Wie redet man am besten mit Moslems?

Michael Stollwerk

In der Schweiz leben derzeit etwa 250.000 Moslems, in Deutschland sind es etwa 3,6 Millionen, mit steigender Tendenz. Für Christen und Gemeinden bedeuten sie eine immer grössere Herausforderung. Mission unter Ausländern findet freilich kaum statt: Unter den etwa 2,1 Millionen Türken in Deutschland gibt es nach Schätzungen gerade einmal 1.000 Christen. Michael Stollwerk, Pfarrer der evangelischen Domgemeinde in Wetzlar, beschreibt, wie er den Umgang mit Moslems gestaltet.
Ich hocke als evangelischer Pfarrer leidenschaftlich gerne mit muslimischen Gesprächspartnern zusammen. Denn da geht es wirklich theologisch zur Sache. Kein tumbes Gefasel über den eigenen geistlichen Pulsschlag. Kein psychohygienisches "Was macht das jetzt mit mir?", wie in manchen unserer etablierten Haus- und Bibelkreise. Statt dessen Fragen wie: "Woher nimmt der Christ die Gewissheit, dass ihm Gott wirklich vergeben hat?" oder "Wieso hat die Kirche so wenig Gestaltungskraft im Blick auf die Gesellschaft? Warum tun Christen nichts gegen die Pornographie und die öffentliche Darstellung von Sex in den Medien?" - Unangenehm sind diese Fragen teilweise, weil der Theologe beschämt eingestehen muss, wie sehr er selbst und seine Schäfchen sich mit einer Gesellschaft arrangiert haben, die ebenso gedanken- wie gottlos vor sich hin wabert. Teilweise sind diese Fragen aber auch eine Chance, ernsthaft diskutierenden Menschen die Grundeinsichten lutherischer Rechtfertigungslehre nahezubringen. Oder eben auch die Lehre von den zwei Reichen. Und siehe da: Plötzlich wird der muslimische Gesprächspartner nachdenklich. Er beginnt zu sehen, dass es einerseits zwar bedauerlich ist, dass der christliche Glaube auf dem Forum der Gesellschaft so wenig auszurichten vermag, dass es andererseits aber auch eine Befreiung bedeutet, insofern der Glaube frei bleibt von Bevormundung und auch selbst der Versuchung der Bevormundung nicht erliegt. Ein Aha-Erlebnis insbesondere für Iraner und Afghanen, die in meiner Gemeinde beheimatet sind. Sie entkamen den Fängen eines Mullah- oder Talibanregimes, doch tragen sie immer noch den Gedanken eines religiösen bzw. revolutionären Staates in sich. Der Islam prägt eben, selbst dann, wenn man sich von ihm teilweise oder ganz abgewandt hat.

Mühevolle Kleinarbeit

Freilich, was sich hier anhören mag wie ein akademisch weltanschaulicher Diskurs im Wohnzimmer, ist im Konkreten mühevolle Kleinarbeit. Die Gespräche leiden unter Verständigungsschwierigkeiten. Es vergeht viel Zeit beim Hin- und Her-Übersetzen. Doch dies zwingt den Theologen, einfach zu reden. Und den Perser zwingt es, mit noch grösserem Eifer Deutsch zu lernen. Aus den anfänglichen, sporadischen Treffen ist inzwischen ein regelmässiger Kreis entstanden, ein Bibelkreis für Muslime und Agnostiker. Die Leitung hat eine zum christlichen Glauben konvertierte ehemalige Anhängerin der Mudschaheddin. Sie war im Sommer 1999 gemeinsam mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen. Nach ihrer Ankunft in Deutschland erhielt sie Besuch von einer Pastorin, die unter Asylbewerbern tätig ist. Sie stammt selbst aus dem Iran und erzählte ihr von Christus. Dabei wies sie insbesondere auf Johannes 3,16 hin: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Dieser Vers sprach die junge Iranerin unmittelbar an und weckte in ihr die Sehnsucht nach Christus. So begann sie in der Folgezeit, unter Vorbehalt zu Christus zu beten. Unter dem Eindruck einiger eindrücklichen Gebetserhörungen entschloss sich die bis dahin überzeugte Muslima dazu, ihr Leben Christus anzuvertrauen und sich eine christliche Gemeinde zu suchen. Schliesslich fand sie in Wetzlar in der evangelischen Domgemeinde eine geistliche Heimat und wurde dort zu Pfingsten 2001 unter grosser Anteilnahme der Gemeinde getauft. Wenn wir uns in ihrem Haus treffen, der Ehemann kann sich noch nicht zwischen Christus und Che Guevara entscheiden, dann geht es nicht um interreligiöse Folklore. Dass der von Mohammed verkündigte Gott und der von Christus verkörperte Gott höchst unterschiedliche Gesichtszüge tragen, darin sind sich die meisten von uns einig. Genau diese klare Einsicht aber führt sowohl unsere Gespräche als auch unsere Gemeinschaft in die Tiefe.

Luthers "Türken"

Der "echte" Dialog zwischen Muslimen und Christen scheint mir von zwei Seiten gleichzeitig bedroht. Da sind einerseits die liberalen Nostalgiker, die in Anknüpfung an Lessings Ringparabel von dem einen uns gemeinsamen Gott reden wollen und damit weder der Ernsthaftigkeit bekennender Muslime noch dem Koran gerecht werden. Sie finden mit Recht nur wenige Gesprächspartner ausserhalb der elitären Subkultur der Akademien und Universitäten. Andererseits ist der Dialog aber auch akut bedroht von angstbesetzten Konservativen, die derart mit ihrer eigenen Positionierung beschäftigt sind, dass sie sich im Blick auf den Islam als weder sprach- noch liebesfähig erweisen. Genau dies ist aber für das Gespräch miteinander und das Zusammenleben in einer Gesellschaft der Tod im Topf. Zu lernen ist hier wieder einmal von Luther. Zwar wäre es übertrieben, wollte man behaupten, Luther habe "den Türken" als Inbegriff der muslimischen Welt geliebt. Immerhin konnte er aber den auch damals politisch äusserst bedrohlichen Widersacher von seiner stärksten Seite her interpretieren und dem eigenen Volk als Beispiel vor Augen führen. So meint er einmal, im Vergleich zu ihnen seien wir Deutschen "faulfressige Säue, die müssig gehen, schlinkern, schlankern, fressen, saufen, spielen, allerley Muthwillen und Bubenstücke treiben und sich nichts zu Herzen gehen lassen". Welch eine kernige Selbsterkenntnis, gewonnen durch den hochachtungsvollen Blick auf den anderen!

Warum wurde Mohammed nicht Christ?

Wer den Geist lutherischer Selbstkritik aufnimmt, dem wird sich in der Begegnung mit Muslimen noch ein weiterer Horizont eröffnen. Gemeint ist der Horizont einer Verletzungs- und Schuldgeschichte, der das Christentum mit dem Islam verbindet und dem der Islam vielleicht sogar seine Entstehung verdankt. In Sure 5 findet sich ein bemerkenswerter Vers. Dort heisst es in V. 116: "Und damals sagte Gott: ‚Jesus, Sohn der Maria! Hast Du etwa zu den Leuten gesagt: "Nehmt euch ausser Gott mich und meine Mutter zu Göttern!?' Er sagte: ‚Gepriesen seist du! (Wie dürfte man dir andere Wesen als Götter beigesellen!) Ich darf nichts sagen, wozu ich kein Recht habe." Deutlich wird aus diesem Koran-Zitat: Der Begründer des Islam unterlag offensichtlich dem Missverständnis, als erhebe das Christentum nicht allein Jesus, sondern zu allem Überfluss auch Maria (!) zu "Göttern". Augenscheinlich war keiner der christlichen Gesprächspartner Mohammeds dazu in der Lage gewesen, ihm das christliche Reden von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist auch nur annähernd so verständlich zu machen, dass er es hätte begreifen können. Trotz christlicher Missionstätigkeit, man war Mohammed das Entscheidende schuldig geblieben: das klare, einfache Evangelium!

Anders geht es nicht!

Diese ursprüngliche Schuldgeschichte hat ihre Fortsetzung gefunden in zahlreichen gegenseitigen Verletzungen, etwa zur Zeit der Kreuzzüge, und sie setzt sich fort bis heute. So ist es auch für zum christlichen Glauben konvertierte Muslime schlicht nicht nachvollziehbar, mit welcher offenkundigen Überheblichkeit die westliche Welt der arabischen Kultur begegnet. Sie nehmen es wahr und sind verletzt. Und ich kann meine iranischen, pakistanischen und türkischen Geschwister im Glauben verstehen. Denn finden sie tatsächlich den Weg in unsere Gemeinden, so haben sie leider auch dort zunächst einmal eine hohe Mauer der Ressentiments, der Gleichgültigkeit und des Desinteresses zu überwinden. Sie gehen schlicht unter in der überbeschleunigten Umtriebigkeit unserer Lebensverhältnisse. All dies spielt eine Rolle beim Verhältnis von Islam und Christentum, bei der Begegnung von Christen und Muslimen. Wer daher den Islam verstehen will, der muss vor allem ein Herz für Muslime haben. Anders geht es nicht! Die Liebe ermöglicht den entscheidenden Perspektivenwechsel. Wer aber sein Herz für Muslime öffnet, der wird seinerseits offene Herzen vorfinden. Bis dahin, dass sich mancher von ihnen vielleicht sogar für das Evangelium öffnet, die Taufe begehrt und Christus als seinen Herrn und Heiland bekennt.
Autor: Michael Stollwerk

Datum: 15.07.2002
Quelle: idea Deutschland

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