Predigt beurteilen

Gemeinde denkt mit

Der Mensch ist im Blick auf sich selbst blind. Er braucht die Augen anderer, um sich zu sehen. Ebenso sind Prediger und Predigerinnen, was die Wirkung ihrer Predigten betrifft, taub. Sie brauchen das Echo der Gemeinde. Hinter diesem Artikel von Dr. Klaus Eickoff steht der Wunsch, dass sich Predigthörer und Prediger als Partner entdecken.
Prediger vor der Gemeinde
Dr. Klaus Eickoff

Wir hören sie in unseren Sprachen von den grossen Taten Gottes reden. So wunderten sich die Menschen als Gottes Geist über die Jünger gekommen war, Apg 2,11. Bis heute gilt: Sind Prediger vom Heiligen Geist erfüllt, reden sie von den grossen Gottestaten.

Die ersten Christen können es nicht lassen, von dem zu reden, was sie gehört und gesehen haben. Sie sind hingerissen, gefangen genommen, haben ein Feuer erfahren, das sie entzündet hat. Trunken vor Freude sind sie und leidensbereit bis zur Hingabe des Lebens. Nichts ist ausgedacht, angelernt, eingepaukt, nachgeplappert, aus Büchern angeeignet, am Schreibtisch ergrübelt, memoriert, abgefragt, aufgesagt. Hier sind Zeugen. Hier predigen Ergriffene. Sie sind betroffen. Herzen sprechen. Gefühle brechen sich Bahn. Weisheit breitet sich aus, kein kalter Intellektualismus. Was wir gesehen und gehört haben! Glaube aus erster Hand!

Und die Hörer? Sie geben einmütiges Echo: Wir hören sie in unseren Sprachen von den grossen Taten Gottes reden. Das hat sich ihnen eingeprägt: Nicht wie schlecht die Welt dasteht, erfahren sie von Freudenboten, sondern wie gut Gott ist! Seine grossen Taten!

Und sie verstanden alles. Nicht allein das!

Sie haben sich vom Gotteswort verstanden gefühlt. Seine grossen Taten - das traf sie in ihrer Lebenstiefe, weil es ihre Alltags- und Feiertagswelt betraf. Ihr kleines Dasein aber bekam dadurch einen überraschenden, neuen, grossen Horizont: Es hatte einen Platz in der grossen Gottesgeschichte!

Gottes grosse Taten in die Lebenswelt der Menschen verkündigt, das weckt Glauben, nährt ihn, erhält ihn, trägt ihn weiter. Die biblischen Zeugen rufen uns darum wie beschwörend zu: Achtet beim Predigen auf den cantus firmus, die alles tragende Melodie: Gottes grosse Taten! Von der biblischen Partitur - wir brauchen nur hinzuhören - geht Jubel aus: Gotteslob! Das soll die Predigt ausposaunen. Das Loblied auf Erden setzt sich im Himmel fort, stimmt ein in den Lobgesang der oberen Schar. Kirche, derart auf die Ewigkeit gerichtet, wird zum Ort der Gottesbegegnung auf Erden. Darum: Predigt seiner grossen Taten! Wohlklang für alle Welt!

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Nach Auskunft von Fachtheologen erklingt in volkskirchlicher Verkündigung biblischer Wohlklang nur noch selten. Wurde uns eine falsche Partitur untergeschoben? Statt Loblieder vom herrlichen Gott hören wir zu oft Lieder von den Taten und Untaten der Menschen. Fehlt Predigern der Heilige Geist, dann reden sie über alles, nur nicht über das Handeln Gottes. Geistlose Verkündiger kennzeichnet Gottvergessenheit. Alles ist ihnen wichtig, nur das Wichtigste nicht.

Es ist nicht immer so, aber zu oft: Statt Gott zu loben, werden Menschen gescholten. Statt Christus zu „treiben„ (Luther), wird er vertrieben. Glauben wird nicht gewirkt, sondern verhindert. Statt prophetischer Weite erleben wir private Enge, statt Klarheit Vernebelung. Anstelle von tötendem Gesetz wird Moral gepredigt, Evangelium verkommt zur Ideologie. Wo barmherziger Zuspruch angebracht wäre, finden sich inquisitorische Fragen. Gottes Liebe sollte in Predigten erfahren werden, stattdessen wird über sie nur geredet. Was Gott für uns tut, wird zur Forderung an Menschen. Was Menschen tun sollen, wird von Gott erwartet. Praktische Hilfen finden sich selten, stattdessen viele Appelle. Aus dem Retter wird ein Vorbild, aus dem Erlöser ein Problemlöser. Aus Konsequenzen des Glaubens werden Bedingungen zur Erlösung. Statt durch liebevolles Ermahnen zu fördern, wird überfordert. Kurz: Statt vom herrlichen Gott hören wir von hässlichen Menschen.

In den Predigtmissklängen bleibt das Lob des Höchsten auf der Strecke. Dagegen erklingt zu oft das garstige Lied: Wie schlecht ist doch die Welt! Die Leute können es nicht mehr hören. Sie meiden die Kirche. Misstöne schaden der Seele. Die verbleibende Gemeinde wird zunehmend verwirrt. Verunsichert weiss sie in der Regel nicht Wohlklang oder Missklang einer Predigt zu unterscheiden.

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Für Prediger und Predigerinnen gilt, den Grundton biblischer Predigt wiederzufinden! Die Gemeinde muss lernen, gute und falsche Töne zu erkennen, gedroschenes Stroh vom Weizen zu unterscheiden.

Nach Luther hat die Gemeinde Recht und Macht, Lehre zu beurteilen. Er schrieb 1523 ein Büchlein: Dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen: Grund und Ursache aus der Schrift.

Die Gemeinde ist in ihre Verantwortung zu rufen. Den biblischen Klang im Ohr soll sie lernen, Verkündigung zu beurteilen. Dann wird sie Pfarrern und Pfarrerinnen mündige Gesprächspartnerin werden, wird Echo geben, Mut machen, Anteil nehmen, sich am Zustandekommen der Predigt beteiligen. Gemeinde kann helfen, dass Prediger werden, was sie sind: Freudenboten. Darum müssen Gemeindeglieder die Freiheit bekommen, zur Predigt Fragen zu stellen und in Frage zu stellen. Sie sollen Predigern um des Evangeliums willen auch widerstehen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Gemeinden von den Kanzeln herab totgepredigt werden.

Prediger würden besser predigen, wenn sie bessere Kritiker fänden. Und sie fänden bessere Kritiker, wenn sie bessere Hörer hätten: Nicht Besserwisser, Rechthaber und Scharfrichter; an solchen Kritikern ist kein Mangel. Was unserer Predigt aber fehlt, ist das Echo der Gemeinde, (Rudolf Bohren). Echolosigkeit ist Zeichen für entmündigte Gemeinde, für nichtssagende Predigt. Wo kein Ruf laut wird, kann es kein Echo geben.

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Das Ansinnen, Predigten zu beurteilen, wird zunächst wohl eher abgelehnt: Prediger meinen u. U., dass sie als Fachleute des Wortes auf eine Beurteilung ihrer Predigten durch die Gemeinde nicht angewiesen sind. Die Gemeinde, die ihre eigene Begabung in der Regel unterschätzt, denkt ähnlich: Unser Pfarrer ist der Fachmann. Wir sind die schwachen Laien (und wollen es aus Bequemlichkeitsgründen auch bleiben). Wir dürfen an seiner allmächtigen Priesterrolle nicht rühren. Die Identität von Pfarrerinnen und Pfarrern auf der einen und der Gemeinde auf der anderen Seite steht auf dem Spiel.

Das Unterscheiden der Geister und das Beurteilen von Predigten wird nicht gleich gelingen. Aber welcher Bäckerlehrling backt schon am ersten Tag seiner Lehre perfekte Brötchen? Einübung tut not.

Geht es um die Predigt ihres Pfarrers, mischen sich bei mündigen Gemeindegliedern nicht selten Verzweiflung mit Ärger, heiliger Zorn mit unheiliger Wut, Trauer mit Sarkasmus. Falsche Töne sind bei Urteilen schnell im Spiel. Wer Predigten beurteilt, kann dabei schuldig werden. Der Verantwortung, Predigten zu beurteilen, dürfen sich Predigthörer dennoch nicht entziehen. Sonst bleiben nur Resignation und Passivität. Jemand sagte mir: In unserer Gemeinde läuft so ziemlich alles schief, aber wir kümmern uns nicht mehr darum. Reden hilft nicht mehr. Solche Ohnmachtsgefühle sind zwar verständlich, aber fehl am Platze. Sie stabilisieren nur das kirchliche Elend.

Die Dinge sind ernst: Angesichts der Fülle von Verrat an der christlichen Botschaft - in allen theologischen Lagern - schreibt ein Theologe, dass der Kirche des Evangeliums das Evangelium erhalten bleiben müsse. Damit die verlorenen Menschen auch in unserer Zeit in der Kirche nicht betrogen, sondern gerettet werden. Und damit die bedrohten Prediger sich mit ihrer Arbeit nicht den ewigen Tod verdienen (M. Josuttis).

Uns wurde die beste Botschaft unter dem Himmel anvertraut. Gemeinsam können wir vieles tun, damit sie rein und vollmächtig erklingt. Dazu ist Umkehr der Prediger vonnöten. Statt weiterhin zu oft in Moritaten vom hässlichen Menschen zu verfallen, sollen sie die grossen Taten Gottes verkündigen. Und die Gemeinde? Sie hat sich der schönen Mühe zu unterziehen, Massstäbe zu gewinnen, um auf Predigten vollmächtiges, qualifiziertes Echo zu geben.

Autor: Dr. Klaus Eickhoff
Quelle: Die Predigt beurteilen

Datum: 19.10.2007

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