Teenies mit „elastischer Festigkeit“ begegnen

René E. Häsler
Das CIG-Haus ist ein ehemaliges Hotel im Chaletstil.
Beim Unterricht
Dampf ablassen bei der Arbeit im Wald.

Das Christliche Internat Gsteigwiler (CIG) sieht zwar äusserlich idyllisch aus. Doch hinter den Holzfassaden im Chaletstil fliegen manchmal die Späne. Die meisten jungen Leute „geniessen“ hier ihre schulische Ausbildung, weil es andernorts nicht mehr ging. René E. Häsler hat zusammen mit einem Kollegen vor 17 Jahren das Internat gegründet und mit drei Schülern eröffnet.

Heute bevölkern 36 Schülerinnen und Schüler die Internatsschule bei Interlaken. Zusätzlich werden in der Aussenstation Grindelwald, im Time-Out-Station Bönigen und im Lehrlingshaus Interlaken rund weitere 25 Jugendliche geschult und sozialpädagogisch betreut. Die meisten haben eine schwierige Vergangenheit hinter sich. Häsler möchte sie zu integrierten Gliedern dieser Gesellschaft machen. Eine immer grössere Herausforderung.

Livenet: René E. Häsler, was hat Sie bewogen, aus dem sicheren Schuldienst auszusteigen und sich ins Abenteuer des Aufbaus einer Privatschule mit Internat für verhaltensauffällige junge Menschen zu stürzen?
René E. Häsler: Als Lehrer sah ich schon bald die Not vieler Jugendlicher, welche im Schulsystem nicht zurecht kamen. Eine Not allein ist aber noch kein Auftrag. Erst nach sechs Jahren im öffentlichen Schuldienst spürte ich, dass es mein von Gott gegebener Auftrag sein könnte, mich besonders mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen zu beschäftigen.

Mit ihrem Onkel, dem Schriftsteller und Publizisten Alfred A. Häsler, teilen Sie offenbar die Sympathie für ausgegrenzte Menschen. Weshalb haben es Ihnen gerade solche Menschen angetan? Woher nehmen Sie den Glauben an die Veränderbarkeit von jungen Leuten, die sich durch ihr Verhalten oft selbst ausgrenzen?
Mein Onkel ist für mich ein Vorbild. Er befasste sich mit Randgruppen, machte sich stark für die Schwachen. Offenbar gehört diese Motivation in unsere Familie. Ich glaube an die Veränderbarkeit von jungen Leuten gemäss der These des christlichen Psychologenehepaars Fabiano. Sie behaupten, dass in der Kleinkindphase (z.B. Trotzalter) eine erste Chance zur wirksamen Erziehung und positiven Einflussnahme besteht. In der Pubertät und Adoleszenz gibt uns der Schöpfergott gewissermassen die „second chance“.

Können Sie uns ein Kernerlebnis mit einem jungen Menschen schildern, der sich in Gsteigwiler nachhaltig verändert hat?
Da gäbe es viele Beispiele! Eindrücklich finde ich die Biografie des islamischen Mädchens, welches bei uns den Koran las, kaum deutsch sprach, sich zu Jesus Christus bekehrte, die Ausbildung zur Krankenschwester abschloss und heute in einem Zürcher Spital Stationsleiterin und treue Besucherin einer Freikirche ist.

Ist die Arbeit mit Pubertierenden in den letzten beiden Jahrzehnten schwierig geworden? Weshalb? Wie reagieren Sie darauf?
Die Diagnose Jugenddisozialität hat zugenommen. Es gilt den Mut zu haben, klare Grenzen zu setzten und die Doppelsprache der Jugendlichen zu verstehen, welche oft heisst: „Ich hasse Sie, lieben Sie mich doch!“

Im CIG spielt der Begriff der „elastischen Festigkeit“ eine grosse Rolle. Was verstehen Sie genau darunter?
Festigkeit allein wäre mir zu militärisch, zu konfrontativ. Elastizität wäre mir zu dialogisch und führt oft zu Endlos-Diskussionen. Elastische Festigkeit beschreibt den schmalen Grat zwischen Verstehensarbeit leisten, Empathie und liebevoller, konsequenter Erziehung.


Sie haben sich mit Ihrer Lehrerausbildung nicht zufrieden gegeben, sondern ein Zweitstudium in Psychologie und Pädagogik gemacht und streben ein Doktorat an. Was hat Ihnen dieses Studium gebracht?

Mose war ein hervorragender Volksführer. Seine Ausbildung erhielt er am Hause Pharaos. Er war ein Gelehrter. Dann aber kam er in die Schule Gottes und verbrachte 40 Jahre in der Wüste. Ich vergleicht die Universität mit dem Hause Pharaos und denke, dass die Wüste allein nicht reicht, um in der heutigen Fachwelt bestehen zu können.

Wie verbinden Sie Ihre Fachkompetenz mit Ihrem christlichen Glauben?
Es ist ein Spannungsfeld, und kritische Auseinandersetzung ist nötig. Hilfreich war und ist mir immer die Vernetzung und der Austausch mit andern christlichen Fachleuten aus meiner Disziplin und verwandten, interdisziplinären Fachgebieten.

Die Volksschule tut sich oft schwer mit auffälligen Jugendlichen. Muss das sein? Was würden Sie Lehrpersonen empfehlen, die von schwierigen Jungs aufgerieben werden?
Gerade in Sozial- und Lehrberufen ist das Burnout-Syndrom sehr häufig anzutreffen. Es ist gut, sich im präventiven Sinne damit auseinander zu setzen. Christliche Meditationsformen, Kontemplation, Gebet, christliche Supervision und Seelsorge sind eine Möglichkeit, nicht aufgerieben zu werden.

René E. Häsler ist in Zollikerberg (ZH) aufgewachsen. Er besuchte das Evangelische Lehrerseminar Unterstrass und unterrichtete anschliessend sechs Jahre im Kanton Zürich. Mit 27 Jahren gründete er zusammen mit seiner Frau Eva die private, christliche Internatsschule in seinem Heimatdorf Gsteigwiler bei Interlaken (BE). Während der Aufbauzeit studierte er an der Universität Bern in den Fächern Pädagogik, Psychologie und Psychopathologie. Sein Buch „Schlaflose Nächte – Mut zur Erziehung“ berichtet über die spannenden Aufbaujahre und vermittelt wertvolle pädagogische Erfahrungen. René E. Häsler ist Mitgründer der „Qualitätsinternate Schweiz“, Mitgründer, Schulkommissionspräsident und Dozent einer berufsbegleitenden Schule, die junge Berufsleute zum Sozialpädagogen oder zur Sozialpädagogin ausbildet. Ausserdem ist er Präsident der Qualitätskommission des Verbandes Schweizerischer Privatschulen und Mitglied der Geschäftsleitung des Bildungszentrums in Interlaken. Die Familie Häsler lebt mit neun eigenen Kindern ebenfalls in Gsteigwiler.

Das Christliche Internat Gsteigwiler (CIG). Die Internatsschule hat sich einen Namen durch die Schulung und Betreuung von benachteiligten und schwierigen Kindern und Jugendlichen gemacht. So umfasst das Werk in der Nähe von Interlaken auch einen Dreimastsegler; dieses Jugendschiff segelt im Mittelmeer und in den Atlantikgewässern. Jeder Jugendliche in der CIG hat einen Coach. Mit den Eltern finden pro Jahr drei Standortgespräche statt. Die CIG-Mitarbeitenden erziehen und bilden gemäss dem Konzept der „elastischen Festigkeit“ auf der Basis der christlichen Ethik und Nächstenliebe.

Website: www.christliches-internat.ch.
Hier kann auch das spannende Buch von René E. Häsler „Schlaflose Nächte – Mut zur Erziehung“ bestellt werden.

Datum: 18.11.2004
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

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