Kleingruppen im ICF Zürich

„Von Anfang an ist klar, wohin die Reise geht und wofür wir stehen“

Mit ihrem G12-Modell für Kleingruppen hat die trendige Freikirche ICF Zürich für Aufsehen gesorgt und Kritik eingefahren. Im ersten Teil des grossen Livenet-Interviews geht ICF-Leitungsmitglied Dani Linder auf Fragen zur Kleingruppenstruktur und Hierarchie ein.
„Mehr als dabei sein – Pastor einer eigenen Gruppe werden“: Dani Linder über G12
Worship in der Maag-Halle: ICF lebt im Zweitakt von Celebration und Kleingruppe.
Freundschaft – nicht nur am Sonntag – ist das Ziel der Kleingruppe.
15 Minuten vom Hauptbahnhof: ICF Zürich trifft sich in einer umgebauten Halle neben der Zürcher Hardbrücke.
Vorgaben für die Woche: ICF-Hauptpastor Leo Bigger predigt vom Reich Gottes.
Drink gefällig? Zum ICF-Foyer gehört eine grosse Bar.

Livenet: Dani Linder, warum habt ihr eure Gemeinde im Jahr 2002 umgekrempelt?
Dani Linder: Wir wollten das bekannte Modell mit Workshops (Hauszellen), das wir hatten, weiterentwickeln. Die Zellen wurden zu gross und belasteten die Leiter übermässig. Man musste sie teilen; dabei wurden gewachsene Beziehungen zerstört. Dies fanden viele schwierig.

Zudem suchten wir ein Modell, das die Workshop-Besucher dazu bringt, sich aktiver als Nachfolger von Jesus zu sehen und zu verhalten. G12 erkannten wir als eine Möglichkeit – nicht einfach die Lösung –, umso mehr, als unsere Leute sich mit dem Gedanken anfreunden sollen, selbst eine Gruppe zu haben. Nicht nur dabeizusein, sondern auch selbst Pastor einer ganz kleinen Gemeinschaft zu werden. Das hat Staub aufgewirbelt, war revolutionär, setzte Emotionen frei – aber es wurde relativ schnell akzeptiert, dass es im ICF nicht nur ums Konsumieren gehen kann, sondern ums Investieren.

ICF kennt man als Eventkirche. Der Tatsache, dass Jugendliche dabei passiv konsumieren, seid ihr mit einem radikalen Schritt begegnet. Haben alle ICF-ler die Fähigkeit, andere anzuleiten und zu betreuen?
Nicht alle im gleichen Mass. Aber wir sind der Überzeugung, dass über kurz oder lang alle dieses Ziel erreichen können. Mit Gruppenleitung meinen wir nicht 12, 15 oder 20 Leute. Das können auch 3 oder 4 Freunde sein. Ein Leiter kann sagen: Ich möchte nicht mehr als 3 oder 4 in meiner Gruppe haben. Das ist okay. Aber es ist ein geistliches Prinzip: Was an geistlicher Nahrung aufgenommen wird, sollte irgendwann weitergegeben werden. Sonst wird man zu einem stillen Gewässer, das zu stinken beginnt.

Was bei uns fehlte, war der Abfluss: Wir haben die Leute geteacht und gepredigt – aber was machten sie damit? Wo gehe ich hin und setze mich ein? Das war nicht klar.

Zum Stichwort Event: ICF ist nicht eine Partykirche, sondern eine Kirche für die Partygeneration. Das ist etwas Anderes. Wir haben den Fokus, Kirche zu den Menschen zu bringen, so wie wir sie wahrnehmen. Party, Ausgang, sich treffen, multimediale Events besuchen – das gehört zum Leben. Wir widerspiegeln das in der Kirche, weil wir hier möglichst nahe bei den Leuten sein wollen. Es geht uns nicht um Party oder Event, auch wenn wir grosses Gewicht auf das ganze Bühnenerlebnis legen.

Wir wollen Kirche sein, wir wirken darauf hin, dass die Menschen verbindlich in der Kirche bleiben, nicht bloss konsumieren, sondern sich herausfordern lassen, in die Nachfolge von Jesus einzutreten. Das heisst: Ich fange mich an zu entwickeln. Und was ich selbst gehört und gelernt habe und als wahr erfahre, fange ich an weiterzugeben. Denn erst dann beginnt es wirklich zu leben.

Warum G12 – ein Programm aus Kolumbien, das Männer und Frauen trennt und mit der Unterstellung unter den Gruppenleiter (der auch wieder einen Leiter hat) eine hierarchische Gliederung schafft?
Wir wollen weder die Geschlechter künstlich auseinander reissen noch ein hierarchisches Führungsmodell einbauen. Wir haben G12 von Anfang an bei weitem nicht so radikal gelebt, wie es in Südamerika verwirklicht ist. Bei weitem nicht.

Was habt ihr gemildert?
Zum Beispiel den Rhythmus der Treffen. Wir haben immer noch ganz brav ein Treffen pro Woche, nicht mehrere. In Kolumbien gibt es praktisch keine kirchlichen Veranstaltungen, dort wird alles über die G12-Gruppen organisiert – sofern überhaupt etwas organisiert wird. Das ist für uns zu wild und passt nicht zu unserer Schweizer Kultur.

Seit es ICF gibt, haben wir noch nie ein Gemeindemodell 1:1 kopiert. Wir haben Teile adaptiert und hier angepasst eingeführt. Denn für jede Kultur gibt es einen Schlüssel, und wir suchen den Schlüssel, mit dem wir hier im Land die Menschen erreichen können – und wie wir sie halten können.

Auf dieser Grundlage definieren wir die Modelle. Wir zielen nicht auf eine Hierarchie ab. Die Idee von G12 ist eigentlich eine Dezentralisierung, das heisst: Die Last einer grösseren Kirche wird auf mehr Schultern verteilt, als wenn bloss wenige Workshop-Leiter eine grosse Traube an Leuten betreuen müssten. So hat jeder eine überschaubare Zahl von Leuten und kann sagen: ‚Das ist meine kleine Kirche, für die bin ich der Hirte, bin ich zuständig. Wenn ich nicht mehr haben möchte, muss ich das nicht.’ Und da kann man unten wieder eine Generation dazufügen.

Damit bleibt das System auch in Bewegung, frisch in den Köpfen. Jedem, der zu uns kommt, sagen wir offen: ‚Wir haben mit dir das Ziel über kurz oder lang (je nach Typ), dass du einmal eine eigene Gruppe hast.’ Das finde ich gut; von Anfang an ist klar, wohin die Reise geht und wofür wir stehen.

Dann ist Glaube nicht das, was ich (für mich) im Herzen habe, sondern auf Gemeinschaft hin ausgerichtet. Glaube heisst dann: Ich erhalte etwas – und gebe es weiter.
Ja, genau. Es braucht Zeit, bis sich sowas entwickelt hat, gerade in der Schweiz. Eigentlich geht es um Freundschaft. Was wir erreichen möchten, ist ein Zusammenwachsen in Freundschaft – nicht nur kirchliche Verbindung. Das braucht Beständigkeit; die Gruppe darf nicht immer wieder geteilt werden.

Wann habt ihr G12 eingeführt?

Im Jahr 2002. Allerdings nennen wir es jetzt nicht mehr G12, genau aus den genannten Gründen: Solange wir G12 hatten, wurden wir auch als G12-Kirche identifiziert und mussten ständig erklären, warum wir eigentlich nicht genau G12 machen. Wir sprechen jetzt von ‚smallgroups’.

G12 bzw. smallgroups sind also verbindliche Kleingruppen, mit Männern oder Frauen, die motiviert werden, selbst einen Kreis zu bilden mit Menschen, für die sie da sind…
Genau. Das Ziel der Smallgroups ist, Gemeinschaft zu leben im sozialen Sinn, Freundschaft zu bauen. Auch Gott zu erleben. Und drittens Multiplikation.

Hat die Multiplikation funktioniert? Ihr habt doch bei der Einführung von G12 Leute verloren.
Wir haben viele Leute verloren – zuerst. Doch heute haben wir 1400 Personen, Männer und Frauen, die fix in smallgroups integriert sind. Soviele hatten wir auch zu den besten Workshop-Zeiten nicht. Das System hat sich bewährt, und wir sehen keinen Anlass, es schon wieder zu ändern. In Beton gemeisselt ist es jedoch nicht.

Die meisten Gruppen haben 6-9 Leute. Wir ziehen das in allen Altersgruppen durch. Mein Sohn ist zehnjährig. Am Sonntag geht er in den Chinderexpress. Nach dem Input hockt er sich mit seiner Gruppe von noch Jüngeren in die Ecke und bespricht, was sie gehört haben – natürlich unter Begleitung eines Erwachsenen. Ein Zwanzigjähriger hat dann ein Gruppe von Teenagern. So ermutigen wir Kinder und Teenager, das Gehörte einzusetzen.

Die Trennung der Geschlechter gibt natürlich zu Diskussionen Anlass. Viele hätten das gern anders, das ist klar. Wir haben überwiegend die Erfahrung gemacht, dass Männer unter sich und Frauen unter sich eher tiefer gehen, sich eher öffnen und von sich erzählen. Männer sprechen anders unter Männern, als wenn Frauen da sind. Die Trennung ist nicht biblisch begründet, sondern einfach sinnvoll: Sie trägt dazu bei, dass verbindliche, tiefe Freundschaften entstehen.

Schweizer, die in London an einer Konferenz mit G12-Begründer César Castellanos Dominguez teilnahmen, waren vom Starkult für den Kolumbier befremdet.
Das würde mir auch schwer fallen. Wir sind nicht auf ein System, eine Kirche oder Person fixiert. Regelmässig fliegen wir um die Welt und schauen uns Kirchen an, die Trends setzen.

Ihr dringt in den Kleingruppen auf verbindliche Freundschaft. Spürt ihr da Gegenwind?
Freundschaft ist nicht mehr selbstverständlich. Die Verbindlichkeit, sich für etwas zu investieren, ist heute nicht mehr so gegeben wie früher. Die Partygeneration fragt erst einmal: Stimmt es für mich? Wir versuchen das umzudrehen und zu vermitteln: ‚Du kannst auch einen positiven Einfluss haben auf dein Umfeld, du kannst es umprägen und umgestalten. Das bedingt Einsatz und Durchhaltevermögen – ein Ziel brauchst du.’ Das muss im Herzen bei den Leuten aufgehen. Es geht ja nicht ums System, sondern um die Herzen der Leute. Nichts ist so schwierig, wie ans Herz eines Menschen zu kommen und es so zu verändern, dass es anfängt, das eigene Leben und dann das der Nächsten positiv zu beeinflussen.

In den smallgroups leben wir nach dem Prinzip: ‚Gewinne, festige, trainiere, beauftrage.’ Im Idealfall – jeder Mensch ist anders – lernt eine Person bei uns Jesus kennen, bekehrt sich, möchte Anschluss finden in einer Gruppe, findet ihn auch. Ihr Mentor geht mit ihr eine Phase der Festigung durch, in der sie die Grundlage des christlichen Glaubens erklärt bekommt, acht Lektionen. Es folgt das Training, das zu einer gesunden geistlichen Selbsteinschätzung führt. Am Schluss soll die Person fit und im Herzen bereit sein, weiterzugeben, was sie empfangen hat. Wir denken, dass Jesus dies gemeint hat, als er den Missionsauftrag gab.

Wie schult ihr die Mentoren? Wie verhindert ihr, dass sie – nachdem sie die Powerpredigt von Leo Bigger in der Celebration gehört haben – ihre smallgroup überfordern oder gar manipulieren?
Das Risiko, dass so etwas passiert, besteht. So was ist auch schon passiert. Wird vermutlich auch weiter passieren. So wie es keine perfekten Menschen gibt, gibt es auch kein perfektes System. Auch unser G12-Modell möchte selbstverständlich solche Entwicklungen vermeiden, kann es aber nicht in jedem Fall.

Ganz entscheidend ist der Mentor, der seine Leute kennt (hoffentlich), mit ihnen den Weg geht, auch erkennt und spürt, wie sich eine Person entwickelt und ob es sich schon lohnt, mit ihr über eine eigene Gruppe zu sprechen. Das Verhältnis eines Teilnehmers zu seinem Mentor, seinem Coach, ist das Entscheidende.

Wir bieten vielfältige Kurse zu den Schritten an (Festigen, Trainieren, Beauftragen). Da wird über die relevanten Fragen im grösseren Kreis gesprochen und ausgetauscht. Zudem bieten wir spezifische Hilfen durch Seelsorge. Wenn zum Beispiel einer aus meiner Gruppe ein besonderes Problem hat, fühle ich mich als Mentor irgendwann überfordert. Dann gibt es spezielle Supervisionsmöglichkeiten: Ich kann geschulte Fachpersonen in Anspruch nehmen.

Wir möchten Leuten den Raum geben, Dinge, die sie gehört haben und wissen, auch umzusetzen. Das ist heikel, weil es mit Menschen zu tun hat, und kann auch schiefgehen. Insgesamt überwiegen aber unserer Erfahrung nach die positiven Resultate die Risiken ganz eindeutig.

In unserer Gesellschaft, die die Selbstbestimmung des Einzelnen über alles stellt, reagiert man sensibel auf Versuche, Menschen in feste Beziehungen einzubinden. Was wenn sich jemand nicht wohlfühlt mit seinem Mentor? Gibt es eine Hotline, die er anrufen kann?

Wenn ich mit meinem Coach Mühe habe, ist vorgesehen, dass wir zusammen zu seinem Coach gehen, um die konrekte Situation zu besprechen. Wir ermutigen jeden, nicht einfach aufzustehen und davonzulaufen, sondern eine Krise auszuhalten und aktiv anzugehen. Das gehört für uns zur Erfahrung des "Überwindens". Selbstverständlich kann man den Mentor wechseln – und das kommt auch vor. Manche wechseln die Gruppe, wenn sie in der Region zügeln.

Ihr schreibt keine Zeitspanne vor, in der jemand seine eigene Gruppe starten soll?
Nein. Doch gibt es eine Studie, die besagt, dass Kirchenbesucher sich nach durchschnittlich 4-5 Jahren zu langweilen beginnen, wenn sie weder etwas Substantielles zu einer Gruppe beitragen noch einen Bereich haben, wo sie eigenständig wirken können. So wie das Berufsleben auf die Schule folgt, sollten wir nach einer Zeit des Wachsens und Lernens ins ‚geistliche Berufsleben’ eintreten.

Um die Leute in der Kirche zu halten, braucht es natürlich nicht nur den geistlichen Teil, die smallgroups, sondern auch den Ministry-Teil, wo es um meine Gaben und Talente geht, die ich auch einsetzen möchte. Dann bleiben die Leute.

Lesen Sie auch den zweiten Teil des Interviews: Wo ICF seine Ideen abholt

Datum: 26.12.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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