Arbeit - Last oder Lust?

In einer fair strukturierten Gesellschaft kann man ein Mehrfaches von dem verdienen, was man zur eigenen biologischen Existenz braucht.
Wieso nicht bewusst fröhlich und dankbar arbeiten?

Auch am diesjährigen 1. Mai, dem Tag der Arbeit, werden wieder kämpferische Töne gegen "Sozialabbau" und "Steuerentlastung für Besserverdienende" zu hören sein. Eine Gelegenheit, auch über wirtschaftliche Zusammenhänge und biblischer Arbeitsethik nachzudenken: über Besitzstandsdenken und Anspruchshaltungen bei Arbeitnehmern, genauso wie über Rücksichtslosigkeit und Missbrauch von Marktmacht bei Arbeitgebern. Beide Parteien im Arbeitsleben, Beschäftigte und Betriebe, Mitarbeiter und Manager, sind täglich vor die Alternative gestellt: "Gewissen - oder gerissen?" Anders ausgedrückt: Handele ich nach meinem Gewissen oder trickreich? Als wäre der Apostel Paulus Personalexperte oder Unternehmensberater gewesen, schreibt er gleichsam zum "Tag der Arbeit": "Verrichtet alle eure Arbeit von Herzen; tut sie für den Herrn Jesus und nicht in erster Linie für die Menschen!" (Kolosser 3,23).

Die Arbeitsmoral jeder Gesellschaft ist in deren jeweiligem Weltbild begründet. Wenn etwa die Gottheit der buddhistischen Kultur als höchstes Ziel hat, in sich zu ruhen, nichts zu tun und bedient zu werden, prägt das die Menschen. Ähnlich gab es das auch in unserer Kultur im Mönchstum, wo es das hohe Ideal war, hinter Klostermauern zu leben und möglichst den ganzen Tag zu beten. Auch eine atheistische Religion wie der Marxismus prägte die Gesellschaft in ihrer Arbeitsmoral. Wenn man täglich zu hören bekam, dass Arbeit Ausbeutung und erst ein Zustand ohne solche Ausbeutung ideal sei, wird man kaum viel Lust zur Arbeit empfinden können. Ein solches Weltbild prägt eine ganze Gesellschaft.

„Der Arbeiter ist seines Lohnes wert”

Arbeit bekommt nicht erst durch Bezahlung einen Wert, sondern in der Bibel hat sie einen Wert an sich, und deswegen wird dann auch etwas für sie bezahlt. Das Gebot „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert” (1. Kor. 9, 9; Luk. 10, 7; 5. Mose 25, 4) verpflichtet zu gerechter Bezahlung, die nicht vorenthalten werden darf.

In unserer Gesellschaft gibt es eine Auseinandersetzung in zwei Richtungen. Auf der einen Seite ist vielen noch bewusst, dass Arbeit nicht einfach an der Menge des Geldes zu bemessen ist. Andererseits ist der Druck ungeheuer stark, alle Arbeit, die kein Geld einbringt, nicht für wertvoll zu halten. Als Beispiel sei die Hausarbeit genannt. Ähnlich verhält es sich mit der ehrenamtlichen Arbeit, obwohl es zur Zeit einen verzweifelten Versuch gibt, den Wert der ehrenamtlichen Arbeit wieder zu stärken. Aber woher soll das kommen, wenn der Wert der Arbeit ausschliesslich an dem Geld gemessen wird?

Eine Revolution

In der Reformation ging es auch ganz wesentlich um dieses Thema. Luther und Calvin nahmen einen fast übermässigen Kampf gegen das Ideal des beschaulichen Lebens auf. Und dadurch begann eine grosse Kulturumwälzung weit über den evangelischen Bereich hinaus. Die Reformatoren stellten die These auf, dass zum Beispiel die Handwerksarbeit vor Gott besser sei als der Müssiggang eines Mönches. Das war eine Revolution sondergleichen!

Der Begriff „Beruf" ist erst durch Luther mit dem Verständnis des alltäglichen Arbeitslebens verknüpft worden. Vorher bedeutete „Beruf" nur die „Berufung" in den geistlichen Stand. Darin drückt sich eine erfrischende Entdeckung der Reformation aus: Leistungsbereitschaft - ja, aber nicht, weil Entlohnung oder Selbstverwirklichung, Geld oder Geltung, Gewinn oder Sinn motivieren, sondern weil eine Glaubensbeziehung zu Jesus Christus einen neuen Kurs für die alltäglichen Lebensbereiche, auch für die Arbeit, bestimmt.

Wo liegt das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit?

Wenn Jesus Christus das Zentrum im Leben eines Menschen wird, dann gewinnen auch die verschiedenen Lebensbereiche wie Geschäfts- und Privatleben, Familie und Beruf, Pflichten und Neigungen ihre angemessene Priorität zueinander. „Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn!" - solch eine neue Lebensmitte weist sowohl der Arbeit als auch der Freizeit ihren Stellenwert zu. Sie bringt beide, die Last und die Lust, die Bürde und die Würde in ein Gleichgewicht - wer kennt nicht den Massstabsverlust, der uns entweder in die Flucht vor der Anforderung oder in die Sucht nach der Anforderung, in die Leistungssteigerung oder Leistungsverweigerung treibt? Natürlich, es muss Besseres als den Käfig eines Lebens zwischen diesen Extremen geben. Luther hat etwas von der Freiheit eines Christen geahnt, wenn er von seinem Umgang mit der Arbeit sagte: „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen".

Arbeit - ein Fluch?

Irrigerweise wird oft gemeint, die Arbeit sei ein Fluch über den Menschen. Dies trifft aber nicht zu. Gott hat nach dem Sündenfall keineswegs die Arbeit verflucht: «Und zu Adam sprach er: 'Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: 'Du sollst nicht davon essen', so sei der Erdboden verflucht um deinetwillen. Mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens, und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen» (1. Mose 3, 17. 18). Weder die Arbeit noch der Mensch selbst ist unter Gottes Fluch gestellt worden, sondern der Ackerboden, der Saatboden unserer Arbeit. Dies gilt für Landwirte ebenso wie für jemanden, dessen EDV-System während der Arbeit abstürzt. Arbeit ist in der Tat ein ziemlich «dorniger, verunkrauteter Acker».

Mehr noch: Wenn Arbeit an sich ein Fluch wäre, würde sich Gott selbst unglaubwürdig machen - denn er arbeitet doch auch, sogar immer zuerst. Gott ist der Erfinder der Arbeit. Sechs Tage hat er gearbeitet, um die Schöpfung zu erstellen - und sie ist schön geworden! Am Ende jedes Arbeitstages steht: «Und Gott sah, dass es gut war» (1. Mose 1, 25). Manchem erscheinen sechs Schöpfungstage unmöglich wenig. Fragen wir einmal bewusst anders herum: «Wieso hat Gott so lange gebraucht? Er hätte doch auch mit einem einzigen Fingerschnipp die Welt fertigstellen können, in einem einzigen Augenblick! Warum also sechs lange, einzelne Tage?» Weil es Gott gefiel, an jedem Abend sein Werk zu betrachten und festzustellen: «Es war gut». Gott hatte offensichtlich Freude an seinem Arbeiten, seinem Werk, seiner Kreation. Er ist im wahrsten Sinne ein kreativer Gott. Die Ganzheit seiner Schöpfung, die sehr sorgfältig aufeinander abgestimmt ist, bekommt dann am Ende des sechsten Schöpfungstages sogar das Prädikat «sehr gut» (1. Mose 1, 31).

Arbeit für sich und auch für andere

Weil Arbeit eigentlich für Gott geschieht, wird eine Spannung aufgehoben, die in den Diskussionen über die sozialen Verhältnisse eine ungeheure Rolle spielen: Die Spannung zwischen Eigennutz und dem Nutzen anderer. Gott hat die Schöpfung nicht planlos angelegt; gerechte Arbeit hat immer einen doppelten Nutzen: Weil sie eigentlich Gott dient, nützt sie immer einem selbst, aber zugleich auch dem anderen. Für beide Seiten gibt es Vorteile. Sehr deutlich steht diese Aufforderung in der Bibel: „Solchen aber gebieten wir und ermahnen sie in dem Herrn Jesus Christus, dass sie still ihrer Arbeit nachgehen und ihr eigenes Brot essen”. Das ist auch eine ganz klare Aufforderung zum Eigennutz: „Arbeite, damit du etwas davon hast! Jeder Mensch tut so dennoch etwas für einen anderen, und weltweit auf das Ganze gesehen läuft dadurch die ganze „Maschinerie” – oder eben nicht. Das ist faszinierend: Arbeit als Dienst für mich und gleichzeitig für den anderen.

Gott möchte mit grösster Selbstverständlichkeit, dass das durch die Arbeit Verdiente – an die Familie, den Staat, die Gemeinde und an die Armen geht. Wenn eine Gesellschaft fair strukturiert ist, bedeutet das: Man kann ein Mehrfaches von dem verdienen, was man zur eigenen biologischen Existenz braucht. Deshalb ist es eine Katastrophe, wenn sich eine Kultur des Egoismus festsetzt, in denen Menschen durch Arbeit noch nicht einmal das Mindeste für die Aufrechterhaltung ihres eigenen Lebens erhalten.

Datum: 01.05.2005
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung