Entweihte Kirche zurückgewonnen

Lichtblick für bedrängte Christen in Indien

Verschmierte Wand, Hindu-Götzen: Kirche bei Davanagere (Südindien) nach dem 2. März

Die Christen der Bethel-Gemeinde in einem entlegenen Dorf bei Davanagere im Herzen des südindischen Bundesstaats Karnataka können in ihrer Kirche wieder Gottesdienst feiern. Die Kirche, vor drei Jahren errichtet, war am Sonntag 2. März während des Gottesdienstes von fanatischen Hindus gestürmt und geschändet worden. Die Hindus waren Anhänger des Welt-Hindu-Rats VHP, der mit ihm verbundenen nationalistischen Kaderorganisation RSS und seines Jugendverbands Bajrang Dal; sie verschmierten die Wände der Kirche mit ihren Losungen und stellten Hindu-Gottheiten im Raum auf.

Die Christen forderten sie auf, ihnen zu huldigen, und bedrohten jeden, der zum Christentum übertreten würde, mit dem Tode. Die Angreifer hielten den Christen vor, sie hätten Geld angenommen, um Nachbarn zum Religionswechsel zu veranlassen (was nicht zutraf), und suchten sie mit wüsten Drohungen vom Gang zur Polizei abzuhalten.

Die Gemeinde wird von einer Frau geleitet, die vor 14 Jahren Christin wurde, nach einer, wie sie sagt, „persönlichen Begegnung mit Jesus Christus“. Die Gemeindeleitung wollte das Dorf nicht blossstellen und verzichtete auf eine Anzeige bei der Polizei, in der Hoffnung, die Dorfältesten würden die Untat bestrafen. Fortan trafen sich die Christen zum Gebet und Bibellesen im Haus der Diakonin. Den Hindu-Götzen Ehre zu erweisen, weigerten sie sich. Die Schlüssel zur Kirche boten sie den Fanatikern an.

Christliche Dachorganisation greift ein

Am 12. Juni kam die Kirchenschändung an einem Hearing zur Sprache, das der All-Indische Christenrat AICC unter Leitung eines Richters in Bangalore, der Hauptstadt Karnatakas, durchführte. (Der AICC ist die Dachorganisation, die katholische und evangelische Kirchenleiter 1998 zur Verteidigung der Religionsfreiheit gegründet haben.) An diesem Treffen schilderten insgesamt 49 Opfer anti-christlicher Gewalt im Gliedstaat, was sie erlitten hatten. AICC-Verantwortliche suchten die Gegend in der Folge auf und veranlassten, dass Dorfälteste und die Polizei die Hindu-Götzen entfernten. Die Wände wurden neu gestrichen. Laut der Gemeindeleiterin sollte am 25. Juni wieder Gottesdienst in der Kirche stattfinden.

Der Vorfall steht für eine lange Reihe von Versuchen fanatischer Hindus, auch in Südindien die Christen einzuschüchtern und zu bekämpfen. Offenbar sehen sie Karnataka, wo ausserhalb der Hauptstadt Bangalore die christlichen Gemeinden meist dünn gesät und somit isoliert sind, als Tor zum Süden. Die Früchte des Hasses auf Christen und Muslime, der seit vielen Jahren durch die Hindutva-Ideologen des RSS und seiner Massenorganisationen geschürt wird, gehen auch im Dorf auf – dort wo Christen völlig unauffällig und für die Nachbarn unanstössig ihren Glauben leben.

50 Überfälle auf Christen allein im Gliedstaat Karnataka

Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP haben sich allein im Gliedstaat Karnataka in sechs Monaten etwa 50 Überfälle und Anschläge auf Christen ereignet. Der AICC-Vertreter Oliver D'Souza sprach von Misshandlungen von Pastoren und Priestern. Christen und insbesondere Nonnen werden sexuell belästigt. „Wir fühlen uns wirklich im Stich gelassen“, sagte D‘Souza.

Im Dorf Chaari im rückständigen ostindischen Gliedstaat Chattisgarh wurde eine Kirche während des Gottesdienstes am Sonntag überfallen und geplündert, das Kreuz zerbrochen und eine Hanuman-Statue aufgerichtet. Die Christen bezeichneten die Anschuldigungen, sie hätten andere zum Religionswechsel verleitet, als Unsinn. Sie seien selbst aus freien Stücken Christen geworden. „Ich suchte überall. Nirgends fand ich Frieden. Niemand wollte mich anhören. Mein Kind war unglücklich. Wir hatten nichts zu essen“, sagte Jhumree Bai, einer der betroffenen Gläubigen.

Wenn Christen Kindern aus armen, wegen ihrer Kaste vernachlässigten Familien Gratis-Bildung in ihren Schulen anbieten, wird ihnen dies zunehmend als schandbare Verlockung zum Religionswechsel zur Last gelegt. In der nordindischen Grossstadt Chandigarh konnten Hindus nach Gesprächen mit derart ‚geschädigten‘ Kindern zwar den Vorwurf der ‚Zwangsbekehrung‘ zwar nicht belegen, aber sie behaupteten gleichwohl, die Christen hätten den Hindu-Kult der Kuh verächtlich gemacht und die Kinder unzulässig beeinflusst. Die Hindus gaben allerdings zu, solange das Kastendenken zur Vernachlässigung grosser Teile der Bevölkerung führe, würden solche Bildungsangebote viele anziehen: „Es wird immer Aussenstehende geben, die in den verletzlichen Schichten der Bevölkerung ihre Beute suchen“.

„Wenn Übertritte anhalten, geraten Hindus in die Minderheit“

Im Norden des Riesenlandes, vor allem im Gliedstaat Gujarat, hat der Druck auf Christen bereits andere Dimensionen als im Süden erreicht. In den von Stämmen bewohnten Gebieten im Süden Gujarats will der VHP mit Geldern von Geschäftsleuten ein weitgespanntes Bildungsprogramm lancieren, um den angeblich immer noch wachsenden Einfluss von christlichen Missionaren zu brechen. Geplant war am 14. Juni ein Aufruf des demagogischen VHP-Generalsekretärs Togadia, zu diesem Zweck für jedes Kind in den südlichen Stammesgebieten eine Rupie pro Tag zu spenden.

Togadia behauptete an dem fünftägigen Hindu-Schulungstreffen des VHP, das ganz der Hinduisierung gewidmet war, der VHP habe es bereits geschafft, eine halbe Million Menschen, die Christen oder Muslime geworden waren, wieder zum Hinduismus zurückzuführen. Und: Der VHP werde seinen Kampf gegen den Religionswechsel konsequent weiterführen (seit langem fordert die Organisation ein unionsweites Verbot, was der säkularen Grundlage des indischen Staates völlig zuwiderläuft).

Eine halbe Million zurück geführt zum Hinduismus?

Der zentrale Teil des nordwestindischen Gliedstaates, in dem intolerante Hindu-Politiker im Dezember bei Parlamentswahlen triumphiert hatten, gibt das Muster ab. Dort hat der VHP laut einem Zeitungsbericht seit 1999 in Stammesgebieten beinahe 400 Schulen eröffnet, in denen die Kinder grundlegende Fähigkeiten erlernen und nach Vorgaben der Hindutva-Ideologie geprägt werden. Sie bekommen Teile der altindischen Epen Ramayana und Bhagavadgita mit, werden mit Hindu-Gottheiten und –Helden vertraut gemacht und feiern Hindu-Feste mit grossem Brimborium.

Kleine Statuen des Affengottes Hanuman wurden an 150 Orten aufgestellt und Fotos der Göttin Devmogra, die von der Stammesbevölkerung verehrt wird, zu Tausenden in Häuser verteilt. Während des zehntägigen Festes zu Ehren des Elefantengottes Ganesha sollen die Stammesangehörigen weder Alkohol trinken noch Fleisch essen, ein Verzicht, der ihrer Kultur fremd ist.

Arvind Brahmbhatt von der VHP-Schulungsorganisation BJSS, die eigens für diese Zwecke gegründet wurde, zog eine positive Bilanz der Bildungsanstrengungen: „Wir haben unter den Stammesangehörigen, die früher den Verlockungen der christlichen Missionare ausgesetzt waren, die Religionswechsel erfolgreich eingedämmt“.

Datum: 26.06.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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