Berlin

Neues Jugendschutzgesetz gegen die Killer aus dem Kinderzimmer

PC Spiel

Berlin. Nach dem neuen deutschen Jugendschutzgesetz vom 1. April dieses Jahres müssen Medien in Form von Computerspielen oder Bildschirmspielgeräten mit einer Altersfreigabe gekennzeichnet sein. Damit werden die interaktiven Videospiele den Kino- und Videofilmen gleichgesetzt, bei denen bereits eine Altersangabe erfolgen muss. Anlass für die Verschärfung der Regelungen war vor allem der Amoklauf von Erfurt im April vergangenen Jahres.

Die Neuregelung soll verhindern, dass Kinder oder Jugendliche Zugang zu jugendgefährdenden Spielen erhalten. Ab sofort kann die Bundesprüfstelle auch ohne Antrag tätig werden. Damit will der Gesetzgeber erreichen, dass alle jugendgefährdenden Medienangebote kontrollierbar werden.

Trägermedien mit besonderer Jugendgefährdung sind in Zukunft sogar ohne Kontrolle der Bundesprüfstelle verboten. Dies gilt vor allem bei Medien, die den Krieg verherrlichen, Menschen in einer verletzenden Würde darstellen oder Jugendliche in geschlechtsbetonter Körperhaltung zeigen. Bücher, Videos, CD-ROMs oder DVDs dieser Art sollen damit erst gar nicht auf den Markt kommen.

Die Wirkung des neuen Gesetzes bleibt umstritten. Auch in den Bereichen, in denen eine Altersbeschränkung bereits vorlag, sind Verstösse an der Tagesordnung. So wurden und werden Filme von Kindern und Jugendlichen gesehen, deren Alter unterhalb der angegebenen Altersgrenze liegt. Eltern oder ältere Geschwister können "helfen", an solche Medien heran zu kommen. Nicht selten erhalten Kinder die Möglichkeit, ausgeliehene Videos oder DVDs mitanzuschauen, die erst ab zwölf oder 16 Jahren freigegeben sind. Aber auch an den Kinokassen werden jüngere Kinder teilweise "durchgelassen".

Daneben ist es in Deutschland erlaubt, dass Sechsjährige in Begleitung eines Erwachsenen einen Film mit Freier Selbstkontrolle (FSK) -Freigabe ab zwölf besuchen dürfen. So wurde der Kinofilm "8 Mile" über Wochen an Grundschulen diskutiert. Der Film zeigt drastische Gewalt- und Sexszenen (FSK-Freigabe ab zwölf). Wie selbstverständlich kennt auch heute ein Zehnjähriger das Filmepos "Der Herr der Ringe" (FSK-Freigabe ab zwölf). Als Vergleich sei erwähnt, dass beispielsweise "8 Mile" in den USA von Jugendlichen unter 17 Jahren nur in Begleitung Erwachsener besucht werden darf.

Somit wird auch bei den neuen Verschärfungen im Bereich der Computerspiele an die Verantwortung der Eltern, der älteren Geschwister oder der Freunde appelliert, auf die Verletzbarkeit und den Schutz von Kindern und Jugendlichen Rücksicht zu nehmen.

Killer aus dem Kinderzimmer

Dave Grossman wollte seinen Schülern beim Kämpfen und Überleben helfen. Der Psychologie-Professor lehrte vor wenigen Jahren noch an der renommierten US-Militärakademie in West Point. Mit Hilfe von Videospielen schulte er die Soldaten wochen- und monatelang nach dem Prinzip der "operanten Konditionierung": An Flugsimulatoren und anderen Videogeräten sollten militärische Reaktionen bei "Feindberührung" oder Unglücksfällen vollkommen automatisiert werden, um Gefühle wie Angst und Mitleid auszuschalten und den Erfolg sicher zu stellen.

Doch dann erlebte Grossman in seinem Heimatort Jonesboro (Arkansas) ein Trauma: Beim Amoklauf eines Schülers, der exzessiv Gewalt verherrlichende Computerspiele wie "Doom" und "Virtual Fighters" konsumiert hatte, starben mehrere Menschen. Der Psychologe erinnerte sich, dass "Doom" auch beim US-Militär gezielt eingesetzt wird, um Soldaten auf den realen Kampf mit der Waffe vorzubereiten. Er quittierte den Dienst in West Point und wurde nach einem Bericht der Heidelberger Fachzeitschrift "Gehirn und Geist" zum erbitterten Kritiker dieser Spiele.

Seine These: Die Neigung zu Aggression ist nicht angeboren, sondern grösstenteils erlernt. In seinem Buch "Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht" schildert Grossman den Amoklauf von Michael Carneal aus Paducah im US-Bundesstaat Kentucky. Der 14-Jährige stahl aus dem Nachbarhaus eine Pistole und schoss in seiner Schule binnen 20 Sekunden acht Mal auf acht verschiedene Kinder. Jeder Schuss traf in Kopf oder Oberkörper.

Carneal hatte noch nie eine Waffe in der Hand gehabt, handelte aber wie ein ausgebuffter Mafia-Profi: Er hielt die Waffe mit beiden Händen, bewegte sich nicht und schoss vollkommen ruhig. Der Schüler hatte lange Zeit mit Videospielen den Schusswaffengebrauch trainiert.

Der Erfurter Attentäter Robert Steinhäuser blieb bei seinem Amoklauf im Gutenberg-Gymnasium ebenfalls gelassen und zielstrebig. Am 26. April 2002 erschoss der 19-Jährigen an seiner ehemaligen Schule kaltblütig 16 Menschen und anschliessend sich selbst. Auch Steinhäuser hatte zuvor oft mit Gewalt-Videos gespielt.

Studien von Psychologen der Iowa-State-University scheinen die These zu bestätigen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum von Gewalt verherrlichenden Videospielen, so genannten "Ego-Shootern", und direkter Gewaltausübung gibt. Die Wissenschaftler hatten 210 Jugendlichen freigestellt, entweder ein harmloses Fantasyspiel oder den Ego-Shooter "Wolfenstein 3D" zu spielen. Danach liessen sie die Jugendlichen ihre Kräfte in einem einfachen Reaktionsspiel messen, bei dem auf ein Signal möglichst schnell eine Drucktaste betätigt werden sollte.

Der Sieger durfte seinen Gegenspieler per Kopfhörer mit einem extrem unangenehmen Geräusch quälen und auch über die Dauer und Intensität des Tons frei bestimmen. Das Ergebnis war eindeutig: Die "Ego-Shooter" quälten voller Hingabe, während bei den Fantasie-Spielern die Einfühlung in das Leid des anderen wesentlich stärker ausgeprägt war.

"Zumindest kurzfristig scheinen gewalthaltige Computerspiele aggressive Gedanken und Handlungen zu fördern", zitiert "Gehirn und Geist" den Studienleiter Craig Anderson. Doch dauerhafte emotionale Prägungen durch Gewalt-Computerspiele im Kinderzimmer konnten von Wissenschaftlern bisher nicht zweifelsfrei belegt werden: Entsprechende Langzeitstudien über die "Killer aus dem Kinderzimmer" gibt es bisher nicht.

Neue Forschungen von Neurologen legen aber den Schluss nahe, dass die Kontrolle der aggressiven Emotionen und Impulse in den so genannten Frontallappen im Vorderhirn geschieht. Der US-amerikanische Hirnforscher Vincent P. Mathews fand bei einer Untersuchung von Jugendlichen heraus, dass die Aktivität in diesen Lappen beim Spielen von Gewalt-Videos erheblich sinkt und damit die Steuerung des aggressiven Potenzials wesentlich geringer wird.

Der Kölner Soziologe Jürgen Fritz glaubt indes nicht, dass in jedem Fan gewaltsamer Videospiele gleich ein Amokläufer steckt. Für Taten wie in Erfurt, Paducah oder Jonesboro müssten besondere Umstände hinzu kommen, meint der Experte für die Wirkung von Computerspielen. Das könne ein Schulverweis wie bei Steinhäuser sein, eine unglückliche erste Liebe oder andere Kränkungen.

Kriegssimulations- und Strategie-Spiele weiterhin beliebt

Zivilisten fliehen vor dem in Panzern vorrückenden Militär, im Hintergrund blinken bedrohlich Atomraketen, giftige Nebel steigen über der Wüste auf. Immer realistischer und detailgetreuer werden moderne Strategie- und Kriegsspiele für PCs oder Konsolen.

Nach Beginn des Krieges im Irak rückten manche Titel, wie zum Beispiel das im Februar auf den Index gesetzte und in einem fiktiven Wüstenland spielende "Command & Conquer Generals", unversehens in eine bedrückende Nähe zur Realität. Auf die Popularität von Kriegssimulations- und Strategie-Spielen für PC und Video hat der Krieg im Irak jedoch - trotz vielfacher Betroffenheit - bislang kaum Einfluss gehabt.

"Begeisterte Spieler trennen viel deutlicher zwischen Realität und Fiktion", meint Florian Stangl, stellvertretender Chefredakteur des Spielemagazins "Gamestar". Ganz anders wird das Verhältnis von Realität und Fiktion allerdings beim amerikanischen Militär gesehen: Dort werden PC-Spiele immer häufiger als Training-Werkzeug für Soldaten eingesetzt.

Einige Führungskräfte seien mittlerweile begeistert über den Vorteil, mit minimalen Kosten ihre Truppen mit Spielen wie "Half-Life" oder das in Deutschland nach dem Schulmassaker von Erfurt heftig umstrittene "Counterstrike" zu trainieren, schreibt die "New York Times". "Es gibt dir einen Sinn für Realität", zitiert die Zeitung einen Korporal. "Du bekommst dieses nervöse Gefühl: Soll ich wirklich um die Ecke gehen? Du willst schliesslich deinen dir aufgetragenen Job zu Ende bringen."

Die nächste Spielgeneration

Der amerikanische Games-Marktführer Electronic Arts (EA) plant, mit "DICE" die nächste Generation zu starten. DICE steht für "Deep Interactive Cinematic Experience". Dahinter steht Eas Strategie, die Psychologie des Spielers gezielt über drei Faktoren anzusprechen: Überraschende Interaktion, realistische Animation und kinoreife Soundeffekte. "Games werden sich in absehbarer Zeit grundlegend ändern", prophezeit John. Er ist als Geschäftsführer des EA-Entwicklungsstudios in Los Angeles für die Entwicklung der kommenden Spielegeneration verantwortlich.

Der Megaseller "Grand Theft Auto " (GTA) sei der Prototyp der neuen Generation: "Eine möglichst realistische, in sich geschlossene Spiele-Umgebung wird künftig die Psychologie des Spielers ansprechen und so direkt die Interaktion und den Handlungsverlauf beeinflussen", erklärt Batter. Dabei werde die Spielumgebung nicht nur auf Handlungen des Spielers reagieren - der Spieler sehe sich zudem mit "unvorsehbaren und lebensnahen" Ereignissen konfrontiert, bis er zum Ziel gelangt.

"Wir testen Musik, Soundeffekte, Animationen und Lichteffekte in unzähligen Kombinationen, um eine bestimmte Stimmung herzustellen und die Gefühlswelt des Spielers zu beeinflussen", erläutert Batter das Vorgehen.

Es ist keine Überraschung, dass EA mit hohem Aufwand die Entwicklung einer neuen Spielegeneration startet. Entgegen der allgemeinen Wirtschaftsflaute meldet der Konzern als einziger grosser Spielehersteller weiter steigende Umsätze und Gewinne. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres verbuchte das Unternehmen einen Gewinn von 250 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 1,23 Milliarden Dollar.

Quellen: ots/epd/Livenet

Datum: 16.04.2003

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