Wege zu einer Lösung

Im Spannungsfeld von Beruf und Familie

Viele, die in der Wirtschaft Führungsaufgaben innehaben, laufen ständig mit einem schlechten Gewissen ihrer Familie gegenüber herum. Sie leisten Grosses im Beruf. Aber wenn sie nach Hause kommen, sind sie ausgelaugt und müde, gereizt und kaum ansprechbar. Sie haben den Kopf noch voll von beruflichen Sorgen und Problemen. So gelingt das Gespräch mit dem Ehepartner nicht. Und die Zuwendung zu den Kindern lässt zu wünschen übrig. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?
Karriere um jeden Preis?
Oder Gleichgewicht zwischen Familie und Beruf suchen und finden?
Sich auf die Familie einlassen und sich bewusst Zeit für sie zu nehmen.
Pater Anselm Grün

Wege zu einer Lösung

Für mich gibt es drei Wege, die dem beruflich gestressten Menschen helfen können, seiner Aufgabe in Beruf und Familie gerecht zu werden.

1. Heilende Rituale
Viele Führungskräfte haben das Gefühl, dass sie ständig auf die Erwartungen anderer reagieren müssen. Die Firma und die Familie haben Erwartungen. Manche fühlen sich hin- und hergerissen zwischen den vielen Anforderungen, denen sie gerecht werden sollen. Doch wenn ich immer nur auf Erwartungen antworten muss, werde ich irgendwann bitter. Ich habe das Gefühl, nicht mehr selber zu leben, sondern gelebt zu werden. Da sind Rituale als Gegengewicht nötig. Rituale geben das Bewusstsein, dass man selber lebt, anstatt gelebt zu werden. Rituale schaffen einen heiligen Raum und eine heilige Zeit.

Weil mir die stille Zeit am Morgen heilig ist, gönne ich sie mir. Es ist eine Zeit, die allein mir und Gott gehört. Da kann kein Mensch darüber verfügen. In der heiligen Zeit meines Morgenrituals kann ich aufatmen, da wird meine Seele heil und ganz. Da begegne ich Gott als dem, der mich befreit von der Macht der Menschen, von der Macht ihrer Ansprüche und Erwartungen, ihrer Urteile und Verurteilungen. Da begegne ich Jesus Christus, der mich mit seinem Geist erfüllt, mit seinem Geist der Liebe und Milde, gut. Aber sie sind für mich gerade deshalb heilsam, weil sie den Himmel über mir öffnen und mich in die heilende und liebende Gegenwart Gottes hinein stellen.

Rituale schliessen eine Tür und öffnen eine Tür. Das ist gerade beim Abschluss der Arbeit wichtig. Viele Manager kommen genervt daheim an. Sie sind nicht offen, auf die Bedürfnisse der Frau und der Kinder einzugehen. Und schon gibt es Konflikte. Die Führungskraft hat Angst vor den häuslichen Konflikten und kommt lieber noch später heim, um den Reibereien aus dem Weg zu gehen. So entsteht ein Teufelskreis, aus dem manche nicht mehr auszubrechen vermögen. Da wäre ein gutes Abschiedsritual von der Arbeit hilfreich.

Ich setze mich im Büro noch ein paar Minuten hin und lasse alles los. Ich übergebe es Gott und bitte Gott um seinen Segen. Das befreit mich davon, mir selbst den Kopf zerbrechen zu müssen, welche Folgen aus meinen Entscheidungen entstehen könnten. Dann kann ich wirklich daheim ankommen. Die Tür der Arbeit ist verschlossen und ich öffne die Türe zur Familie. Wenn ich sie durchschreite, dann bin ich auch ganz daheim, dann bin ich ganz da für die Familie. Rituale ermöglichen es mir nicht nur, mich von der Arbeit zu verabschieden, um daheim ganz präsent zu sein. Familienrituale sind auch ein guter Weg, eine tiefere Verbindung zwischen den Familienmitgliedern zu schaffen. Das fängt an beim Familienritual am Morgen. Wenn jeder freundlich begrüsst wird, beginnt der Tag für die Familie schon anders.

Wenn eine Familie sich gemeinsam um den Tisch setzt und ein Gebet spricht, dann ist das nicht nur frommes Tun vor Gott. Es schafft auch eine tiefere Beziehung. Es stiftet Gemeinschaft und es zeigt, dass sie gemeinsam Gottes Gaben geniessen und sich daran freuen. In manchen Familien gibt es gute Begrüssungs- und Abschiedsrituale. Da gibt der Mann der Frau zum Abschied und zur Begrüssung einen Kuss. Oder der Vater segnet die Kinder, bevor sie aus dem Haus gehen. Das schafft eine tiefere Beziehung zwischen Vater und Kinder als teure Geschenke. Wie eine Familie den Sonntag feiert, davon hängt sehr viel für die Erfahrung von Zusammengehörigkeit und Getragensein ab. Es entsteht eine Familienkultur, die allen gut tut. Entscheidend für eine Familie ist, wie sie die Feste des Kirchenjahres feiert. An den Festen bricht etwas anderes, etwas Göttliches in die Familie ein. Da schaut sie gemeinsam auf Gott und auf Jesus Christus und all das, was er für sie getan hat. Wenn eine Familie mit guten Ritualen die Feste feiert, dann entdeckt sie ihre gemeinsame Quelle in Gott und Gottes Wohltaten für uns Menschen.

2. Zeitwohlstand
Viele Manager klagen darüber, dass sie zu wenig Zeit für die Familie haben. Andere versuchen, die Zeiteffizienz, die ihnen in ihrer Arbeit hilft, auch daheim durchzusetzen. Doch damit bringen sie die Hetze der Arbeit auch in ihre Familie. Hetzen kommt von hassen. Wer Hektik verbreitet, der hasst die Menschen. Manche setzen gegen die immer grösser werdende Beschleunigung als Heilmittel die Entschleunigung. Doch der reine Gegensatz ist nie das Heilmittel. Wir brauchen vielmehr eine Zeitökologie, einen Zeitwohlstand. Und der entsteht, wenn wir bewusst die Verschiedenheit der Zeiten wahrnehmen und leben. In der Arbeit braucht es die Schnelligkeit, mit der ich bestimmte Aufgaben erledige. Aber es braucht auch die Langsamkeit, etwa bei Entscheidungen, die keine Hektik vertragen, sondern einen langen Atem. Und die Familie braucht auch die Qualität von Langsamkeit.

Ein Vater erzählte mir, dass er in der Familie die Zeit genauso ausnutzen möchte wie in der Arbeit. Wenn er heimkommt, muss sich die ganze Familie aufs Fahrrad setzen und ein paar Runden drehen, damit man gemeinsam etwas Gutes tut, was auch der Gesundheit hilft. Doch die Kinder wollen keine Hektik. Sie brauchen Langsamkeit. Sie wollen den Vater um sich herum haben und nicht von ihm effektiv eingesetzt werden. Wir müssen bewusst die Langsamkeit geniessen, die die Familie braucht. Sie tut auch unserer Seele gut. Die Langsamkeit vermittelt der Familie, dass man Zeit für sie hat. Man steht nicht schon auf dem Sprung, etwas Wichtigeres zu tun. Wer in der Familie verbreitet, dass er nur wenig Zeit hat, weil wichtige Aufgaben auf ihn warten, der vermittelt seiner Frau und den Kindern ein schlechtes Gewissen. Und das fördert die Kommunikation absolut nicht. Im Gegenteil, es lähmt alle und vergiftet die Beziehungen. Gerade wenn man viel zu tun hat, muss man der Familie das Gefühl vermitteln, dass man gerne in der Familie ist, die gemeinsame Zeit geniesst und dem auch bewusst Raum gibt.

3. Spirituelle Herausforderung
Die Spannung von Beruf und Familie fordert einem heraus, nach den wahren Quellen zu fragen: Woraus lebe ich? Lebe ich von meiner Arbeit und von meinem Erfolg? Oder definiere ich mich von Gott her? Wer sich von Gott her definiert, bleibt nicht in der Rolle des Chefs oder des Abteilungsleiters gefangen. Der kann sich von seiner Rolle distanzieren und daheim auf die Familie einlassen und darf diese auch anders erleben. Weil er Teil hat an der Vaterschaft oder Mutterschaft Gottes. Das ist entscheidender als die Rolle, die man in der Firma spielt. Die Familie stellt einem vor die Frage, ob man aus der Liebe heraus lebt oder aus der Leistung. Das sind letztlich spirituelle Fragen. Ein gutes Miteinander von Beruf und Familie wird nur gelingen, wenn man sich immer wieder Zeit nimmt, sich vor Gott hinzusetzen und Gott zu fragen, worauf es denn eigentlich im Leben ankommt, welche Lebensspur man in diese Welt eingraben möchte.

Das Gebet öffnet sein Leben nicht nur auf Gott hin. Es bringt einem auch in Berührung mit sich selbst. Und nur dann kann man auch in eine vertiefte Berührung mit seiner Familie kommen. So ist man offen für die Kinder und kann sich auf sie einlassen. Das Gebet und die Meditation führen mich immer wieder zum Wesentlichen, zum eigentlichen Grund eines Lebens, zu Gott und zu Jesus Christus. In dem man erkennt, wer man eigentlich ist. Und nur aus diesem innersten Grund heraus, nur aus der Quelle des Heiligen Geistes heraus wird ein Leben fruchtbar für die Familie und für die Firma, für die man arbeitet.

P. Anselm Grün OSB, Jahrgang 1945, Eintritt in die Abtei Münsterschwarzach 1964, Studium der Theologie und Betriebswirtschaft. Seit 1977 Cellerar (wirtschaftlicher Leiter) der Abtei, ausserdem geistlicher Begleiter im Recollectiohaus (einem Haus für Priester und Ordensleute, die in Krise geraten sind), Kursleiter und Autor.

Autor: Pater Anselm Grün
Quelle: Christ + Wirtschaft

Datum: 21.08.2004

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