Völlerei

Sind manche Sünden «gleicher» als andere?

Sünde ist Sünde – da gibt es keine feinen Unterschiede. In der Praxis sieht das allerdings oft anders aus. Da unterscheiden wir sehr wohl. Es gibt sogar Sünden, die in unseren Kirchen und Gemeinden weit verbreitet sind, dort aber quasi im Windschatten mitsegeln – unerkannt, unbenannt. Dazu gehört die Völlerei.
Hände greifen nach Geld

Die meisten Christen würden spontan sagen, dass Sünden in Gottes Augen tatsächlich gleich schwer wiegen. Dass es hier keinen Unterschied zwischen Notlüge und Mord gibt – beides sind Sünden, für die Christus am Kreuz gestorben ist. Doch das ist nur die Theorie. Praktisch wird niemand wegen einer Notlüge aus dem Leitungsteam seiner Kirche oder Gemeinde entlassen – wegen Mordes wohl schon.

Einige Sünden, selbst solche, die die katholische Kirche als «Todsünden» kennzeichnet, werden unter Christen allgemein toleriert. In der Regel verschwenden wir zum Beispiel keinen Gedanken an die unersättliche Jagd nach mehr, in der Bibel auch Völlerei genannt.

Unerkannt und weit verbreitet

Völlerei, das klingt nach Heisshunger auf Schokocremetorte mit einer Extraportion Schlagsahne. Oder nach gedankenlosem Chips-Essen beim Fernsehen über den Hunger hinaus. Mit diesem Bild im Kopf denken sich viele: «Damit habe ich kein Problem.» Oder auch: «Na und, was macht das schon?» In den meisten Kirchengemeinden gibt es übergewichtige Menschen – und niemand würde sie deswegen als weniger geistlich betrachten.

Der Studentenpastor Jason Todd stellt aber klar: «Völlerei ist nie nur Esssucht gewesen. Wenn wir sie in ihrer ursprünglichen Bedeutung betrachten, ist uns Völlerei viel näher, als wir gerne zugeben. Einfach ausgedrückt ist es die Sucht der Seele nach immer mehr.» Es geht dabei um Lust statt Hunger, um Wollen statt Brauchen. Gerade in unserer westlichen Wachstumsgesellschaft ist es schwierig zu unterscheiden, was gut und nötig ist und was wir uns über das Sinnvolle hinaus gönnen. So gesehen betrifft Völlerei nicht nur Menschen mit Essproblemen, sondern auch Schlanke und Durchtrainierte.

Es geht um fehlende Zufriedenheit

Der permanente Wunsch nach Mehr ergibt sich aus mangelnder Zufriedenheit. Wir sind unzufrieden mit unserer Portion auf dem Teller, unzufrieden im Ehebett, unzufrieden mit unserem Bankkonto. Und deshalb wollen wir mehr. In der Regel haben wir dabei kein konkretes Ziel, deshalb können wir auch nie ein zufriedenstellendes Mass an «Mehr» erreichen. Dieser Einstellung begegnen wir bereits in 1. Mose 3 – Adam und Eva hatten eigentlich alles, doch da war diese Sehnsucht nach mehr, diese Angst, etwas zu verpassen… Unser Appetit nach mehr ist stark wie der Tod. In den Sprüchen heisst es dazu: «Der Abgrund des Totenreiches ist unersättlich – ebenso die Augen des Menschen: sie wollen immer mehr!» (Sprüche 27,20) Diese Unersättlichkeit ist der Motor hinter dem, was die Bibel als Völlerei bezeichnet.

Positive Unersättlichkeit

Allerdings gibt es auch eine gute Seite der Unersättlichkeit. Die Sehnsucht nach immer mehr von Gott ist niemals verkehrt. Im Gegenteil: Sie ist Teil der Heilung von unserer Unzufriedenheit mit anderem. Denn das tiefe Verlangen unserer Seele können Menschen und Dinge letztlich nicht stillen. Es gibt nur eine Quelle, aus der schliesslich Zufriedenheit herrührt – und das ist Gott selbst. Wenn wir ihn «schmecken», dann verliert vieles von dem, was uns unzufrieden macht und antreibt, seinen Reiz, denn unser Geschmack ändert sich. David drückt diesen Gedanken in Psalm 34,9 folgendermassen aus: «Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn trauet!» Hier ist Heisshunger nicht verkehrt. Hier beeinflusst er unser Leben positiv.

Das Unsichtbare im Sichtbaren

Dieses «Schmecken und Sehen» von Gottes Freundlichkeit hat mehrere Seiten. Zunächst einmal bedeutet es, dass jede diesseitige Freude und Befriedigung gleichzeitig ein Hinweis auf die unendliche Freude und Befriedigung durch Gott ist. Unsere Bewunderung für einen Sonnenuntergang ist also nicht am Horizont zu Ende, sie reicht bis zu Gott selbst hin. Weiterhin bedeutet es, dass sich unser manchmal fehlgeleiteter Wunsch nach «immer mehr» durchaus auf Gott hin umleiten lässt. Wir versuchen dann nicht länger, «böse Gelüste» im Zaum zu halten. Vielmehr begreifen wir die Sehnsucht hinter unserer Sucht und fangen an, Gott darin zu sehen. Und wir können diese echte Sehnsucht pflegen. Wann haben wir zuletzt solche Sehnsucht nach Gebet gehabt, dass wir alles liegengelassen haben, um mit Gott allein zu sein? Wann haben wir zuletzt mit heissen Ohren in der Bibel gelesen und konnten gar nicht aufhören?

Hunger nach Gott

Wir brauchen unseren Lebenshunger nicht zu unterdrücken, aber wir können ihn in die richtige Richtung lenken – dahin, wo er eigentlich herkommt. Gott bietet uns mehr als kurzfristige Befriedigung. Jesus drückt dies so aus: «Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird niemals wieder Hunger leiden, und wer an mich glaubt, wird nie wieder Durst haben.» (Johannesevangelium, Kapitel 6, Vers 35) Wenn er unseren eigentlichen Lebenshunger gestillt hat, dann bekommen unsere Bedürfnisse nach Essen und Trinken, Sex, Geld und allem anderen einen neuen Stellenwert. Sie bestimmen und zerstören uns nicht länger durch ihre Masslosigkeit. Wir kommen heraus aus der Tretmühle des «immer schneller – immer mehr» und können nicht nur Gott, sondern auch seine Gaben ganz anders geniessen.

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Datum: 31.05.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Relevant Magazine

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