Mut zum Erziehen

Was Familien stark macht
Eva Zeltner

Wie in der Schulpädagogik ist auch in der Erziehung im Elternhaus das grosse Experimentieren und letztlich eine grosse Unsicherheit eingekehrt. Doch der Ruf nach Werten und dem Setzen von Grenzen wird lauter. Aber wie, wenn kein allgemein akzeptierter Wertekatalog mehr besteht?

In den Siebziger Jahren verloren wir unsere Kinder an die Drogensucht, in den Achtzigerjahren an eine ausufernde Pseudofreiheit, in den Neunzigern an Lust und Frust - und heute? Immer mehr junge Leute fallen in Depressionen und leiden an Lebensuntüchtigkeit. Viele Familien sind längst zerstört, andere überfordert, viele verunsichert. Zum Beispiel hinsichtlich klarer Leitlinien für die Erziehung ihrer Kinder. Noch nie haben Eltern so viele Ratgeber und Erziehungsbücher zur Verfügung gehabt, noch nie haben sie so gut gewusst, was man falsch machen kann. Aber auch noch nie haben sie wohl so wenig gewusst und gespürt, was sie ihren Kindern auf den Lebensweg mitgeben können.

Sinn oder Unsinn?

Nicht nur Sinn und Unsinn der Erziehung der Kinder sind fraglicher geworden denn je, auch Väter und Mütter sind über ihre Rolle verunsichert. An den Geschlechterrollen wird seit den 68er Jahren wild herumgebastelt. Daraus entstand schliesslich die moderne Definition der "Partnerschaft" auch in der Ehe. Mann und Frau haben jetzt gleiche Rechte und tragen gleiche Pflichten. "Ehemann" und "Ehefrau" wurden abgeschafft. Die Umsetzung des neuen "Rollenverständnisses" überfordert viele. Gerade auch in der Erziehung: neue Mütter sind gefragt, die Beruf, Karriere und Familie im Griff haben. Dem Ruf der Wirtschaft nach den Müttern folgte alsbald die Versicherung moderner Pädagogen, für die Entwicklung der Kinder könnten auch mehrere Bezugspersonen gleichzeitig sorgen. Doch kaum hat die Mutter diese Beruhigung, wird ihr klar gemacht, dass sie zwar einerseits zur Karriere berufen und berechtigt sei, dass die den Spagat Karriere und Kindererziehung aber kaum schaffen werde. Ganz aktuell zum Beispiel in "Die Weltwoche" vom 30. Mai.

Auch die Schule erklärt sich immer mehr für überfordert, ebenso das Sozialsystem. Nun sollen die oft schon überforderten Eltern erneut in Pflicht genommen werden. Sie sollen einerseits die wirtschaftliche Basis, die für Familien in der Schweiz immer schwächer wird, sicherstellen und gleichzeitig den Nachwuchs besser betreuen und kontrollieren. Die Perspektive, dass die öffentliche Hand demnächst die Leistung der Familien für die Zukunft der Gesellschaft honorieren könnte, liegt in weiter Ferne. Sollen sich Paare überhaupt noch dem Risiko aussetzen, Kinder zu bekommen, deren Erziehung und Entwicklung so teuer und risikoreich ist? Ja, ist nicht allein die Familie ein Konstrukt mit unzähligen Risiken, wie es z.B. der Psychologe Allan Guggenbühl anschaulich zu schildern weiss?

Welcher Erziehungsstil?

Fast alle sind sich einig: Kinder sollen zu sozialen intelligenten, anpassungsfähigen, kreativen und genussfähigen Wesen mit gesundem Selbstvertrauen erzogen werden. Doch nach welchem Stil: autoritär, autoritativ, demokratisch, partnerschaftlich oder sozial-integrativ? Zurzeit bekommt der autoritative Stil neuen Auftrieb. Grenzen seien zu setzen und Werte zu vermitteln. Der Glaube an die Wirkung einer gesunden Erziehung bekommt wieder Auftrieb. Aber welche Werte haben wir denn, und wie setzen wir Grenzen, wenn das Kind weder körperliche noch psychische "Gewalt" - vom Klaps auf den Hintern bis zum bestimmter werdenden Befehl zur Zimmerräumung - erträgt?

Die Eltern konkurrieren mit den zunehmenden Einflüssen der wirtschaftlichen und sozialen Umwelt: Die Kommerzialisierung der jugendlichen Kaufkraft treibt ihre Blüten - mit einem immer weniger sanften Druck auf das Portemonnaie der Eltern. Ausufernd ist hier das Geschäft nicht nur mit elektronischem und esoterisch geprägtem Spielzeug und Phantasy-Produkten, sondern auch mit Medien: Film, Video, Internet, Kino, TV. Seit einigen Jahren hat mit der Verbreitung des Handys auch der Telekommunikationsmarkt die Kinder erreicht.

Perspektiven

Eva Zeltner hat schon vor 10 Jahren dafür plädiert, dass Erziehen durchaus Sinn mache. Auf dem Cover ihres Buches steht der Titel "Mut zur Erziehung" und gleich darunter das auf eine Hauswand gesprayte und mit drei Ausrufezeichen versehene Wort "hilflos". Das deutet die heutige Befindlichkeit vieler Erziehender an. Zeltners Buch ermutigt Eltern und Lehrpersonen, Grenzen zu markieren und sie auch durchzusetzen. Doch wie, wenn es an allgemein anerkannten Normen und moralischen Massstäben fehlt? Die Normen sind durch die sozialen Bezüge gegeben. Moderne Werte wie Partnerschaftlichkeit, Unabhängigkeit, Kreativität, Mut und Festigkeit spielen bei ihr eine grosse Rolle. Der vertikale Bezug, aus dem unsere Gesellschaft früher Werte und Normen schöpfte, ist auch bei Zeltner obsolet.

Angst wegnehmen

Eva Zeltner hat erkannt: "Aus Angst, Fehler zu machen und zum Teil aus Angst vor den eigenen Kindern handeln viele Erwachsene entweder gar nicht, oder sie suchen Zuflucht bei "Mythen" wie zum Beispiel: "Wenn Märchen den Kindern nicht schaden, dann sind auch elektronische Medien unschädlich". Oder: "Waffen gehören zur männlichen Entwicklung". Aber sie nennt auch den Mythos: "Kinder schulden ihren Eltern Dank". Zur Entlastung der Eltern nennt sie einen Mythos: "Ich bin für das Wohlergehen meines Kindes verantwortlich".

Zeltner betont die eigenständige Entwicklung eines jungen Menschen und zugleich die begleitende und leitende Hand der Erwachsenen. Sie plädiert für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertes. Viele Christen werden ihr in wesentlichen Aussagen zustimmen, aber da und dort auch Widerspruch anmelden.

Zeltner sieht im Erziehen eine der schönsten und wichtigsten Aufgaben. Das soll die Erziehenden gerade nicht daran hindern, auch Widerstand zu leisten, wenn Zöglinge die Grenzen austesten: "Ein Nein zur rechten Zeit erspart viel Widerwärtigkeit!" Eine grosse Zahl von Eltern blicke "auf verschlissene Eltern und Lehrkräfte zurück, die glaubten, mit Anbiederung und Scheintoleranz die Gunst der Jugend gewinnen zu können." Hier meldet Zeltner entschlossenen Widerspruch an.

Dazu - Die Väter

Erziehung scheint gemeinhin vor allem Sache der Mütter zu sein. Nicht so beim Gründer der Willow Creek Gemeinde in Chicago, Bill Hybels. In seinem Buch "Was Familien stark macht", beschreibt er vor allem die erziehende Hand seines Vaters. Dieser erzog ihn zu Selbständigkeit, Disziplin, aber auch zu sozialem Verhalten. Die Mutter kommt in diesem Buch nur am Rande vor. Anhand seiner eigenen Erfahrung beschreibt Hybels die Rolle der Eltern in den verschiedenen Entwicklungsphasen des Kindes, meint aber an einer Stelle ganz lakonisch: Es ist und bleibt ein Rätsel, wie Kinder zu dem werden, was sie später als Erwachsene sind."

Datum: 13.02.2003
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Bausteine/VBG

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