Zürich

Gemischte Reaktionen evangelischer Verbände auf neuen Religionsartikel

Religion

In der Frage, ob in der Schweizerischen Bundesverfassung ein Religionsartikel stehen soll, reagieren zwei grosse evangelische Verbände unterschiedlich. Währenddem der Verband evangelischer Freikirchen und Gemeinden (VFG) einem solchen Artikel grundsätzlich positiv gegenübersteht, ist die Evangelische Allianz skeptischer.

Für Hansjörg Leutwyler, Zentralsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA), hat der Vorstoss des Kirchenbundes immerhin den Vorteil, dass man dadurch wieder über den Stellenwert der Religion in der Gesellschaft redet. Auch der Gedanke, dass man auch auf Bundesebene als Kirche den Zugang zu den staatlichen Organen anstrebe, sei begrüssenswert, sagt Leutwyler. Allerdings brauche es dazu wohl keinen Religionsartikel. Ein solcher würde höchstens die Privilegierung einzelner Religionsgemeinschaften fördern. Die nicht-anerkannten Gemeinschaften würden dagegen diskriminiert. Sie könnten rasch vom Image des Sektenhaften betroffen werden, meint der Allianzsekretär. Er vermutet, dass eine Anerkennung auch nicht den grossen Landeskirchen – und "auf keinen Fall den Freikirchen" –, sondern vielmehr den islamischen Organisationen in der Schweiz zugute käme. "Es ist aber nicht die Aufgabe der Kirchen, das voranzutreiben", sagt Leutwyler.

Für Freikirchen positiv

Der Verband der Freikirchen sieht in einem neuen Religionsartikel hingegen positive Aspekte. Aus Sicht des VFG sei etwa die Anerkennungsmöglichkeit der Freikirchen auf gesamtschweizerischer Ebene und die Garantie eines verfassungsrechtlich festgelegen Selbstbestimmungsrechtes der Kirchen und Religionsgemeinschaften begrüssenswert, heisst es in einer Pressemitteilung. Zudem erwarten die Freikirchen von einem solchen Artikel eine Signalwirkung an die Kantone, mit der öffentlich-rechtlichen Anerkennung von Freikirchen "endlich vorwärts zu machen". Samuel Moser, der im Dezember zurückgetretene Präsident des VFG, sieht in der Möglichkeit der Anerkennung für Freikirchen eine Chance. Konkret könnte dies etwa bedeuten, dass die Freikirchen im Besuchsrecht in den Spitälern oder beim Religionsunterricht an den Schulen den Landeskirchen gleich gestellt würden, meint Moser. Auch könnte eine öffentlich-rechtliche Anerkennung bedeuten, dass die Freikirchen von gewissen staatlichen Beiträgen profitieren würden.

Offene Fragen

Allerdings blieben beim Vorschlag des SEK auch einige wichtige Fragen offen, sagt Moser. Zum Beispiel sei nicht geklärt, ob sich kleinere Freikirchen auch als zusammengeschlossene Gruppe anerkennen lassen könnten. Auch die Frage der Rahmenbedingungen, innerhalb derer das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet werde, sei noch zu klären. Der Religionsartikel sei jedenfalls ein interessanter Ansatz, um die Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionen auch im Blick auf eine ungewisse Zukunft zu regeln, Deshalb sollten die Freikirchen bei den zur Zeit laufenden Diskussionen um die Ausgestaltung des Religionsrechts dabei sein, so der frühere VFG-Präsident.

Religion ist nicht nur Privatsache

Der SEK hat in seinem "Bericht der Expertengruppe" im vergangenen Oktober vorgeschlagen, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in der Bundesverfassung ausdrücklich zu erwähnen. Im Weiteren sollen nach dem Vorschlag des SEK die Kantone in der Bundesverfassung auf die Möglichkeit der Anerkennung von Religionsgemeinschaften hingewiesen werden. Noch offen bleibt für die Expertenkommission, ob auch der Bund die Möglichkeit haben soll, Religionsgemeinschaften öffentlich anzuerkennen. Sie hat diesbezüglich zwei Vorschläge ausgearbeitet. Die Kommission begründet die Schaffung eines Religionsartikels damit, dass Religion nicht nur Privatsache des einzelnen Menschen sei, sondern dass sie auch einen Gemeinschaftsbezug und einen Öffentlichkeitsanspruch habe. Zudem gebe es auf Bundesebene bis heute keine Rechtsgrundlage für die Beziehung zwischen den Bundesorganen und den Religionsgemeinschaften.

Datum: 20.01.2003
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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