Hiphop plus Jesus

„In dieser Kirche will ich dabei sein!“

Nicola und Ismet rappen – in der Zürcher streetchurch. Direkt von der Konfirmation, zu der sie eingeladen waren, kommen sie ins Gottesdienstlokal. Zum Soundcheck entledigen sie sich ihrer steifen Klamotten und schlüpfen in die Hiphop-Tracht. Im Gottesdienst geben sie alles.
Vladi Junior & Friends im Gottesdienst der streetchurch
Simon Obrist betreut das Team in Zürich, zu dem Rapper und Techniker gehören.
DJ Platinum
streetchurch – multikultureller Treffpunkt
Begeistert und besorgt: Pfr. Markus Giger in der Synode
Guter Start: Pfr. Matthias Girgis und Nik Gugger von der Jugendkirche Winterthur

Wie der Streetchurch-Leiter Markus Giger berichtet, lag in ihren Reimen eine mitreissende Kraft. „Nach dem Anlass sagte Nicola: ‚Ich habe die Kirche eigentlich abgeschrieben. Aber heute Abend habe ich es voll gespürt; der Gottesdienst hat mein Herz getroffen. In dieser Kirche will ich dabei sein – ja, ich möchte gern mehr machen, mehr als nur einmal im Monat rappen!’“

Zwei öffentliche Gottesdienste, etwas Werbung und Medienberichte – und die Leiter der streetchurch in Zürich können sich der Arbeit nicht mehr erwehren. Der Jugendkirche in Winterthur, die schon einige Monate länger läuft, geht es gleich. Beide reformierten Jugendkirchen verzeichnen einen Ansturm von Jugendlichen.

„Ungeheures Bedürfnis nach Betreuung“

Die Leiter der beiden Jugendkirchen, die von den reformierten Kirchgemeinden in Zürich und Winterthur und der Landeskirche getragen werden, informierten am Dienstag in der Kirchensynode über den fulminanten Start. Pfr. Markus Giger, Leiter in Zürich, unterstrich, dass die Jugendlichen den Event lieben. Aber sie wollen mehr als nur hippige Musik: „Diese Jugendlichen suchen Beziehungen.“

Die Winterthurer Leiter, Pfarrer Matthias Girgis und Diakon Nik Gugger, sind auf ein „soziales und religiöses Vakuum bei den jungen Menschen gestossen“. Viele hätten schon lange auf ein Projekt der reformierten Landeskirche gewartet.

Kaputte Familien, Frust und Einsamkeit

In Zürich, der grössten Stadt der Schweiz, wird das in zehn Monaten aufgebaute Kernteam von einem „ungeheuren Bedürfnis nach Betreuung und Seelsorge überrollt. In unzähligen Gesprächen mit Jugendlichen sehen wir uns konfrontiert mit schweren persönlichen, familiären und sozialen Missständen.“

Die Zahl der Jugendlichen, die Betreuung suchen, nimmt ständig zu. „Inzwischen suchen uns fast täglich Jugendliche auf, um mit uns Gespräche über ihre Situation zu führen.“

Multikultureller Mix

Laut Giger spiegelt sich in der streetchurch das multikulturelle Zürich: „Reformierte Jugendliche stehen Seite an Seite mit Jugendlichen aus Afrika, Südamerika und dem Balkan und feiern friedlich und lautstark Gottesdienst! Was sie verbindet, ist der gemeinsame Lifestyle, ist Hiphop – und es sind Fragen, Sorgen, Probleme und Zukunftsängste.“ Giger und sein Team geben den Jugendlichen Gedankenanstösse vom Evangelium her und wollen sie „zu einem mündigen Glauben ermutigen“.

Pfarrer schauen über den Hag

Die zahlreichen Berichte in Print- und Onlinemedien, im Radio und Fernsehen freuen Giger und den Sozialdiakon Simon Obrist, die sich 120 Stellenprozente teilen. Selbstverständlich tauchen auch Pfarrer mit ihren Schul- und Konfirmandenklassen auf. Benachbarte Landeskirchen, Fachstellen und Kirchgemeinden kommen mit Anfragen; Interessenten für Praktika melden sich…

AfterChurch Party

Die Entwicklung überfordert die Verantwortlichen in Zürich und in Winterthur, wo ebenfalls nur 120 Stellenprozente entlöhnt werden. Wie die Leiter vor der Kirchensynode ausführten, engagieren sie sich bereits weit über dieses Pensum hinaus. Die Teamentwicklung (in Zürich über 30 Freiwillige, auch aus Freikirchen, in Winterthur 20) braucht Kraft, ebenso die Konzept- und Vernetzungsarbeit, PR und Administration.

Doch soll Betreuung im Vordergrund stehen – etwa an der SoroaBar (offener Treff an zwei Freitagabenden monatlich) oder den AfterChurch Parties in Winterthur. Giger und Girgis machten klar, dass die Projektleitung mit den aktuellen Anstellungen nicht zu bewältigen sein wird. Sie bitten die Verantwortlichen der Landeskirche, dass mittelfristig weitere Ressourcen bewilligt werden.

Eventkirche – oder Gemeinschaft?

Der Hauptgrund: Die streetchurch und die Jugendkirche Winterthur wollen mehr sein als hippige Event-Kirche. Gewalt in der Familie, Sucht, Einsamkeit und erfolglose Stellensuche drücken viele Junge nieder – und nun kommen sie und wollen darüber reden.

„Wollen wir bei den Jugendlichen glaubwürdig bleiben, müssen wir auf diese drängenden Bedürfnisse eingehen“, sagt Giger. „Wir sind gefordert, ihre Kirche, die Leute der streetchurch, mit denen sie sich identifizieren. Wir können die Verantwortung nicht länger tragen, Jugendliche an Gottesdienste einzuladen, ohne die dadurch aufbrechenden Betreuungsbedürfnisse auch nur ansatzweise abdecken zu können!“

Die Mühlen der Landeskirche

Die Trägerschaft der Jugendkirchen (Stadtverbände Zürich und Winterthur und Landeskirche) sucht nach Möglichkeiten, den Freiwilligen-Teams SeelsorgerInnen und Diakone zur Seite zu stellen.

In den beiden Städten fallen 2006 wegen des Rückgangs der reformierten Bevölkerung etwa zehn ordentliche, vom Kanton zu fast zwei Dritteln bezahlte Pfarrstellen weg. Mit Beauftragungen kann Pfarrern rasch eine neue Tätigkeit zugewiesen werden. Der zuständige Kirchenrat Marcel Riesen signalisierte, dass die Problemlage erkannt sei und in Gesprächen angegangen werde…

Die reformierten Jugendkirchen im Internet:
Zürich: www.streetchurch.ch
Winterthur: www.church.ch

Artikel zum Thema:
Neue Jugendkirche Streetchurch in Zürich: offen, engagiert und versöhnend
Reformierte Jugendkirche Winterthur: Zeitgemässe Gottesdienste für die Jungen
Zürcher Landeskirchen lancieren Jugendkirche

Datum: 24.06.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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