Association of Christian Councellors

Die Seelsorge an Menschen aus andern Kulturen muss erst noch erlernt werden

Pfarrer Karl Flückiger.

Immer mehr Menschen aus andern Kulturen leben unter uns. Viele suchen Hilfe, haben aber Mühe, Menschen mit dem nötigen Verständnis für ihre Situation und ihren Hintergrund zu finden. Dem begegnete die Association of Christian Councellors (ACC) kürzlich mit einer Tagung in Zürich. Wir sprachen dabei mit dem Initianten der Tagung, dem Pfarrer und Seelsorger Karl Flückiger.

Fritz Imhof: Pfr. Karl Flückiger, Sie waren der Initiant der Tagung "Interkulturelle Seelsorge". Was hat Sie persönlich bewogen,eine solche Tagung zu organisieren?
Karl Flückiger: Ich reise jedes Jahr zweimal eine Woche lang nach Delhi, um bei einem Seelsorge-Ausbildungsprogramm in Nordindien mitzuhelfen. Ich besuche dann auch Slumbewohner - und lerne selber viel von den Indern. Und bin überrascht, dass wir Schweizer unsere Seelsorge-Erfahrungen im Dialog mit den indischen Pastoren so lehren können, dass sie Methoden und theologische Konzepte wirklich als Hilfe und Befreiung erfahren - meine fortwährende Angst ist aber: stülpe ich ihnen nicht etwas Fremdes über? Diese Erfahrung gibt mir Mut, weitere Begegnung zu wagen.
Hier in der Schweiz treffe ich immer wieder auf fremdsprachige Gemeinden von Immigranten, die bei etablierten Kirchen um Unterschlupf bitten und manchmal auch finden - aber kaum je entsteht ein Kontakt, der über den Mietvertrag hinausgeht.

Ist die Seelsorge in Landes- und Freikirchen auf die Herausforderung der Immigranten zuwenig vorbereitet?
Dazu ein Erlebnis. Während der Allianzgebetswoche traf ich mich mit Gemeindeverantwortlichen verschiedener Kirchen in Zürich-Nord, unter anderem waren ein Französisch sprechender Kongolose und ein englischsprachiger Tamile dabei. Der Kongolese erzählt aus seiner vorwiegend aus Schwarzen aus Zentralafrika bestehenden Gemeinde: zwei Drittel davon seien Asylsuchende und ebenso viele arbeitslos. Viele Männer hätten im Heimatland ihre Familie zurückgelassen - "aber Gott hat mich hierher geführt, er ist meine Sicherheit und meine Zuflucht - und ich lerne Deutsch, um dies auch den Schweizern sagen zu können."

Ein reformierter Pfarrer erzählte, seine Gemeinde habe erkannt, dass die Bevölkerung des Quartiers sehr gemischt im Sozialstatus und den Nationalitäten sei, dass aber in der Gemeinde nur die Schweizer Mittelschicht vertreten sei, und kaum Arbeitslose. Dabei wäre die Gemeinde doch auch eine Zu Flucht. Was ich damit sagen will: Auch Gruppen und Gemeinden haben aneinander eine seelsorgerliche Aufgabe.

Wie kommt es denn überhaupt zu Kontakten mit Menschen aus andern Kulturen?
An der Tagung erzählte ein Pastor aus Winterthur ein mutmachendes Beispiel. Durch die Heirat eines Gemeindegliedes mit einer Thailänderin kam die Gemeinde zu immer weiteren Kontakten zu Thai-Frauen. Schliesslich fand eine grosse Gruppe von Thais Zugang zur Gemeinde, und diese musste sich mit einem Übersetzungs- und Seelsorgedienst darauf einstellen. Nun bildet sich auch
der Pastor in Interkultureller Seelsorge weiter.

Was war die wichtigste Aussage der Tagung im Blick auf den seelsorgerlichen Auftrag der christlichen Kirchen und Gemeinden?
Die interkulturelle Herausforderung in unserer Gesellschaft wird noch zunehmen, die christlichen (Frei)Kirchen haben einen Vorteil darin, weil der Glaube über alle Grenzen verbindet , wenn wir denn nicht zu puritanisch auf unserer ach so geliebten Theologie als der einzig richtigen beharren. Zudem haben Schweizerkirchen von ausländischen Immigrantenkirchen viel zu lernen - und umgekehrt haben auch wir Gaben einzubringen. Modelle sind gesucht!

Zwei inhaltliche spezielle Schwerpunkte: In der Beratung wurde deutlich, wo Seelsorger dringend Weiterbildung und Erfahrungsaustausch benötigen: dies sind zum einen die Beratung binationaler Paare, zum andern der Umgang im Dreieck mit Asylanten, ihren Ansprüchen und Geschichten sowie den Behörden.

Gibt es Erkenntnisse daraus, die jeden Seelsorger/ jede Seelsorgerin betreffen?
Jeder von uns erlebt es immer wieder, dass er irgendwie zwischen den Kulturen steht. Das Gefühl von "Fremd sein" entsteht nicht erst, wenn mir ein Tamile gegenüber sitzt. Im Kontakt mit Fremden erfahre ich Gott, der sein Volk mehrmals in die Fremde führte, ja zwang. Und der sich selber fremd machte - um dem Menschen, dem Letzten, sogar mir zu begegnen. Im Fremden begegne ich Christus.
Jeder Mensch hat Erfahrungen des Fremdseins und Gott selber führt Menschen in die Fremde. Niemand kann fremde Kulturen genügend und von Grund auf kennen, dass er ein unfehlbarer und perfekter Seelsorger wäre. Aber mit geeigneten Methoden, interkultureller Erfahrung und in der sensibeln Begegnung lerne ich vom andern, wie seine Kultur funktioniert.

Gab es für Sie selbst ein Aha-Erlebnisse an der Tagung?
Seelsorge als Fachgebiet wird durch die interkulturellen Erfahrungen erneuert. Von den Missionserfahrungen (im In- und Ausland) kommen die aktuellen Impulse für Seelsorge. Wie ist Seelsorge zu verstehen, wenn ich mit einem Muslim im Gespräch bin? Wie wirkt der Heilige Geist? Die Erlebnisberichte der Teilnehmenden widerspiegelten die vielen neu entstandenen theologischen Fragen, die Tiefe und Schwere und die Ohnmacht in Begegnungen mit den Fremden - aber auch die Leichtigkeit und das Humorvolle der interkulturellen Begegnung.

Das Interesse an der Tagung hielt sich in Grenzen. Werden Sie das Thema trotzdem weiter verfolgen?
Im Gegenteil - das Interesse an der Tagung war immens - aber die Begeisterten hielten sich mit ihrer Anmeldung noch zurück. Wir werden auf verschiedenen Ebenen weiterfahren: eine weitere Tagung vorbereiten und dazu eine internationale Spurgruppe zusammenstellen, Texte sammeln mit exemplarischen Begegnungen/Erlebnissen/Erfahrungen, nach Referenten Ausschau halten, die uns einen Schritt voraus sind und mit verschiedenen Organisationen zusammenarbeiten, um eine weitere Tagung vorzubereiten.

Datum: 22.01.2004
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet.ch

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