Kommentar

Diakonie und Evangelisation - Ergänzung oder Konkurrenz?

«Die Diakonie muss missionarischer und die Mission diakonischer werden»: Diese Meinung vertrat Landeskirchenrat i.R. Klaus Teschner am 6. April in einem Vortrag in Wuppertal. Er sprach damit eine Spannung an, die Gemeindeleiter derzeit herausfordert.
Klaus Teschner
Redaktor Reinhold Scharnowski

Der 75-Jährige wurde bei einem Festabend der Evangelistenschule Johanneum als ihr ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender verabschiedet. Wie Klaus Teschner sagte, haben Evangelisation und Diakonie nichts mit rechten oder linken Positionen zu tun, sondern sie beschreiben die Mitte des Evangeliums. Jesus sei nicht nur ein Lehrer, sondern auch ein Heiler gewesen: «Er ist der Heiland der Armen und nicht der Super-Psychiater des gehobenen Mittelstands». Ein gutes Beispiel sei die Arbeit der Bahnhofsmission. Die meisten Personen erwarteten dort zuerst diakonische Hilfe. Daraus könne sich dann ein seelsorgerliches Gespräch über den Glauben oder ein gemeinsames Gebet entwickeln. Ferner sagte Teschner, dass in der Mission das «Jesus für Dich» stärker betont werden müsse. Christen sollten einfacher, einfältiger und eindeutiger über ihren Glauben reden.

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Diese idea-Meldung mit der Stellungnahme eines prominenten deutschen Kirchenführers steht stellvertretend für eine Diskussion, die in den letzten Jahren durch die «missionale Theologie» neue Nahrung bekommen hat. Kurz gefasst: Wie verhalten sich die Evangelisation (Ruf zum Glauben) und das diakonische Handeln (Dienst am Menschen als Ausdruck der Liebe Gottes) zu einander? Die missionale Theologie – prominent ausgedrückt z.B. in den Büchern von Dr. Johannes Reimer oder Tobias Faix – ruft zum Hingehen auf, hinaus aus den Kirchenmauern in die Brennpunkte der Gesellschaft. «Gesellschaftsrelevanter Gemeindebau» sei wichtig, der nicht nur Seelen rettet, sondern transformierend am Aufbau der Gesellschaft mitarbeitet.

Tiefe Spannung

Obwohl Mission – vor allem in der Dritten Welt – schon immer auch diakonisches Handeln war, geht es doch bei uns im Westen um einen neuen Akzent. Das Aufblühen von z.T. grossen sozialen Werken (hier sei stellvertretend für viele nur Hans-Peter Lang und die Stiftung Wendepunkt genannt) drückt aus: Christliches Handeln ist nicht nur Rufen zu Gott, sondern auch selbstloser Dienst am Menschen.

Kritiker des missionalen Ansatzes verweisen nicht zuletzt auf das Problem, dass Diakonie zu wenig evangelistisch sein könne; im Extremfall werde sie zu einer Ersatzhandlung, nach dem Motto: «Wenn sich schon kaum noch Menschen bekehren, können wir ihnen wenigstens leiblich Gutes tun.»

Hinter der Spannung steckt nicht zuletzt eine tiefere theologische Frage: Ist nur Evangelisation eine «wirklich wichtige» Handlung, weil sie vom ewigen Tod errettet? Viele traditionelle Evangelikale denken: «Was nützt es, wenn wir Menschen zu essen geben oder sie kleiden, wenn sie trotzdem verloren gehen?» Ist diakonisches Handeln gleichwertig oder ist es der Evangelisation «untergeordnet»?

Was bereits die Lausanner Erklärung von 1974 – nach langem Ringen – ausdrückt, muss in vielen Gemeinden noch ankommen und mit ganzem Herzen umgesetzt werden: «Wir tun Busse (…) dafür, dass wir manchmal Evangelisation und soziale Verantwortung als sich gegenseitig ausschliessend angesehen haben. Versöhnung zwischen Menschen ist nicht gleichzeitig Versöhnung mit Gott, soziale Aktion ist nicht Evangelisation, politische Befreiung ist nicht Heil. Dennoch bekräftigen wir, dass Evangelisation und soziale wie politische Betätigung gleichermassen zu unserer Pflicht als Christen gehören. Denn beide sind notwendige Ausdrucksformen unserer Lehre von Gott und dem Menschen, unserer Liebe zum Nächsten und unserem Gehorsam gegenüber Jesus Christus.»

Für die lokale Gemeinde stellt sich heute die Herausforderung, sich die Hände schmutzig zu machen, bevor der Mund redet. Diakonie bewahrt die Evangelisation vor dem allzu leichten christlichen Sprücheklopfen. Wenn Menschen sehen, dass Christen wirklich an ihnen interessiert sind, ist es gut möglich, dass sie auch nach dem Gott fragen, der zu so etwas motiviert.

Datum: 09.04.2014
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / idea

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