Fallstricke beim «Zeugnis»

Lebensberichte – zwischen langweilig und lebensverändernd

Was ich mit Gott erlebt habe, prägt nicht nur mich selbst. Es ist auch eine kraftvolle Botschaft für andere. Gerade weil es so persönlich ist und eher Verständnis als Streit erzeugt. Aber warum kommt dieses Erzählen oft so schlecht bei den Empfängern an? Auch wenn immer mehr Christen ihr 3-Minuten-Zeugnis perfekt aufsagen können?
Zwei Männer reden miteinander

Wenn Christen von ihren Erlebnissen mit Gott erzählen, halten sie sich oft an das folgende Schema: 1. Ich dachte ja, dass ich gut bin, aber… 2. Gott tat XYZ in meinem Leben und ich nahm ihn in mein Leben auf. 3. Nun zweifele ich nicht mehr und bin ein völlig neuer Mensch.

Sie folgen damit einer biblisch begründeten Tradition. In der Apostelgeschichte stehen mehrere Verteidigungsreden von Paulus (zum Beispiel Kapitel 22, Vers 1-22), die ähnlich aufgebaut sind und beim Lesen etwa drei Minuten Zeit beanspruchen. Und daraus hat sich im Laufe der Zeit eine Art Zeugniskultur herausgebildet, die irgendwo zwischen hilfreich und hohl rangiert. Denn tatsächlich ist es sehr hilfreich, sich beim Erzählen nicht zu verzetteln, einen roten Faden zu haben. Allerdings sind viele dieser Zeugnisse nicht nur auswendig gelernt, sondern sie klingen auch so. Manche haben nicht viel mit der Lebenswirklichkeit zu tun – weder mit der der Erzählenden noch der der Zuhörenden.

Dramatisch muss es sein…

Unterschwellig hat sich eine Zeugniskultur entwickelt, bei der die Dramatik eine wichtige Rolle spielt. Natürlich ist es wunderbar, wenn Drogenabhängige frei werden und sie sollen auch davon erzählen, doch das ist nicht die Lebenswirklichkeit von 99 Prozent der Menschen. Um zu unterstreichen, dass das eigene Leben nach der Hinwendung zu Jesus viel «heller» geworden ist, neigen viele Christen dazu, ihre Vergangenheit etwas zu «rembrandtisieren» – also sie so dunkel auszumalen, dass das Licht darin besser zur Geltung kommt. Je dramatischer die Umstände, desto besser.

Das Problem dabei ist für viele, dass ihr Weg in den Glauben allmählich vor sich geht. Undramatisch. Und selbst wenn dieser Weg die deutliche Abkehr von einem ganz anderen «Früher» ist, sieht die Realität meist so aus, dass es dabei Kämpfe gab – und bis heute gibt. Wie schlägt sich das in den Lebensberichten nieder?

Dann wurde alles anders…

In einer Folge des Podcasts «Hossa Talk» machen die Moderatoren diese Spannung am unterschiedlichen Verständnis eines typischen Bibelverses fest. Gerade im Zusammenhang mit der eigenen «Erlösung» und dem Reden darüber wird oft 2. Korinther, Kapitel 5, Vers 17 zitiert. Früher hiess es da in der Lutherbibel: «Darum, ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!» Das klingt, als wäre mit einem Schlag wirklich alles im Leben gut und richtig. Heute steht dort in den meisten Übersetzungen (auch bei Luther): «… Neues ist geworden». Das setzt einen anderen Akzent. Natürlich hat sich das Leben substanziell verändert, doch bis jetzt ist erst einiges neu geworden, vieles soll noch folgen.

Beim Erzählen ist es natürlich einfacher und lässt sich plakativer darstellen, dass von einem bestimmten Punkt an (der Bekehrung nämlich) alles anders wurde. Subjektiv ist das für viele auch so. Doch – sorry – es ist eben nicht wahr. Selbst ein Paulus, der diesen Satz geprägt hat, wurde nicht ganz anders: Er war vor seiner Hinwendung zu Christus ein kompromissloser, energischer, polarisierender Mensch. Und nach seiner Bekehrung auch. Nur eben für Jesus.

Die plakative Darstellung, dass «von da an mein Leben völlig anders wurde», enthält also Sprengkraft. Tatsächlich ist es wunderbar, wenn ein Schläger aufhört, seine Frau zu verprügeln, wenn ein Trinker trocken wird oder sonst eine 180-Grad-Wendung im Leben geschieht. Doch jeder Christ kennt auch die andere Seite der Medaille: die Veränderung in kleinen Schritten, den Prozess der Nachfolge. Wenn man Gottes Gnade täglich ins eigene Leben hineinbuchstabiert und trotz Rückfällen erlebt, dass er einem nah bleibt. Genau das ist das Problem bei einem Zeugnis, das in der Vergangenheitsform erzählt wird: Dafür ist kein Raum. Es gibt keinen Platz für echte Schwierigkeiten und Fehler. Es ist bereits schwer, über ehemalige Brüche im Leben zu sprechen. Aber die wenigsten geben in ihrem Zeugnis Raum dafür, dass bei ihnen eben nicht «alles neu» ist.

«Neues ist am Werden»

Wer jetzt Angst hat, dass ein Lebensbericht ohne diese absolute Veränderung kraftlos wäre, sei beruhigt: Das Gegenteil ist der Fall. Viele Christen leiden darunter, dass sie scheinbar die einzigen sind, bei denen mit der Bekehrung nicht auf geheimnisvolle Weise alle Schwierigkeiten verschwunden sind. Eine neue Ehrlichkeit hilft ihnen – und allen, die sich überlegen, Jesus nachzufolgen. Wenn irgendetwas ein Zeugnis attraktiv, gewinnend und tragfähig macht, dann ist es solch eine Ehrlichkeit. Und dann ist es ein Fokus auf der täglichen Nachfolge statt auf einer wie auch immer gearteten Einmal-Entscheidung in der Vergangenheit. Die Realität sieht so aus, dass Kampf im Leben Realität bleibt. Dass Versuchung Realität bleibt und Misserfolge ebenfalls – auch für diejenigen, die mit Jesus leben. Aber die Gegenwart Gottes mitten in diesen Spannungen ist genauso Realität. Und ein Lebensbericht, der das beinhaltet, kann vielen Menschen helfen.

Wer seinen inneren Sensationsreporter besiegen kann und nicht länger dramatische Storys erzählt, wer sein jetziges Leben mit Jesus durch hoch und tief beschreiben kann, ohne Flauten oder Schuld auszulassen, der macht sich verwundbar. Aber er baut anderen die Brücke zu einem echten Leben mit Gott. Und er hilft seinem Gegenüber, Hilfe und Heilung zu erfahren. Wer selbst ehrlich wird, wird interessant und gewinnend. Solch ein Zeugnis hat Kraft.

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Datum: 24.05.2019
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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