Migrationskirchen

Nester für die buntesten Vögel der Zürcher Kirchenszene

Ihre Gottesdienste sind (viel) lauter und dauern länger: Migrationskirchen von Nicht-Europäern sind anders. Die jungen Gemeinden in Zürich suchen Unterschlupf, brauchen Räume. Die reformierten Kirchgemeinden wollen die Kontakte zu ihnen verbessern und regeln. Sie haben eine Koordinatorin angestellt.
„Ausserordentlich aktives Gemeindeleben“: Annelis Bächtold hilft Verbindungen knüpfen.
Aus verschiedenen Kulturen, verbunden in Christus: Männer der IPC an einer Retraite, 2004.
Türen auftun: Kirchenrat Marcel Riesen (rechts) und Pfr. Peter Dettwiler vor den Medien.
Alte Kirche Fluntern

In der Stadt Zürich treffen sich gegen 40 evangelische Migrationskirchen, unter ihnen mehrere tamilische und koreanische, brasilianische und ein Dutzend afrikanische Gemeinden. Eine Sonderstellung nimmt die International Protestant Church IPC ein, die Mitglieder aus über 50 Nationen zählt. Während die älteren Gemeinden, die teils auf Glaubensflüchtlinge des 16. und 17. Jahrhunderts zurückgehen, ihren Platz gefunden haben, sind die jüngeren oft auf der Suche nach Räumen. Um ihnen – und den angefragten Kirchgemeinden – zu helfen, hat der Verband der Stadtzürcher Kirchgemeinden eine Koordinationsstelle eingerichtet. Am 15. September orientierten Vertreter des Stadtverbands und des Kirchenrats über die laufenden Arbeiten und legten Perspektiven für vertiefte Kontakte dar.

Identität wahren – gemeinsam Kirche sein

Die Migrationskirchen in Zürich haben schätzungsweise 4000 Gottesdienstbesucher, unter ihnen viele Kinder (im Kontrast zu den städtischen Kirchgemeinden). Sie leisten gemäss dem Kirchenrat eine „nicht zu unterschätzende Integrationsarbeit“. Den älteren greift die reformierte Landeskirche, die auch Flüchtlingen hilft und Asylbewerber berät, seit langem unter die Arme. Die jüngeren sind noch kaum mit ihr verbunden, auch wenn sie bereits Räume nutzen. Wie Pfr. Peter Dettwiler, Ökumene-Beauftragter der Landeskirche, vor den Medien ausführte, wollen die Migrationskirchen „ihre Identität, ihre kulturelle Tradition und Sprache pflegen“. Anderseits wollten gerade neue afrikanische Gemeinden „mit uns gemeinsam Kirche sein“.

„Ungestümer Glaubenseifer“ als Herausforderung

Auf Anregung Dettwilers bildete sich 2003 eine Arbeitsgruppe, die sich nicht nur mit Raumfragen, sondern auch grundsätzlichen Aspekten des multikulturellen Kircheseins befasst. (Ähnliches tut unter dem Dach der Schweizerischen Evangelischen Allianz die AGIK, die Arbeitsgruppe für interkulturelle Zusammenarbeit.) Pfr. Theddy Probst vom reformierten Stadtverband sieht die Beteiligten herausgefordert, aktiv aufeinander zuzugehen und in einen ehrlichen partnerschaftlichen Dialog einzutreten. Er zitierte das Wort des Apostels Paulus, der einst Christen aus anderen Völkern als „Hausgenossen Gottes“ ansprach.

Mit ihrem «jugendlich-ungestümen Glaubenseifer» könnten Migranten die Landeskirche bereichern, meinte der Schwamendinger Pfarrer.

Klare Regeln, ständiger Kontakt, Flexibilität

„Machen wir Türen auf!“ sagte Dettwiler an die Adresse der Reformierten. Laut einem Konzept des Kirchenrats ist die Landeskirche herausgefordert, „sich dieser neuen vielsprachigen und multikulturellen Realität zu öffnen und neue Modelle der Integration und der verbindlichen Zusammenarbeit zu schaffen“. Migrationskirchen sollen, wenn sie für Kirchen und Kirchgemeindehäuser anfragen, bevorzugt behandelt werden. Wenn Quartierkirchen frei würden, seien sie prioritär zu berücksichtigen, schreibt der Kirchenrat. Vorstellbar ist die Nutzung einer Kirche oder eines Kirchgemeindehauses durch mehrere Ausländergemeinden. Wenn ein afrikanischer Pastor unter dem Druck steht, für seinen Lebensunterhalt möglichst viele Anhänger zu sammeln, könnte finanzielle Unterstützung ihm helfen, mehr für bedürftige Migranten und Asylbewerber zu tun. Die Arbeitsgruppe hat Empfehlungen an die Kirchgemeinden formuliert, die Frustrationen im Umgang mit den Christen aus anderen Kulturen vorbeugen sollen. Danach sollen alle Beteiligten, auch Sigristen, einbezogen und ständige Kontakte gehalten werden.

Transparenz

Annelis Bächtold, die seit Anfang Juli die 50 %-Koordinationsstelle betreut, gab sich vor den Medien beeindruckt vom „ausserordentlich aktiven Gemeindeleben“ der Migranten aus dem Süden. Manche träfen sich während der Woche mehrmals. Wenn sie Kontakt zur Landeskirche suchen, müssen die Ausländergemeinden Fragen ihre Grundausrichtung und ihr Kirchenverständnis offenlegen. Bächtold will mit der Stelle, die vorerst auf ein Jahr befristet ist, aber voraussichtlich weitergeführt und von der Landeskirche mitgetragen werden wird, „das Gemeinsame sichtbar machen und stärken“.

Datum: 19.09.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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