechtem Gewissen verhätscheln sie das Kind oder versuchen, den Mangel durch materielle Dinge zu kompensieren. Wohl alle Eltern möchten, dass ihre Kinder glücklich sind und zu zufriedenen Menschen heranwachsen. Wie können sie ihnen dabei helfen? Bevor sie nicht selbst wissen, wodurch Zufriedenheit kommt, wird ihr Bemühen fruchtlos sein.

Der Weg zum Glück

Teilen nicht viele die Auffassung, das Glück hänge von der Befriedigung all unserer Wünsche ab? Das ideale Umfeld, Erfolg, Schönheit, Intelligenz, Geld und Einfluss seien Garant für ein glückliches Leben? Das, was wir selbst darüber denken, und unser eigenes Handeln und Bestreben prägt auch unsere Kinder. Ist der Weg, den wir ihnen weisen, wirklich ein Weg zum Glück?
Viele Eltern haben grosse Schwierigkeiten, ihr Kind traurig oder wütend zu sehen, wenn seine Wünsche nicht befriedigt werden. Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist es ganz angewiesen auf die Liebe und Fürsorge der

Mutter. Ihre Wärme und Nähe gibt ihm Sicherheit und Geborgenheit. Bald schon lernt die Mutter zu unterscheiden zwischen Quengeln, grundlosem Schreien und einem echten Bedürfnis. Ein echtes Bedürfnis sollte unbedingt gestillt werden, sonst fühlt sich der kleine Mensch ungeborgen und verlassen.

Echte von unechten Bedürfnissen unterscheiden

Das Krabbelkind muss bereits lernen, dass das Wörtchen “Nein” eine Bedeutung in seinem Leben hat. Zu seinem Wohl wird ihm die Mutter die Schokolade vielleicht verweigern, auch wenn es lauthals schreit. Bitte und danke zu sagen sollte schon früh eingeübt werden. Im Kindergarten- und Schulalter wachsen die Ansprüche bereits. Das Kind sieht, was andere besitzen, und meint, all diese Dinge stünden ihm automatisch auch zu. Es versucht auf die Eltern Druck auszuüben, schmollt, weint oder reagiert auf ein Nein mit Aggressivität. Viele Mütter, aber auch Väter, werden daraufhin weich und geben, was das Kind verlangt. Wir alle lernen durch Erfahrung. Auch das Kind. Es checkt bald einmal, wie es sein Ziel erreichen kann. Mehr und mehr übernimmt es die Kontrolle. Die Eltern springen und schaffen das herbei, was gewünscht wird, um Terror zu vermeiden. Ein Tyrann ist geboren. Aber die Befriedigung all dieser Wünsche macht dieses Kind nicht etwa glücklich. Seine Ansprüche wachsen und damit das Gefühl, alle andern seien dazu da, ihm zu Diensten zu stehen.

Wachsende Ansprüche

Manchmal ist der Wunsch eines Kindes verständlich, kann aber trotzdem nicht erfüllt werden. Eltern sollten ihm schon früh beibringen, dass man sich gewisse Dinge erarbeiten muss. Unterlässt man dies, wird die Anspruchshaltung immer grösser. Man kann im Leben nun mal nicht alles haben. Je früher ein Kind das lernt, desto besser.
Für Teenager werden die Grenzen weiter gesteckt. Sie brauchen mehr Freiheiten, müssen aber auch mehr Verantwortung übernehmen. Klare Grenzen, die konsequent eingehalten werden müssen, sind auch in diesem Alter unabdinglich. Es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, dem Kind zu zeigen, dass es nicht der Bauchnabel des Universums ist. Das Leben im sozialen Gefüge wird ihm dadurch erleichtert. Niemand ist gern in Gesellschaft von Egoisten, die nur sich selbst und ihre Wünsche sehen.

Ständige Erwartungshaltung

Wir alle kennen Menschen, die immer Privilegien und Sonderbehandlungen fordern. Sie glauben, gewisse Vorteile stünden ihnen von Natur aus zu. Sie sind nicht teamfähig und können sich schlecht an Regeln halten. Ständig verlangen sie etwas von andern und reagieren mit Protest und Kritik, wenn es ihnen verweigert wird. Man muss sie hätscheln, kann sie aber trotzdem nie zufrieden stellen. Sie begehren Zuneigung, ungeteilte Aufmerksamkeit, stellen Besitzansprüche an Menschen und Dinge, ohne eigene Bereitschaft zu geben. Sie wundern sich, wenn die Leute sich von ihnen zurückziehen und ihre Einsamkeit immer grösser wird. Gleichzeitig wächst das Gefühl von Neid und Eifersucht.

Eltern, die es "so gut meinen"

Der Nährboden für diese negativen Charakterzüge wird schon früh gelegt. Gerade Eltern, die es “so gut meinen”, dass sie dem Kind nichts abschlagen können, weil es sonst frustriert ist, zementieren diese ständige

Erwartungshaltung. Es trägt nicht zum Glück, sondern zum Unglück des Kindes bei, auch wenn die Eltern das Gegenteil wünschen. Aus Angst vor Ablehnung trauen sich viele Mütter und Väter nicht mehr, bestimmt aufzutreten und auf Regeln zu bestehen. Man trifft zwar bestimmte Vereinbarungen, unternimmt aber nichts, wenn Grenzen überschritten werden.
So versprach die Mutter Rahel, sie dürfe in den Frühlingsferien Reitstunden nehmen, wenn sie zuverlässig die Hausaufgaben mache und die aufgetragenen Ämtlein daheim ohne Murren erledige. Die Abmachung war klar. Doch Rahel hielt sich in keiner Weise daran. Reitstunden erhielt sie trotzdem. Diese Inkonsequenz führt zu grossen Problemen, in der Schule, wie auch später im Leben. Das Leben funktioniert nun mal nur, wenn gewisse Spielregeln eingehalten werden. Es hat verheerende Folgen, wenn gut meinende Eltern dem Kind alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen.

Verwöhnung

Vor einigen Jahren drehte eine pädagogische Kommission in Amerika die Fragestellung “Was ist richtige Erziehung?” um und fragte: “Was muss ich tun, damit mein Kind mit dem Leben nicht zurecht kommt und straffällig wird?” Die Kommission stellte zwölf Regeln auf. Hier ein Auszug:

¨ “Fangen Sie in früher Kindheit an, dem Kind alles zu geben, was es will. Auf diese Weise wird es bald glauben, dass die Welt ihm das Leben schuldig ist ...
¨ Geben Sie ihm keinerlei religiöse Erziehung ...
¨ Versuchen Sie, das Wort ‘unrecht’ zu vermeiden. Das könnte zu einem Schuldkomplex führen ...”

Frust und Bitterkeit als Folge

Schon Rousseau fragte vor zweihundert Jahren: “Kennt ihr das sicherste Mittel, euer Kind unglücklich zu machen? Gewöhnt es daran, alles zu bekommen! Denn seine Wünsche wachsen unaufhaltsam mit der Leichtigkeit ihrer Erfüllung.”
Bewusst verwöhnen will vermutlich kein Elternpaar, aber wie schnell geschieht es trotzdem. Es ist nicht ganz einfach, herauszufinden, wann aus Zuwendung Verhätschelung wird. Es sind nicht nur die übervollen Kinderzimmer, ungeregelter Fernsehkonsum, übermässig hohes Taschengeld – es ist auch ein tatenloses Zusehen bei Grenzüberschreitungen, das Gewährenlassen, willkürliches Aufgeben von gemachten Absprachen, das Wegräumen jedes Hindernisses und das Abnehmen jeglicher Verantwortung. Wenn ein Kind glaubt, alles sei auf die leichteste Art zu bekommen, wird es mit Frustration und Bitterkeit reagieren, wenn dieses Erfahrungsprinzip später nicht mehr stimmt.


Leichte Überarbeitung (Kürzung): Livenet, ch / Antoinette Lüchinger

Autorin: Yvonne Schwengeler
Quelle: Ethos Magazin

Datum: 27.03.2003

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