Chrischona-Seminar und TDS mit neuen Leitern: «Einen Aufbruch kann man nicht unterrichten»

Ausbildungslandschaft im rasanten Wandel: Horst Schaffenberger (links) und Paul Kleiner.
„Diakonie ist Evangelium in der Tat“: Paul Kleiner.
„Studier- und Lebensgemeinschaft“ auf dem Berg bei Basel: Horst Schaffenberger
Chrischona-Seminar und TDS
TDS in Aarau
Chrischona bei Basel

Was will die neue Generation von theologischen Leitern? In einem Gespräch mit idea Spektrum Schweiz äussern sich Paul Kleiner, neuer Rektor des Theologisch-Diakonischen Seminars Aarau (TDS), und Horst Schaffenberger, neuer Leiter des Theologischen Seminars St. Chrischona (TSC).

idea: Herr Kleiner, Herr Schaffenberger, wann fusionieren das TDS und das TSC?
Paul Kleiner: Erst ein paar Tage im Amt und schon eine so schwierige Frage …

Horst Schaffenberger: Mit der Zusammenarbeit sind wir auf gutem Wege, auch mit dem Seminar Bienenberg und dem IGW – aber eine Fusion …

Was treibt Sie dazu, Seminarleiter zu werden?
Schaffenberger: Wir haben in den letzten Jahren am TSC eine rasante Entwicklung erlebt. Dies alles mit einem Seminarleiter, der auch Direktor war. Endlich kamen wir zum Schluss, dass es jemanden braucht, der sich voll der Schule widmen kann. Ich gehöre seit Jahren zum Seminarleitungsteam. Darum war meine Berufung eine Frage der konsequenten Weiterführung unserer Entwicklung. Und mich reizt die innovative Aufgabe auch.

Kleiner: Ich wurde vom Vorstand des TDS angefragt. Ich wirkte in Angola zehn Jahre mit in der Leitung eines Theologischen Seminars. Eine schöne Aufgabe, die Ausbildung und ihre Entwicklung mitzuverantworten und auch zu helfen, die Kirche weiterzuentwickeln. Ich war jetzt mit vier andern zusammen schon im Leitungsteam des TDS. Der bisherige Rektor Peter Henning wird weiter in diesem Team mitwirken, sich in den letzten Jahren vor der Pensionierung aber mehr auf Organisatorisches und Lehraufgaben konzentrieren.

Was ist das Unverwechselbare an Ihrem Seminar?
Schaffenberger: Die gründliche, solide theologische Ausbildung als Fundament des Dienstes.

Kleiner: Unser Name sagt es: Die Ausrichtung auf Theologie und Diakonie.

Wie haben sich Ihre Anmeldezahlen in den letzten drei Jahren entwickelt?
Kleiner: Wir haben im Grundstudium jedes Jahr 28 Studierende aufgenommen, obwohl wir eigentlich nur Platz für 24 hätten.

Schaffenberger: Jetzt sind es 28 plus vier Teilzeitstudenten. Letztes Jahr waren es 27 plus drei Teilzeiter, davor 26 plus 2. Dazu kommen jeweils 12 bis 15 Leute im Jahreskurs.

Wer ist an Ihrem Seminar am falschen Platz?
Schaffenberger: Enge, gesetzliche Leute. Unsere Studierenden kommen jetzt aus zehn verschiedenen Nationen und aus diversen Denominationen – das gefällt mir!

Kleiner: Wer nur an die Theologie denkt und nicht bereit ist, sich auch geistlich und diakonisch einzubringen. Aber auch, wer nur die Sozialdiakonie im Blick hat. Und drittens, wer charakterlich nicht geeignet ist für die Arbeit mit Menschen.

Diakonie als Kernkompetenz des TDS. Was heisst Diakonie?
Kleiner: Diakonie ist Evangelium in der Tat. Wir verstehen das sehr breit, von der Arbeit mit Randständigen oder mit Alten und Kranken bis zur politischen Diakonie.

Theologie als Kernkompetenz des TSC. Was hilft Theologie?
Schaffenberger: Theologie heisst für mich, von der Bibel und vom Glauben her die Lebenspraxis des Menschen zu verstehen und Antworten zu finden für die verschiedensten Lebenslagen. Dazu gehört aber auch, den Glauben verstehbar zu machen.

Wie schaffen Sie es, dass Ihre Ausbildung wirklich die Bedürfnisse der Gemeinden und der diakonischen Werke trifft?
Kleiner: In erster Linie durch ein breites Netzwerk mit unseren Absolventen in den verschiedensten Institutionen und Kirchen.
Schaffenberger: Da hatten wir in den 90er-Jahren Defizite. Die Bedürfnisse der Gemeindebasis kamen zu kurz. Wir haben vor drei Jahren einen Prozess gestartet, in den unsere ganze Basis einbezogen war. Er ist nun in groben Zügen abgeschlossen. Eine Folge davon ist unser neues Teilzeit-Unterrichtskonzept.

Welche Kompetenzen braucht der Pastor der Zukunft?
Schaffenberger: Theologische, kommunikative und soziale Kompetenz, inklusive eigene Wahrnehmungskompetenz.
Kleiner: Er muss die Bibel kennen, teilen und leben.

Wie fördern Sie eine lebendige Spiritualität der Studierenden?
Kleiner: Das ist uns ein grosses Anliegen! Wir haben Gottesdienste für alle und Klassengebete, neu ein Fach «Spiritualität» und seit Jahren eine Ausbildungssupervision für alle. Zu diesem Thema gehört aber auch die Art und Weise, wie die Dozenten unterrichten.

Schaffenberger: Wir verstehen uns noch mehr als Studien- und Lebensgemeinschaft. Fest installiert haben wir einen Mentor für jeden Studenten, Kleingruppen, Gebetsstunden und eine gemeinsame Zeit der Anbetung jeden Mittwoch um halb zwölf.

Immer mehr Pastoren landen im Burnout. Kommt da in der Ausbildung etwas zu kurz?
Schaffenberger: Ich denke ja. Die Situation ist alarmierend. Wir tun schon einiges, müssen aber in Zukunft die Eigenwahrnehmung der Studenten noch mehr stärken.

Kleiner: Nein, es ist zu einfach, das auf die Ausbildung abzuwälzen. Entscheidender sind andere Faktoren. Jüngere Menschen kommen vermehrt mit einem schweren familiären oder sozialen Rucksack zu uns. Zudem sind die Gemeinden heute gegenüber ihrem angestellten Personal viel anspruchsvoller. Wir sehen es auch sonst in der Gesellschaft, dass immer mehr Menschen den hohen Anforderungen nicht mehr genügen können.

Schaffenberger: Es gibt eine Untersuchung darüber, welche Missionare nicht aufgeben (Remap II). Es sind in der Regel gut ausgebildete und von ihren Werken gut gecoachte Leute, die bei der Stange bleiben.

Welchen Beitrag leistet Ihr Seminar zu einem Aufbruch in der Schweiz?
Schaffenberger: Einen geistlichen Aufbruch kann man nicht unterrichten – zum Glück. Wenn wir unseren Studenten Grundsätze geistlicher Wachheit und Entschlossenheit beibringen können und vor allem vorleben, wird schon etwas gehen. Die Herausforderung, vor der wir stehen!
Kleiner: Wir bilden Menschen aus, die das Evangelium von Jesus Christus in die Gesellschaft hinein mit ihrem Leben bezeugen. Menschen, die diesen Jesus lieben. Er lässt Gerechtigkeit, Hoffnung, Versöhnung und Liebe aufbrechen und aufblühen.

Wie gut können Ihre Abgänger in einer Landeskirche Fuss fassen?
Kleiner: Mehr als die Hälfte unserer Studierenden kommen aus der Landeskirche, und mehr als die Hälfte geht später in die sozial-diakonische Arbeit der Landeskirche. Unsere Studierenden sind dazu berechtigt.
Schaffenberger: Bei uns ist das in der Schweiz die Ausnahme. In Deutschland, wo wir zum Gnadauer Gemeinschaftsverband gehören, haben wir in diversen Landeskirchen die Anerkennung für die Gemeindediakonie. Eine gewisse Anzahl geht dahin, doch sie ist wegen der kirchlichen Sparbemühungen rückläufig.

Wie emanzipiert ist die Frau an Ihrem Seminar?
Schaffenberger: Da müssen Sie die Frauen fragen, wie sie sich fühlen! Wir haben zwar seit 1994 den vollen koedukativen Unterricht, merken aber schon, dass wir manchmal noch zu männlich ticken. In der Ausbildung gibt es aber keine Unterschiede.

Und bei der Anstellung?
Schaffenberger: Das steht auf einem andern Blatt, und wir können da vom Seminar auch nur wenig Einfluss nehmen. Es ist nach wie vor schwierig, Stellen zu finden für gut ausgebildete Frauen. Frauen müssen sich bewerben wie Männer, wir können sie heute nicht einfach senden.

Kleiner: Bei uns ist das bei der Ausbildung und der Anstellung gar kein Thema.

Welches wird Ihre nächste Reform sein?
Schaffenberger: Alle fünf Jahre werden die BA-Studiengänge von Seiten unserer akkreditierenden Universität einem intensiven Review unterzogen. Das wird für den BA in Theology 2009 sein, für unseren Masterkurs 2010, für unseren dreijährigen BA in Religions/Gemeindepädagogik 2011. Das sind erst einmal Reformvorhaben genug. Vor allem das Masterprogramm wird sich weiterentwickeln.

Kleiner: Wir haben 2004/05 eine Reform der Ausbildungsprogramme vorbereitet, die wir jetzt umsetzen. Dabei wird es noch kleinere Anpassungen in der Durchführung brauchen.

Was fragen Sie einen jungen Menschen, der bei Ihnen studieren will, zuerst?
Kleiner: Warum möchtest du das? Und wozu?

Schaffenberger: Welches ist deine Motivation, welches sind deine Ziele?

Welcher Wunsch hat Sie im Blick auf Ihre neue Aufgabe stark angesprochen?
Schaffenberger: Jemand hat mir ans Herz gelegt, zwischen Arbeit, geistlichem Leben und Familie die richtige Balance zu finden.

Kleiner: Jemand hat im Gebet die Bitte ausgesprochen, dass meine Beziehung zu Gott lebendig bleiben möge.

Warum würden Sie heute ganz gerne an Ihrem Seminar studieren?
Kleiner: Weil das TDS Theologie und Diakonie überzeugend verbindet und eine ganzheitliche Ausbildung für Kopf, Herz und Hand anbietet.
Schaffenberger: Weil das TSC eine supergründliche, theologisch fundierte Ausbildung anbietet. Und weil das TSC eine sehr starke theologische Breite vertritt, die von landeskirchlich orientierten Leuten über Täufer bis zu den Charismatikern reicht.

Paul Kleiner
45-jährig, verheiratet, wohnhaft in Winterthur.
Nach Theologiestudium (FETA, Uni Zürich) und Dissertation (Uni Zürich, «Bestechung: Eine theologisch-ethische Untersuchung») Lehrer und Mitleiter am Theologischen Seminar der Evangelischen Allianz in Angola, seit 2004 Hauptlehrer TDS, seit Anfang August Rektor TDS.

Horst Schaffenberger
48-jährig, verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft auf St. Chrischona/Bettingen BS.
Nach höherer Handelsschule und Krankenpflegeschule Ausbildung zum Prediger am Theologischen Seminar St. Chrischona, Jugendreferent in Oberhessen, seit 1992 Dozent auf St. Chrischona, seit 2004 Mitglied Seminarleitung TSC, seit Juni Leiter TSC.

Datum: 06.09.2006
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

Werbung
Livenet Service
Werbung