ICF Zürich

„Wir sehnen uns nach mehr Leben“

Die ICF-Muttergemeinde in Zürich hat jeden Monat ein neues Bühnenbild. Die Leiter haben der bereits zehnjährigen Freikirche den ständigen Wandel verschrieben – und doch altert sie. Im grossen Livenet-Gespräch gibt ICF-Leitungsmitglied Dani Linder preis, wo sich die ICF-Pastoren inspirieren lassen – und dass sie mehr unprogrammiertes Wirken des Heiligen Geistes wünschen.
Dani Linder, promovierter Jurist, ist im ICF-Leitungsteam fürs Finanzielle und die Medien zuständig.
Singende GenX-ler: ICF bietet jedes Wochenende sechs Gottesdienste für fünf Altersgruppen an.
Sooo viel für Jesus! Hauptpastor Leo Bigger fordert die ICF-ler heraus.
ICF möchte im boomenden Stadtteil Zürich-West bleiben.
Immer mehr Tochtergemeinden: ICF-Gründer Heinz Strupler und Leo Bigger nach dem Start von ICF Züri Oberland in Gossau.
„Wo die Wiese grün ist, dorthin gehen die Schafe“: Das Foyer der Maag-Halle, in dem die ICF-ler sich zur Celebration treffen.

Livenet: Dani Linder, ICF wendet viel für trendy Shows auf. Woher habt ihr die Ideen?
Dani Linder: Regelmässig fliegen wir um die Welt und schauen uns vorbildliche Gemeinden an. Dieses Jahr besuchen wir Willow Creek in Chicago und Hillsong in Sydney. Wo auch immer etwas läuft, sehen wir uns das an und überlegen: Was machen die gut? Was würde für uns passen? Was nicht? Wir sind auf der Suche nach neuen Ideen und überlegen dann, macht es Sinn, dies und das einzuführen oder gewisse Dinge anzupassen – damit wir die Kirche so weiter entwickeln können, damit die Menschen verstehen, worum es uns beim Glauben an einen lebendigen, kreativen Gott geht.

Ihr übernehmt und adaptiert hemmungslos…
Hemmungslos, wenn es sein muss. Entdecken wir Dinge in unseren Abläufen, die uns nicht mehr gefallen, finden diese nächste Woche nicht mehr statt. Das können Elemente der Celebration sein (Theater, Video, Multimedia). Wenn sie nach unserem Empfinden zu starr und vordefiniert oder so exakt aufeinander abgestimmt sind, dass das Leben abstirbt, dann hören wir sofort auf damit oder ändern sie ab.

Was den Beteiligten hohe Flexibilität und Team Spirit abfordert.
Team Spirit, ja. Und wir haben immer noch einen gemeinsamen Wunsch im Herzen, der uns am Laufen hält: Kirche so attraktiv wie möglich zu gestalten. Wir machen nicht Kirche und warten dann, bis die Menschen zu uns kommen, sondern bringen Kirche zu den Menschen. Kirche als Produkt für eine Zielgruppe heisst, so lange zu designen, bis das Produkt akzeptiert wird. Unserer Überzeugung nach ist Kirche für die Menschen da, nicht umgekehrt.

Habt ihr Marketing-Berater, oder ist dieser respektlose Umgang mit kirchlichen Formen Eigengewächs einer Inner City Church?
Wir möchten nicht in irgendeiner Form respektlos sein. Wir halten gewisse kirchliche Traditionen durchaus hoch. ICF ist in einem gewissen Sinn auch schon traditionell – es gibt uns schon zehn Jahre. Aber bei uns ist nichts wirklich Gesetz, festgeschrieben, so dass das, was ist, so bleiben muss. Wir sind im Gebet über diesen Dingen. Wir haben viele kreative Leute.

Wir sehen, wie sich die Welt entwickelt. Einige flogen nach Las Vegas, um zu sehen, wie die Partymetropole der Welt ihre Milllionenscharen anzieht. Warum sollten wir nicht Elemente daraus, die auch für kirchliche Zwecke passen, übernehmen respektive adaptieren? Letztendlich kann man ja einem Menschen erst dann das Evangelium erzählen und ihm die Liebe Gottes erklären, wenn er der Einladung, zu kommen, auch folgt und bleibt!

Was habt ihr in Las Vegas gelernt?
Ähh… zum Beispiel Design. Dass es anziehend ist für Leute, wenn sie etwas Schönes sehen. Die Hülle, die Verpackung spielt in unserer visualisierten Gesellschaft eine sehr grosse Rolle. Das fängt mit den eigenen Kleidern an und führt dazu, dass wir unsere äusserlich unattraktive Fabrikhalle im Inneren stilvoll gestalten, so cool, dass es dem Geschmack eines breiteren Publikums entspricht. Unser Design-Team kümmert sich darum. Wir passen die Bühnengestaltung dem Monatsthema an – jeden Monat eine völlig neue Dekoration.

Wir treiben einen hohen Aufwand, um Kirche attraktiv zu präsentieren. Was – wie wir glauben – unser Gott verdient hat. Er hat das Beste von sich gegeben; er soll das Beste von uns bekommen. Mit dem, was wir tun, und vor allem, wie wir es tun, wollen wir unseren Gott, von dem wir absolut begeistert sind, ehren – und zwar ausschliesslich. Es geht uns nicht darum, einfach eine moderne Kirche zu sein. Das macht letztlich keinen Sinn.

Welche Anstösse hat ICF aus Willow Creek und Hillsong aufgenommen?
Aus Willow Creek kommt ganz klar die Sicht für die Gemeinde am Ort. Wie Bill Hybels sagt: „There is nothing like a local church when the local church is working right.“ Es gibt nichts Kraftvolleres als eine lokal verankerte Kirche in ihrer Kultur, wenn diese Kirche gut und richtig funktioniert. Wenn wir sagen: „Church makes the difference“, meinen wir genau das. Wir tun alles, was zum Aufblühen der Kirche beiträgt.

Was nicht dazu dient, lassen wir bleiben, überlassen wir anderen. Unser Auftrag ist, Kirche zu bauen. Das eint uns über die Generationen hinweg. Kirche hat sonst bei Jungen den Ruf einer alten, seltsamen, zunehmend irrelevanten Institution. Wir halten dagegen. Das braucht eine Vision und viel Herzblut.

Die Hillsong-Church in Sydney hat uns beeindruckt mit Qualität im Worship, in der Musik, in der Präsentation – und mit der Qualität der Kleingruppen. Hillsong ist eine Power Church im Lobpreis.

Ihr holt jene jungen Leute ab, die willens sind, ihren Glauben aktivistisch zu leben.
Ich würde sagen, offensiv zu leben.

Melancholisch Veranlagte werden sich bei euch weniger wohl fühlen…
Im Unterschied zu uns lädt die reformierte Landeskirche die Menschen ein, ihren Weg zu suchen, und ist dabei offen. Bei uns ist es anders: Wir denken, es gibt einen Weg, der zur Nachfolge von Jesus gehört. Einen Weg, zu dem wir bestimmte Elemente zählen.

Wir deklarieren, was unser Weg ist, als Angebot, ohne zu sagen: ‚Das ist der einzige Weg’. Wir sagen keineswegs, dass man nur im ICF Christ sein kann. Wenn das für jemand passt, ist es gut; wenn sie oder er aufblüht, ist es noch besser – dann haben wir beide gewonnen. Wenn nicht, dann eben nicht.

Auf alle Fälle sind bei uns alle Menschentypen willkommen. Wir können aber nicht garantieren, dass es alle bei uns aushalten (lacht).

ICF altert. Wie geht ihr damit um, dass die Paare zu Dutzenden heiraten und Kinder kriegen? Reisst ihr die Familien für die montägliche smallgroup auseinander? Wenn nun ein Baby da ist…
…wird es entweder mitgenommen, bleibt zu Hause oder hat einen Babysitter. Das ist eine Herausforderung, die zeigt, wie wichtig den Leuten die smallgroup ist. Ja, man zahlt einen Preis.

Als Mentor, Leiter einer smallgroup, muss ich die Mentorschulung besuchen, bin also einen weiteren Abend pro Woche weg.
Ja, aber nur für drei Monate. Zudem sind wir gerade am Überlegen, ob es nicht möglich und besser wäre, das gesamte Kursangebot auf den Sonntag (!) Nachmittag zu legen, unmittelbar nach der Celebration. Die Leute sind ja dann schon da und müssen nicht nochmals extra anreisen. Wird ein solches Angebot angenommen, werden wir das sicher so einführen. Eben, Flexibilität ist gefragt!

Nochmals: Wie altert ihr? Ihr gehört mittlerweile zum Stadtbild. Wie geht ihr damit um, dass ihr als Gemeinde nicht mehr so frisch, jung und neu seid in Zürich?
Für uns überwiegt das Positive. Wir werden einerseits ständig in Bewegung gehalten und können uns nirgends fix einnisten. Wir müssen in ein paar Jahren weiterziehen; Ende 2008 läuft der Mietvertrag aus, vielleicht wird er noch um ein bis zwei Jahre verlängert. Wir befinden uns im Herzen von Zürich-West; das Gebiet wird so teuer werden, dass wir uns das Bleiben wohl nicht leisten können. Auf dem ehemaligen Maag-Areal wird es vermutlich für eine Kirche keinen Platz haben. Aber wer weiss, vielleicht passieren bis dahin noch ein paar Wunder. Wir würden gern in dieser Gegend bleiben…

…obwohl sie nicht gerade familienfreundlich ist.
Das wird sie aber. Denn sie wird, von hier bis zu den Stadien hinaus, überbaut werden, mit Wohnungen vom Feinsten, auch vom Teuersten. Restaurants, Bars, Begegnungs- und Ausstellungsräume usw. sind hier multikulti – das gefällt uns. Wir leben ja alle in dieser Welt und sind Teil von ihr. Also finden wir, dass es auch eine passende "Kirche im Dorf" – eben Zürich-West – braucht.

Also: Die äusseren Umstände halten uns in Bewegung, wir halten uns selbst auch in Bewegung, da es uns schnell langweilig wird, wenn die Dinge gleich bleiben. Der erste, dem es langweilig wird, ist Leo (Hauptpastor Leo Bigger; Red.) selbst. Wenn die Celebrations fünfmal in Folge gleich ablaufen, kündigt er schon fast (lacht), wird unruhig wie ein Löwe im Käfig – dann muss wieder was passieren.

Wir haben einen hohen Grad an Lebenslust bei leitenden Leuten, anderen Pastoren, die einfach immer am Drehen sind. Ihr Motor läuft. Wir passen auf, dass das Leben nicht weggeht bei uns, dass wir uns nicht überstrukturieren, uns nicht einmauern, sondern sagen, wir stehen im Leben und wir bringen das Leben in die Kirche.

Wenn du das so managerhaft sagst, stellt sich die Frage, wieviel Raum der Heilige Geist hat.
Gute Frage. Hoffentlich immer mehr Raum. In den letzten Monaten, vielleicht auch ein, zwei Jahren, hat er etwas gelitten, weil wir sehr mit uns selbst beschäftigt waren, vielleicht aus einer gewissen Not und Unruhe heraus. Das Zügeln spielte mit, die Grösse, das Gefühl, überfordert zu sein. Aus Angst, die Zügel könnten uns entgleiten, haben wir die Dinge zu kontrollieren versucht. Das gebe ich zu. Mag sein, dass aus dem anfänglich wilden ICF der 90er-Jahre etwas sehr Strukturiertes, Organisiertes geworden ist…

…eine Truppe…
…genau, eine Truppe mit einem durchgestylten Programm. Wir spüren, dass wir vor einer neuen Phase stehen, in der wieder mehr Leben – das heisst für uns: Heiliger Geist – in die Kirche kommen muss. Es muss überraschender, vielfältiger werden, nicht umprogrammiert, sondern unprogrammiert. Wir möchten mehr Kraft vom Heiligen Geist erleben, in welcher Form auch immer. Ich denke, von unserer Entwicklung her sind wir jetzt ready dafür. Das ist unser Weg.

Ihr möchtet mehr eintauchen in die Sphäre des Heiligen Geistes?
Ich möchte dem kein Etikett geben. Klar ist: Wir möchten nicht von Programm bestimmt werden, sondern uns mehr leiten lassen, im Worship, in der Predigt, im Gebet, im Drumherum. Wir möchten spontan sein, auch mal etwas weglassen, näher an dem sein, was Gott in einer Celebration tun möchte.

Euch von der Organisation Richtung Organismus entwickeln?
Absolut. Eigentlich war uns das immer schon wichtig. Wir haben uns immer als Organismus verstanden, haben aber in der Vergangenheit unter Überorganisation gelitten oder meinten, uns besser organisieren zu müssen. Wir sehnen uns nach noch mehr Leben.

ICF hat, so scheint es, immer mehr Tochtergemeinden…
Ja, das geht weiter. Das gehört zu unserem Herz. Unsere Art, Mission zu leben, ist Kirchen zu gründen. Das ist, denke ich, was wir können und wozu wir auch beauftragt sind. Weitere ICF in der Schweiz ausserhalb von Zürich und im umliegenden Ausland.

Christen kommen von weither und wollen in Zürich sehen, wie man das macht: Wie geht das?
Das geht auch smallgroup-mässig. Unsere ganze Kirchenstruktur ist auf Multiplikation ausgelegt. Auch die Pastoren anderer ICFs halten natürlich Ausschau nach Leuten, Paaren am besten, mit Leiterschaftspotenzial. Die sprechen wir an, die holen wir, wenn es geht. Sie kommen in der Regel hier nach Zürich, um sich mal das ICF-DNA zu holen. Zu verstehen, warum wir die Dinge so tun. Wenn das passt, wenn die Saat aufgeht, werden sie in ihre Heimatstadt zurückgehen und mit einer smallgroup beginnen.

Dann gibt es viel weniger Gemeinden, als smallgroups begonnen wurden?
Ja, natürlich. Anderseits fehlen uns Leiterpaare. Für Luzern wünschen wir uns seit langem ein Leiterpaar. Viele Leute kommen aus Luzern hierher. Es gibt eigentlich schon eine halbe Kirche da, 40-50 Leute, aber keinen Leiter. In Genf startet Matthias Bölsterli, einer der Co-Gründer von ICF-Zürich. Wir schicken den besten Mann, den wir haben, nach Genf, weil uns die Sache so wichtig ist.

Eine theologische Ausbildung verlangt ihr von den Pastoren nicht?
Doch, in dem Sinn, dass wir hier im Haus eine eigene kleine Pastorenschule haben. Bevor jemand in eine Stadt geht, wird er während sechs Monaten vollzeitlich trainiert, muss bei uns mitarbeiten. Am wichtigsten ist aber eben das Spüren und Erleben der ICF-DNA. Das kann man nicht teachen.

Macht ihr ICF auch auf dem Land?
Es gibt ICF Emmental, brutal ländlich. Es funktioniert. Die haben zwar so ihre Probleme mit Zürich, mit Grossstadt, die kopieren nicht einfach, was wir hier machen, sondern passen es an. Wichtig ist, dass es Leute sind, die das Leben dort kennen und in der Kultur gross geworden sind. Elemente von unserer Gemeindekultur bringen wir ins Emmental. Eben "local church".

(Anm. Red: Das Interview wurde vor dem Start von ICF Züri Oberland im Dezember geführt.).

Wie sehen die Finanzen aus?
Wir haben genug. Dieses Jahr hat ICF Zürich 4 Millionen Franken budgetiert. Für ICF International etwa 200'000 Franken. Wir haben zudem einen Diakonie-Fonds; mit dem diakonischen Teil unterstützen wir Leute in unserer Gemeinde, die ein Finanzproblem haben; der Rest geht in Missionsprojekte, und wenn Ende Jahr etwas übrig bleibt, geben wir es weg. Die Kirche gibt also auch den Zehnten.

Wie entwickeln sich die Beziehungen zu anderen Kirchen?
Das ist mein Lieblingsthema (lacht). Wir sind nicht so böse, wie wir immer dargestellt werden…

Man hat sich daran gewöhnt, dass ihr Leute abwerbt…
…hat es geheissen. Es ist ja nicht so, sondern wo die Wiese grün ist, dorthin gehen die Schafe. Wenn es nichts mehr zu beissen gibt, gehen die Schafe weg. Wir haben kein Interesse an Transferwachstum in irgendeiner Form.

Wie viele von den 1400 im ICF sind durch eure Arbeit zum Glauben an Christus gekommen?
Uiii, keine Ahnung. Ich weiss es wirklich nicht. Dazu haben wir keine Statistiken.

Möchtet ihr das Verhältnis zu anderen Kirchen normalisieren?
Mit Freikirchen haben wir grundsätzlich kein Problem. Bei den Landeskirchen haben wir mit den Protestanten eher mehr Mühe als mit den Katholiken, erstaunlicherweise. Ich würde behaupten, dass das nicht wirklich viel mit uns zu tun hat, sondern wir werden von der Landeskirche, vor allem den Reformierten, einfach eigenartig wahrgenommen. Dazu kommt ihr Anspruch, andere Kirchen und religiöse Gruppen zu bewerten und zu beurteilen. Das finde ich geistlich hochproblematisch.

Ich ziehe Infosekta oder Hugo Stamm vom Tages-Anzeiger vor; sie beobachten uns neutral und sagen uns, was sie gut oder sektenhaft finden. Ihnen nehme ich das ab. Die Landeskirchen aber sind Partei. Ich sage: ‚Was sucht ihr den Splitter im Auge des Anderen und sucht den eigenen Balken nicht?’ Man muss uns nicht lieben, aber soll uns fair behandeln.

Datum: 29.12.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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