Peter Stamm

Brot zum Überleben – aus Schweizer Militärbäckereien

Peter Stamm instruiert in der Ukraine Mechaniker für mobile Schweizer Militärbäckereien, um die Not der Armen zu lindern. Dazu lernt er die russische Sprache.
Brot für Tausende: Peter Stamm (im roten T-Shirt) in einer neuen Bäckerei. Links von ihm Hans Maurer (LIO).
Präzise Instruktionen per Übersetzer. Jetzt lernt Peter Stamm noch Russisch.
Fröhliche Stimmung bei der Einweihung: Die Bäckerei versorgt auch Bedürftige.
Zum Einrichten der Bäckerei gehört der Aufbau eines eingespielten Teams.
Scheut lange Wege nicht: Peter Stamm mit Ukrainern

Peter Stamm (Jahrgang 1938) ist Konstrukteur. Er hat das Flair für Mechanik und liebt es, an vielem herumzutüfteln. Die letzten Jahre vor seiner Pensionierung arbeitete er bei der Firma Rieter AG (Winterthur), um innovative Spinnmaschinen zu konstruieren. „Nach meiner Pensionierung fragte ich mich, was ich von jetzt an tun sollte. Zu Hause bleiben war mir zu wenig. Wenige Monate nach dem Start in den Ruhestand kam eine Anfrage vom Hilfswerk ‚Licht im Osten’ (LIO). Sie wussten um mein technisches Interesse und meine Einsatzbereitschaft.“

Brot gegen die Not

Die Ukraine wurde einst die „Kornkammer Europas“ genannt. Seit dem Ende der kommunistischen Zeit ist aber nicht einmal die Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt. Um diese Not zu lindern, hat ‚Licht im Osten’ Mitte der 90er Jahre einen neuen Arbeitszweig aufgebaut: Ausgemusterte Schweizer Militärbäckereien werden in die Ukraine und neuerdings auch nach Moldawien gebracht (ein Transport startete am 9. Januar). Diese Bäckereien sind eine Schweizer Erfindung für die Brotversorgung im Kriegsfall und liefern bis zu 2000 kg Brot pro Tag.

Das gibt Arbeit, Verdienst und Brot für Not leidende Menschen. Damit diese Aktion langfristig erfolgreich bleibt, sind die Bäckereien lokalen Baptisten-Gemeinden angeschlossen. Die Leitung dieser Kirchen ist für den Betrieb der Backstube und die gerechte Verteilung der Brote verantwortlich – denn 10% der Brotproduktion wird an Notleidende verschenkt.

Die mobile Bäckerei ist eine komplette Brot-Produktionseinheit mit Backofen, Knetmaschine, Gärschrank und verschiedenen Zusatz Aggregaten. Eine Notstromgruppe sowie die wichtigsten Ersatzteile machen die Bäckerei autonom. Freilich stehen die mobilen Bäckereien, in einem zweckmässigen Gebäude aufgebockt und sind nicht mehr mobil. Sie bleiben vor Ort und tun einige Jahre lang ihren Dienst. An zwei Standorten sind auch mobile Mühlen im Betrieb

Der erste Einsatz

„Ich war begeistert von dieser Aktion – und so kam ich mit Licht im Osten im April 2002 das erste Mal in die Ukraine. In einer 2-wöchigen Rundreise besuchten wir die schon bestehenden Bäckereien und nahmen eine neue Anlage in Betrieb.

In der Schweiz informierte ich mich anhand von Instruktionsmaterial der Armee über diese Bäckerei-Anlagen. Ich sprach mit Mitarbeitern, welche diese Maschinen in der Praxis betreiben und ich hatte Gelegenheit, den Erbauer dieser Bäckereien persönlich kennen zu lernen.

Vor Ort spürte ich, dass die Menschen sehr interessiert und aufgeschlossen sind. Von den Einwohnern in den Ostländern sagt man, dass sie nicht mehr freiwillig arbeiten, seit ihnen niemand mehr etwas befiehlt – im Kommunismus waren sie gewohnt, Befehle entgegen zu nehmen und diese auszuführen. Links und rechts zu denken war verboten. Doch unter den engagierten Christen ist dies anders: Ich traf viele junge und ältere Menschen an, die sich für ihre Landsleute einsetzen und etwas aus ihrem Leben machen.“

Ablauf einer Instruktion

Für den Betrieb einer Bäckerei braucht es verschiedenste Fachleute. Vor allem Bäcker, Mechaniker und geschulte Betriebsleiter. Peter Stamm instruiert die Mechaniker. Sie lernen das System der Heizung mit Oelbrenner oder Holz, die Wasserversorgung und alle elektrischen Aggregate kennen. Schweizer und immer mehr ukrainische Instruktoren machen aus den fleissigen Hausfrauen und Handwerkern in sechs Tagen Bäckereiangestellte.

Das Ausbildungsprogramm für mobile Bäckereien umfasst

1. Tag: Brotrezepte, Berechnung der Mengen, Knetprozesse, Unfallverhütung
2. Tag: Hefe und Triebführung, erste praktische Brotproduktion
3. Tag: Brotfehler und Krankheit, Rezeptkalkulation, zweite praktische Brotproduktion
4. Tag: Rohstoffzubereitung, praktische Brotproduktion (eigenständig)
5. Tag: praktische Brotproduktion, weitere Methoden
6. Tag: Behebung von Unsicherheiten, Vertragsabkommen, Sorgfaltspflicht

Eine bewegende Einweihung

Die erste Einweihung war für Peter ein sehr berührendes Erlebnis. „Der Älteste (Leiter) der örtlichen Baptisten-Gemeinde hielt eine feierliche Ansprache, Chöre haben gesungen. Brot und Fische bildeten eine Brücke zur Geschichte der Bibel, in welcher Jesus mit einigen Broten und Fischen, viele tausend Menschen versorgt hatte. Ich verspürte eine tiefe Freude, als die Backstube nicht nur vom frischen Brot roch, sondern erfüllt war von schönen Chor-Gesängen und dankbaren Menschen. Das erste selbst gebackene Brot lag auf dem Tisch.“

Peter Stamm profitiert also nicht nur fachlich von den Reisen. „Diese Einsätze sind für mich eine Horizonterweiterung. Ich lerne viele liebe Menschen und neue christliche Gemeinden kennen. Sie haben eine andere Mentalität als ich und trotzdem schätzen wir einander. Die Gastfreundschaft und Einsatzfreudigkeit der Christen in der Ukraine sind für mich ein Aufsteller. Wir leben während diesen Reisen sehr einfach. Wir schlafen in leeren Wohnungen, in einem Kinderheim oder auch in irgendwelchen Provisorien (manchmal auch ohne fliessendes Wasser).

Vater tot, Mutter im Gefängnis

Bei Besuchen verteilte das Team von ‚Licht im Osten’ kostenloses Brot. Der erste Besuch führte sie zu einer Grossmutter am Rande des Dorfes. Drei Kinder leben mit ihr zusammen. Deren Vater starb vor einiger Zeit, ihre Mutter ist im Gefängnis. In dem kleinen Haus mit Lehmboden und feuchten Wänden versucht diese Frau, ihre Enkelkinder durchzubringen. Das Haus hat nur einen Raum. Vor dem Haus stapelt sich rostiges Eisen, das ein Verwandter der alten Frau einmal zu verwerten hofft. Wie froh und dankbar war sie über die zehn Brote! Peter Stamm wird nachdenklich: „Wenn ich solchen Leuten begegne, frage ich mich oft: Wie schaffen diese Menschen das? Wie können sie überleben? Wie können sie ihre Hoffnung behalten?“

Pflegeeltern: Weniger als zwei Franken pro Kind und Tag

In einem andern Haus besuchten sie ein Ehepaar, welches 22 Kinder grosszieht. Die staatlichen Kinderheime sind in miserablem Zustand und so adoptierte dieses Paar so viele Kinder wie nur möglich. Vom Staat erhalten sie 1$ als Unterstützung pro Kind und Tag. Ohne zu klagen erzählten diese Leute auch von ihren Sorgen. Diese Begegnung war so berührend, dass der Teamverantwortliche eine spontane Hilfe zusagte. Der Vater hatte sich einen kleinen Traktor gewünscht, damit er seine Felder effizienter beackern könnte. Wenige Wochen später erhielt er dieses Fahrzeug tatsächlich. Durch die Eigenversorgung kann er nun seine Familie besser ernähren.

Russischkurs

Um in diesen Ländern noch effektiver zu kommunizieren, hat sich Peter mit 65 Jahren ein hohes Ziel gesteckt: er will Russisch lernen. In der Migros Klubschule hat er sich dafür im Russisch-Anfängerkurs eingeschrieben. Vier Semester lang hat er gebüffelt und versucht, die Kenntnisse anzuwenden – leider ohne grossen Erfolg. „Ich hatte den Eindruck, etwas zu lernen und gleich wieder alles zu vergessen. Also änderte ich meine Lernstrategie: Auf einer der Ukraine-Reisen machte ich einen 2-wöchtigen Aufenthalt in der Hauptstadt der Ukraine, in Kiev, wo ich einen Intensivkurs belegte. Den ganzen Tag lang lernten wir russisch, bis ich nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Mit meinen Russischkenntnissen bin ich aber immer noch nicht zufrieden, sodass ich auch in Zukunft noch einiges investieren muss. Eines ist mir aber klar geworden: Ich werde in diesen Ländern nicht ohne Übersetzer auskommen.“

Armenien und Moldawien

Dieses Erlebnis hält Peter Stamm nicht davon ab, auch weitere Reisen in den Osten zu planen. Er wird also in den nächsten Jahren öfters in den ehemaligen GUS-Staaten anzutreffen sein, auch in Armenien und Moldawien. In Armenien betreut er eine Suppenküche für 150 alte Menschen, welche sonst keine Hilfe erhalten würden. „An einem andern Ort erhalten hundert Schüler regelmässiges Mittagessen – diese Kinder kommen aus Familien, die in provisorischen Baracken leben, welche nach dem verheerenden Erdbeben 1988 erbaut wurden. Solche Zustände können wir uns kaum vorstellen! Hilfe ist dringend nötig. Darum werde ich mich auch in Zukunft in solche Aktivitäten investieren, so lange ich noch kann.“

Das Bäckereien-Projekt von LIO
www.lio.ch/Brot%20gegen%20die%20Not.htm


Autor: Thomas Gerber

Datum: 23.01.2006
Quelle: Livenet.ch

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