Internet- und SMS-Seelsorge

Anonym helfen

Man könne und wolle nicht therapieren, sondern erste Hilfe leisten, sagt Hans Peter Murbach, Geschäftsleiter von "Seelsorge.net". vergangenes Jahr wandten sich rund 1400 Personen anonym an die von der reformierten und katholischen Kirche in der Schweiz getragene Internet- und SMS-Seelsorge.
SMS-Seelsorge

Der reformierte Pfarrer Jakob Vetsch gründete 1995 in Zürich die weltweit erste Internet-Seelsorge. 1999 ergänzte er das Angebot durch Beratungen via Kurzmitteilungen per Mobiltelefon (SMS). Im vergangenen Jahr konnte Seelsorge.net das zehnjährige Jubiläum feiern.

Nach der 2004 erfolgten Umstrukturierung von einem privatrechtlichen Verein zu einer durch die Kirchen getragenen Organisation war das Jubiläumsjahr zugleich ein Jahr der Konsolidierung. Heute sei Seelsorge.net ein gut strukturiertes und breit abgestütztes Angebot von Internet- und SMS-Seelsorge, sagt Murbach. Ihr Slogan: „Das Netz, das hält.“

Bis zu einer Stunde für eine Antwort

Im Jahr 2005 verzeichnete die Homepage von Seelsorge.net zwischen 100 und 200 aktive Besucher pro Tag, und es sind insgesamt 751 Erstanfragen per E-Mail und 650 per SMS eingegangen. Ein Mail- und ein SMS-Master sammeln die Anfragen, bestätigen ihren Empfang den Absendern und verteilen diese auf die dezentral arbeitenden Seelsorger, welche innert Tagesfrist antworten.

Die Folge-Mails und Folge-SMS auf die Erstanfragen würden statistisch nicht erfasst, sagt Murbach. Aufgrund der Erfahrungen könne aber davon ausgegangen werden, dass das Seelsorgeteam mehrere Tausend E-Mails und SMS gelesen und verfasst habe. Die Beantwortung einer Anfrage könne je nach Komplexität des Problems bis zu einer Stunde Zeit in Anspruch nehmen.

Das Seelsorgeteam setzt sich aus 18 reformierten und 14 katholischen ehrenamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern zusammen. Es umfasst neben Theologinnen und Theologen auch einige Jugendseelsorger und Psychologen mit engem Bezug zum christlichen Glauben.

Anonymität und Virtualität

Neue Team-Mitglieder werden auf ihre Aufgabe an vier Halbtagen in einem Einführungskurs intensiv vorbereitet. Schwerpunkte dieser Ausbildung sind die Einführung in die technischen Grundlagen, die Erarbeitung eines einheitlichen Beratungsverständnisses sowie Fallbesprechungen. Mit dem Einführungskurs bilde man die neuen Team-Mitglieder für die spezielle Situation der Anonymität und der "Virtualität" aus, erklärt Murbach. Anschliessend würden sie während sechs Monaten von einem Paten begleitet und unterstützt.

Seelsorge.net will ein Auffangnetz sein, das Ratsuchenden eine erste, niederschwellige Ansprechmöglichkeit bietet. Ziel sei es, den Ratsuchenden so zu stärken, dass er sich wieder auffange, oder ermutigt werde, persönliche Hilfe in Anspruch nehmen, erklärt Murbach. Im Bedarfsfall erfolge eine Weiterleitung an geeignete Beratungsorganisationen. Deshalb gebe es wenig so genannte "Dauer-User".

Das Angebot von Seelsorge.net nehmen Personen aus allen Altersschichten in Anspruch, jedoch etwas mehr Frauen als Männer. Die Kommunikation per SMS wird eher von der jüngeren Generation genutzt.

Bei den Erst-SMS sind die wichtigsten Problemkreise: Partnerschaft, Sexualität, Familie, Suizid und Einsamkeit. Die wichtigsten Themen bei den Erst-E-Mails sind Beziehung und Partnerschaft, Persönlichkeit, Trauer und Depression.

Kaum Glaubensfragen

Glaubensfragen würden relativ selten gestellt, ergänzt Murbach. Das liege daran, dass das Angebot von Seelsorge.net gezielt auf Personen mit persönlichen Problemen ausgerichtet sei. Seelsorge.net ist für Menschen gedacht, die aus verschiedenen Gründen nicht persönliche Hilfe in Anspruch nehmen können oder wollen. Gegenüber persönlicher Seelsorge habe Internet- und SMS-Seelsorge den Vorteil, dass aufgrund der Anonymität sehr schwierige Situationen offener und direkter kommuniziert werden könnten, sagt Murbach. Trotz der Anonymität würden die eigentlichen Probleme aber häufig erst im Verlauf des Austausches von mehreren E-Mails oder SMS zum Vorschein kommen.

Notfälle problematisch

Nicht geeignet ist die Internet- und SMS-Seelsorge in akuten Notfällen. Gerade die Anonymität erweise sich dabei als Nachteil, erklärt Murbach. Auch die systembedingte Zeitverschiebung zwischen Anfrage und Antwort sei in diesen Fällen hinderlich. Seelsorge.net werde deshalb nicht in akuten Krisensituationen und Notfällen aufgesucht, sondern bei Schwierigkeiten, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelten hätten.

Um den Bekanntheitsgrad von Seelsorge.net zu steigern, betreibe man ein aktives „Vernetzungs-Marketing“, erläutert Murbach. Ziel sei es, auf möglichst vielen kirchlichen und beratungsorientierten weltlichen Websites mit einem Link präsent zu sein. Man sei aber auch darauf angewiesen, dass über Leute, die mit potentiellen „Kunden“ in Kontakt kommen, die Informationen gezielt gestreut würden. Diese "Multiplikatoren" statte man aus mit Flyern im Visitenkartenformat und Kleinplakaten.

Das Budget von Seelsorge.net beträgt rund 200.000 Franken pro Jahr. Die Kosten werden zu je 50 Prozent von der reformierten und der katholischen Kirche getragen. Sponso-ren übernehmen den Unterhalt der Website und stellen den beteiligten Seelsorgern gratis Handys mit Texttastaturen und Mobilfunkabonnemente zur Verfügung.

Mit wenigen Worten das Richtige zu sagen sei eine hohe Kunst, sagt Christine Grünig, Präsidentin der Kommission Internetseelsorge bei Seelsorge.net. Eine Kunst, die zuhören, einfühlen und ernst nehmen voraussetze. Eine Kunst, die all jene beherrschen müssten, die Internet- und SMS-Seelsorge leisten würden.

Datum: 25.07.2006
Quelle: Kipa

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