Kirchentag

„Einfach cool, der Dalai Lama“

Dalai Lama


Es sagt viel aus über die am Berliner Kirchentag gepflegte Religiosität, dass kein Redner so bejubelt wurde wie der Dalai Lama. Gegen 15'000 Teilnehmer applaudierten dem Tibeter-Führer heftig; und dieser gab ihnen eine Lektion in (buddhistischem) Glücklichsein. Keiner der Kirchenführer wurde so begeistert empfangen – für die Veranstalter offenbar kein Problem. Von jüdischer Seite hörte die Schweizer Journalistin Judith Wipfler die Frage, ob die Christen denn keine geistlichen Persönlichkeiten mit dieser Ausstrahlung hätten...

Im Applaus für den Dalai Lama – der „Ozean der Weisheit“ will übernächstes Jahr auch nach Zürich kommen – zeigt sich zum einen die oberflächliche Faszination für eine Religion, die man nicht wirklich kennt und von der man bloss die auf dem globalen Markt hochgehandelte Ikone zu Gesicht bekommt. Zum andern nährt sein Auftritt beim Beobachter die Frage, ob die Christen auf dem Kirchentag attraktiv und deutlich genug vom Zentrum ihres Glaubens, vom wahren Befreier der Menschen, von Jesus Christus gesprochen haben.

Im halbstündigen Schlussbericht des ZDF vom Kirchentag war viel von Ökumene, von Politik, von Zuhören und Gesprächskultur die Rede; das mit den Austritten abnehmende Gewicht der Kirchen in der Gesellschaft war ein Thema, ein anderes die Arbeitslosigkeit. Das ZDF zeigte mehr Bundesminister und Politiker als kirchenleitende Persönlichkeiten.

Glücklich sein – wer will das nicht? Im krisenstrotzenden Umfeld traf der charismatische Dalai Lama den Nerv, ohne sich in die deutschen Niederungen hinunterbegeben zu müssen: „Trotz aller äusserlicher Verschiedenheit gibt es keine Unterschiede zwischen den Menschen“, sagte der Träger des Friedensnobelpreises. „Das wichtigste Ziel in unserem Leben ist das Streben nach dem Glücklichsein.“

Dabei sei die „geistige Ebene dominanter als die körperliche Ebene. Geistiges Glück und Leiden werden stark von unserer inneren Einstellung beeinflusst“, dozierte der Tibeter schön buddhistisch. „So kann dieselbe Situation mit einer unterschiedlichen geistigen Einstellung ganz unterschiedlich erfahren werden.“ – Ob Arbeitslosigkeit (die eigene) anders bewältigt wird, wenn man Mitgefühl an die Stelle von Egoismus setzt?

Der berühmteste Lama hatte nichts dagegen, ein T-Shirt mit der Aufschrift ‚Jesus liebt dich‘ anzunehmen, das ihm aus dem Publikum zugeworfen wurde. Wenigstens so kam die Wahrheit zum Ausdruck, von der die asiatische Religion nichts weiss. Dass Buddhisten keinen persönlichen Gott kennen und mithin auch keine Gemeinschaft mit ihm erleben können – wen störts? Dass wohl keine Religion so in der Angst vor Dämonen gefangen ist wie die tibetanische – wen kümmerts? Dass unter tibetischen Mönchen finstere Rivalitäten und Machtkämpfe abgehen – wer wollte angesichts des Strahlemanns aus Nordindien daran denken?

„Den Dalai Lama finde ich einfach cool. Vielleicht gibt er mir noch Anregungen für mein religiöses Leben“, meinte der 15-jährige Tobias aus Duisburg. „Für mich ist der Dalai Lama zur Zeit die Gestalt, die am offensten ist, und die am wirkungsvollsten für die gemeinsame Sache arbeitet – den Frieden und das ökologische Gleichgewicht“, sagte eine 60-jährige evangelische Lehrerin aus Bergisch-Gladbach. Der Buddhist war der Star beim Christentreffen, fasst die Nachrichtenagentur AP zusammen. Ein anderer Berichterstatter schrieb, dass es wohl „bei diesem oder jenem Besucher spontan zu einer neuen Lieblingsreligion kam“.

Der Glücksbringer aus Asien blendet Westeuropäer. Er macht blind für die Realität auch in dem Sinne, dass sie eine erstaunliche Entwicklung in seiner Heimat nicht wahrnehmen: Im Tibet und in angrenzenden Gebieten kommen Einheimische zum Glauben an Christus. Sie hören das Evangelium und nehmen es dankbar an; sie erleben durch Christus Befreiung vom endlosen Bemühen, bedrohliche Geister zu besänftigen, und erleben tiefes Glück bei dem Erlöser, der ihre Schuld übernahm, sie vom Fluch befreite und sie beschützt – bei Jesus Christus.

In Berlin scheint diese befreiende, wahrhaft froh machende Kraft des Evangeliums vergessen, wenn „Seine Heiligkeit“ (welcher christliche Geistliche wurde ähnlich ehrfürchtig begrüsst?) die Kirchentagsbesucher in seinen Bann zieht. Wie schön tönte der 67-jährige buddhistische Meister – und wie weit waren seine Worte entfernt vom Alltag der Menschen im Tibet: "Alle Menschen sind gleich, ob Westler, Ostler, ob gelb oder schwarz, alle Menschen sind gleich. Wir alle wollen ein fröhliches, erfolgreiches Leben. Das wichtigste an unserem Leben ist Fröhlichkeit.“ Schon näher an der Realität seiner von den Chinesen besetzten und kolonialisierten Heimat war der Satz, die Hoffnung sei „der wichtigste Faktor in unserem Leben“.

Mit einer oberflächlich religionsübergreifenden Spiritualität liegt der Dalai Lama im Trend. Die Veranstalter verstärkten diesen Trend, indem sie dem Buddhisten-Führer die Bühne gaben. Dagegen stellten sich jene Frauen, die den einen Gott der Bibel auf althergebrachte Weise bezeugten. Bezeichnenderweise stürzte ihr Transparent den Journalisten (er bezeichnet sich als neutralen Beobachter) in Verwirrung. Das Transparent lautete: „Wer die fremden Götter nicht zum Spott macht, den macht Gott zum Spott.“

Datum: 03.06.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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