Lieber getrennt als miteinander?

Einheimische und zugewanderte Christen in der Schweiz

„Ich will, dass wir wirklich zusammengehören, um der Welt zu zeigen, dass wir Christen anders sein können – dass wir Kinder Gottes sind.“ Charles Bannerman nahm kein Blatt vor den Mund, als er am Freitag für das Zusammenwirken der Christen aus allen Kulturen plädierte.
Wirklich zusammengehören und teilen – als Gottes Kinder: Charles Bannerman
Wieviel Raum für Schwarze? Shambuyi Bodika an der AEM-Tagung
Durch Ausländergemeinden herausgefordert: Leiter von AEM-Missionsgesellschaften in Männedorf
Vermisst im Westen Leidenschaft: David Rivera
AEM-Schaltstelle: Martin Voegelin, Präsident Paul Stilli und Simon Wüthrich, Sekretariat (von rechts)

Vor Schweizer Missionsleitern unterstrich der aus dem westafrikanischen Ghana stammende Bannerman mit Verweis auf Paulus (Epheser 4,4-5), dass es eigentlich nur eine christliche Kirche geben sollte, nicht eine der Weissen, eine der Schwarzen und eine der Latinos.

Bannerman und vier weitere ursprünglich aus Afrika, Asien und Lateinamerika stammende Pastoren waren von der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionen (AEM) in der Schweiz eingeladen worden. Alle fünf betreuen heute Ausländergemeinden in der Schweiz – und haben ein Kreuz mit den einheimischen (Frei-)Kirchen.

Der Kongolese Shambuyi Bodika erinnerte die Missionsvertreter daran, dass die Europäer zusammen mit dem Schatz des Evangeliums den Afrikanern auch ihre Aufsplitterung in kirchliche Denominationen vererbt hätten. „Es genügt hier nicht zu wissen, dass der Andere Christ ist; man fragt immer auch noch: Zu welcher Kirche gehören Sie?“

‚Geistliches Koma’

Der Angolaner Eduardo Kiakanua sprach vom Schock, den er in unseren Breitengraden erlebte: „Die Schweizer Christen haben sich um Afrika gekümmert; währenddem ist ihr eigenes Land in ein geistliches Koma gefallen.“ Kiakanua klagte, Europa sei in zweifacher Hinsicht gescheitert: Seine Menschen hätten den wahren Sinn des menschlichen Lebens aus den Augen verloren und es gebe keine tragende Ethik mehr.

Der afrikanische Pastor plädierte für eine Globalisierung im Kleinen, für Partnerschaft, die andersartige Menschen und Gruppen „nicht aus-, sondern einschliesst“. Er weiss von keiner afrikanischen Gemeinde, die die Räumlichkeiten einer Schweizer Freikirche benutzt…

Der gebürtige Kolumbianer David Rivera leitet im Grenzort Buchs/SG eine englischsprachige und eine spanischsprachige Gemeinde. Er bat die Anwesenden, in der Betreuung von Flüchtlingen zu helfen: „Gott hat sie uns vor die Türe gestellt – und wir weisen sie weg!“

Öffentlich für Ausländer eintreten und bei ihrer Integration helfen

Eine Spurgruppe der AEM legte an der Jahrestagung des Dachverbands von 45 Missionswerken und Ausbildungsstätten einen ausführlichen Bericht über die Perspektiven evangelischer Arbeit unter Ausländern in der Schweiz vor. Sie regt eine „Arbeitsgemeinschaft für Interkulturelles“ (AGIK) im Schoss der Evangelischen Allianz (SEA) an. Die AGIK soll die „kulturüberschreitende Verständigung im Zusammenhang mit der Förderung des Reiches Gottes in der Schweiz“ fördern, indem sie einheimische und zugewanderte Christen vernetzt. Zudem soll sie in Ausländerfragen öffentlich Stellung beziehen.

Die Spurgruppe fordert die Christen in der Schweiz auf, sich nicht abzuschotten, sondern für Ausländer Verständnis zu zeigen und ihnen bei der Integration in unsere Gesellschaft zu helfen. Das Ziel: dass Ausländer und Schweizer miteinander „unter Schweizern und Ausländern in der Schweiz das Evangelium leben und weitergeben“.

‚Zeitgemässe Mission’ – Werke im Spagat

Die Jahrestagung der AEM im Bibelheim Männedorf hatte am Donnerstag begonnen; sie suchte den Blick für „zeitgemässe Mission“ zu schärfen. Martin Voegelin, seit dem letzten Oktober als Exekutiv-Sekretär der AEM tätig, zeigte in einem Vortrag auf, wie die Werke im „Spagat“ zwischen den Kirchen hier und denen im Süden vermitteln können.

Laut Voegelin hatten die Missionsgesellschaften vor rund 30 Jahren noch stark „Familiencharakter“ mit hoher Loyalität ihrer Mitglieder und eigenständigen Strategien. Sie waren die eigentlichen „Unternehmer“ der Mission.

Vom Unternehmer zur Servicestelle

In den 80er Jahren entwickelten sich Partnerschaften; eine auftragsorientierte und zeitbegrenzte Einstellung des Personals sowie ein projektorientiertes Spendenverhalten nahmen zu. Das stärkere Interesse der Gemeinden in Europa, am Missionsgeschehen beteiligt zu werden, haben die Missionen grundsätzlich begrüsst, in der Praxis war es aber oft nicht einfach, die Partnerschaften gleichwertig und konstruktiv zu leben.

Die Missionsgesellschaften sind nach Voegelin zunehmend gefordert, den Gemeinden sowohl in der „Heimat“ wie auch in den „Einsatzgebieten“ echte Möglichkeiten zum Teilhaben zu bieten. Noch einen Schritt weiter gehen Missionswerke, wenn sie sich den Gemeinden, die selber Initiativen ergreifen, mit ihrer interkulturellen Kompetenz als Servicestelle zur Verfügung halten.

Dabei stehen die geografischen Grenzen nicht mehr im Vordergrund. Interkultureller Dienst geschieht heute auf der ganzen Welt, und Mission ist eine Bewegung von überall nach überall. Senden und Empfangen ist fast überall möglich und auch nötig. Laut Voegelin kommen die Verantwortlichen von Missionswerken und Kirchen nicht mehr darum herum, einander gegenseitig Ergänzung anzubieten.

Alte Missionswerke – neue Kirchen

Weiter kamen am Donnerstag Vertreter alter und junger Freikirchen zu Wort. Sie legten den Missionsleitern dar, wie sie die Missionswerke wahrnehmen. Es wurde deutlich: Junge Bewegungen betreten Neuland und packen Möglichkeiten an, die sich ihnen bieten, unkompliziert an, mit allen Chancen und auch Gefahren. Im Vordergund steht dabei das unmittelbare geografische Umfeld.

Gegenseitig wohlwollend und provokativ stellten die Teilnehmer der Tagung fest, dass man sich gegenseitig auch in der Schweiz noch viel zu geben hat. Traditionelle (Frei-)Kirchen leiden darunter, dass an der (älteren) Basis zwar noch ein grosses Missionsinteresse vorhanden ist, dieses sich aber kaum den aktuellen Realitäten zu stellen vermag. Am Freitagmorgen genehmigten die Leiter der AEM-Werke an der Mitgliederversammlung die Jahresrechnung 2003 und nahmen den Schweizer Zweig der Radiomission HCJB auf.

1000 Mitarbeiter im Ausland – mehr werden gesucht

Die Schweizer AEM-Missionen haben derzeit gegen 1'000 Mitarbeitende im Ausland – manche wirken in Nachbarländern, andere in jenen Teilen der Welt, aus denen nichts öffentlich berichtet werden kann. Von Katastrophenhilfe, medizinischer Tätigkeit und Alphabetisierung spannt sich der Fächer der Tätigkeiten über theologische und Berufsausbildung und Behindertenarbeit bis zu Gemeindebau und Evangelisation.

Einen Eindruck von der Vielfalt der Aufgaben gewannen die 170 Personen, die am Samstag zum AEM-Impulstag nach Männedorf kamen. In Referaten und sechs Workshops wurden die Möglichkeiten dargelegt, in Europa oder Übersee missionarisch zu wirken, und wesentliche Aspekte des Missionarslebens thematisiert.

Aktuelles Interview mit Martin Voegelin, AEM-Exekutiv-Sekretär

Mehr Infos: www.aem.ch

Datum: 27.04.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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