Hinter Mauern

Mauern abbauen

Klinik

Der Job war die Chance meines Lebens, dachte ich. Aber er wurde fast zur grössten Gefahr meines Lebens. Nach einem Jobwechsel, der auch einen Ortswechsel bedingte, hatte ich zunehmenden Stress. Der Job verlangte viel von mir und ich wollte alles geben, um gut zu sein. Dafür habe ich viel aufs Spiel gesetzt. Zu viel.

Ich arbeitete viel und immer mehr. Mit der Zeit hatte ich kaum mehr Zeit für Familie und Freunde. Über ein Jahr lang ging das so, bis mir alles über den Kopf wuchs und ich nicht mehr konnte. Ich kündigte die Arbeitsstelle und die Wohnung und verlor damit das, was mir bisher Halt in meinem Leben gegeben hat. Ich hatte keine Kraft, um zu leben, aber auch keine, es mir zu nehmen. Ich wusste nicht einmal mehr, was ich wollte. Ich konnte nicht mehr unter die Leute, das Leben war hoffnungslos. Eine sich immer tiefer drehende Abwärtsspirale begann.

Strahlende Maske, trauriges Gesicht

Äusserlich blieb ich der strahlende Christ, bei dem alles in bester Ordnung ist …Doch in mir herrschte Chaos und ich verlor das Gefühl für mich und meine Umwelt. Dank guten und treuen Freunden, die mir dringend rieten, Hilfe zu suchen, bekam ich die Adresse der Klinik SGM Langenthal (Schweiz). Dort werden seelische Krankheiten auf der Basis des christlichen Menschenbildes behandelt, und sie ist eine Klinik für Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie. In mir sträubte sich alles dagegen: «Die Psychiatrie, das ist ein Albtraum!» Ich kämpfte mit mir selbst. Durch die Verzweiflung und den enormen Stress nahmen die Spannungen zu. Ich merkte, dass ich mich nicht mehr lange unter Kontrolle haben konnte und befürchtete, mir was anzutun, denn ich kannte meine Neigung zur Selbstverletzung. So liess ich mich über meinen Hausarzt in die Klinik SGM Langenthal einweisen. In diesem Moment war es das Schwierigste überhaupt, aber im Nachhinein das Beste und Vernünftigste, was ich tun konnte! Hinter den schützenden Mauern und in der ruhigen Atmosphäre musste ich lernen, meine Masken abzunehmen.

Weg der kleinen Schritte

Ich fiel unendlich tief in ein Meer von Selbstverletzung und –Anklage, ohne dass ich gelernt hätte, darin zu schwimmen. Das ganze Kartenhaus, das ich mir aufgebaut hatte, fiel in sich zusammen. Ich kämpfte gegen mich, gegen das Pflegepersonal, gegen die Diagnose, gegen Gott! Trotz meiner Abwehr durfte ich in dieser Stress-Situation die liebevolle und professionelle Hilfe durch Pflegepersonal und Psychologin erfahren. Ich lernte, Hilfe von Menschen anzunehmen und erfuhr durch sie Gottes bedingungslose Liebe. In der Psychotherapie lernte ich in einem schwierigen Prozess, mich gegen die Selbstverletzung zu entscheiden. Langsam konnte ich mich öffnen und Stück für Stück von meiner schmerzhaften Vergangenheit anschauen. Gefühle, die jahrelang unter einem Deckel waren, durften an die Oberfläche. Immer wieder hatte ich SVV-Impulse (selbstverletzendes Verhalten), in denen ich mir selber tiefe Wunden zufügte. Durch einen Prozess mit vielen Gesprächen aber auch in der Wahrnehmungs- und Gestaltungstherapie lernte ich, mich auf andere Art immer besser zu spüren. Ich erfuhr Befreiung durch die Entscheidung gegen die Selbstverletzung. Anfangs musste ich mich stündlich entscheiden. Durch das intensive Training konnte ich den Kreislauf immer länger durchbrechen. Langsam und in kleinen Schritten lernte ich auch, mir etwas Gutes zu tun. Das waren keine Riesenschritte, wie ich sie oft in meinem Leben gehen wollte und an denen ich immer wieder scheiterte. Da wurde ich immer wieder von neuem ermutigt, kleine Schritte zu gehen. So lernte ich nach und nach, den Stress, den Schmerz nicht in roten Tränen gegen mich selber zu verwenden, sondern zu formulieren, auf eine gesunde Art abzubauen. Ich durfte Gefühle kennen lernen und sie beim Namen nennen. Immer wieder hatte ich harte Kämpfe und ein Gefühl der Ausweglosigkeit. In all dem wusste ich trotzdem: Gott verlässt mich nicht. Er ist da, er hält mich und er wird mir helfen und die Leute in der SGM geben mich nicht auf.

Leben ohne Mauern

Nach dem Klinikaufenthalt zog ich in eine Therapeutische Wohngemeinschaft, wo mein Lernprozess weiterging und geht. Ich blieb ambulant bei meiner Psychologin, zu der ich Vertrauen gefasst habe. Durch ihre Unterstützung konnte ich den Selbstverletzungs-Kreislauf durchbrechen. Ich musste mich nicht mehr verletzen, den «Notfallkoffer» hatte ich intus. Anfangs fiel mir der Wechsel in die ambulante Therapie sehr schwer. Es war eine neue Herausforderung, der ich mich stellen musste und es dauerte einige Zeit, bis ich diese neue Situation annehmen konnte. Nach und nach lernte ich, wieder mit Leuten Kontakt zu haben. Die wöchentlichen Sitzungen mit meiner Psychologin halfen mir, nicht aufzugeben. Heute, nach 9 Monaten Therapie, bin ich ein gutes Stück weiter. Ich fühle wieder Boden unter den Füssen, einen Sinn im Leben. Langsam und immer mehr fühle ich, wie eine Lebensqualität entsteht, eine Perspektive. Ich fühle neue Kraft. Es geht mir wieder besser. Ich habe überlebt! Die Selbstverletzung brauche ich nicht mehr, ich kann mir Gutes tun und es auch geniessen. Ich danke Gott, meinem Vater, dafür! Mögen viele Menschen seine Hilfe erfahren und erkennen, wie wertvoll sie von Gott, unserem Schöpfer, geschaffen wurden.

Psalm 139, 14 Ich preise dich darüber, dass ich auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, und meine Seele erkennt es sehr wohl.

Ich spüre diese innige und tiefe Liebe von Gott, dem Vater, und erlebe seine Annahme. Und ich beginne zu begreifen, wie sehr er sich über mich freut. Denn er wollte mich so und er liebt mich.

(Name der Redaktion bekannt)

Datum: 02.07.2005

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