Bekenntnis

Impuls für eine «Zeit zum Aufstehen»?

Anfang April präsentierten symbolträchtige zwölf Initiatoren ein neues Positionspapier zur Zukunft der evangelischen Kirche: «Zeit zum Aufstehen». Getragen von «einer breiten evangelischen Basis» sollte es sein, auch wenn eher die Evangelikal-Konservativen innerhalb der EKD dafür verantwortlich zeichneten. Was enthält das Papier? Was fehlt? Was soll und kann es leisten? Ein Kommentar von Hauke Burgarth.
Webseite «Zeit zum Aufstehen»

«Das Anliegen unserer Initiative ist es, dass wir als Christen aufstehen und neu in der Mitte sammeln, die uns als Christen verbindet», betont Pfarrer Steffen Kern, Vorsitzender der württembergischen Altpietisten «Apis». Dies soll der Kirche während der Lutherdekade einen Impuls für ihre Zukunft geben. Auf der modern und freundlich gestalteten Webseite der Initiative werden zunächst ihre sieben Thesen dargestellt und jeweils durch Erklärungen im Stil von «Wir stehen ein für …» ergänzt. Dann folgen drei (!) Namenslisten: Zwölf Initiatoren, 374 Erstunterzeichner und diejenigen, die zuletzt über Facebook unterzeichnet haben. Vorab: Ich stehe nicht dabei. Ich habe den Eindruck, hier gehöre ich nicht hin.

Ein interessantes Lob vorweg

Markus Reder, Chefredakteur der katholischen Zeitung «Die Tagespost», begrüsste die Initiative «Zeit zum Aufstehen» darin ausdrücklich. Er freute sich daran, dass sie «die Kernaussagen des christlichen Glaubens in den Mittelpunkt» stelle und klare Positionen beziehe zur Gottessohnschaft Jesu, zur Bedeutung der Bibel als Gottes Wort, zur unantastbaren Menschenwürde als Gottes Geschöpfe und gerade auch zur christlichen Familie. Damit schaffe sie wieder einen christlichen Konsens, der die Ökumene mit der EKD wieder neu möglich mache. Ein interessanter Aspekt.

Macht's die Masse?

Ich muss zugeben, dass mir nach dem ersten Durchlesen der Webseite ganz andere Gedanken kamen. Spontan dachte ich an den «Herrn der Ringe» und an «Bots» – aber das muss ich erklären.

Wer auf seiner Webseite eine erschlagende Menge an Namen auflistet, der will entweder umfassend über alle Akteure informieren (wie im bald 10-minütigen Abspann der Tolkien-Verfilmung, die mir in den Sinn kam), oder er will psychologisch wirksam unterstreichen: «Schau mal, wir sind ganz schön viele». Und will damit – mein persönlicher Eindruck – durchaus auch Macht demonstrieren. Aber ist das dem Thema angemessen?

Dazu kommt, dass ich mich frage, was an den beschriebenen Positionen und der Art ihrer Darstellung ihre Veröffentlichung jetzt und hier rechtfertigt. Mir ging beim Lesen der alte Hit von «Bots» durch den Kopf: «Aufsteh'n». Darin fordert die friedensbewegte Band der 80er Jahre ihre Zuhörer mit holländischem Akzent auf, sich gegen Instant-Brühe, Atomraketen und den Hass in der Welt zu erheben. Natürlich stand damals jeder auf! Aber – und das unterstreicht unter anderem der Theologe Peter Aschoff in seinem lesenswerten Blog: «Das Papier hätte vor 25 Jahren genau so erscheinen können. Ich habe mich gefragt, was sich denn eigentlich bewegt hat in letzter Zeit.»

Zentrale Positionen?

Jedes Glaubensbekenntnis ist ein Spiegel seiner Zeit und seiner Verfasser. Darin unterscheidet sich der neue Versuch nicht von seinen Vorgängern, auch wenn sich dieses Credo als «Impuls» bezeichnet. Immer gingen Kontroversen voraus, die durch neue Thesen geklärt werden sollten. Hier werden jetzt in drei von sieben Punkten die Lebensrechts- und die Genderfrage und der Umgang mit dem Islam thematisiert. Dafür ist zum Beispiel keine Rede von Diakonie. Auch der Heilige Geist wird mit keinem Wort erwähnt. Ich weiss, kein Thesenpapier wird vollständig sein, doch dieses hier tritt immerhin mit dem Anspruch an, «Christen … neu in der Mitte [zu] sammeln, die uns … verbindet». Sind diese ethischen Fragen, die auch innerhalb von Kirche und Gemeinde kontrovers diskutiert werden – und diskutiert werden sollen! – wirklich Mittelpunkt unseres Glaubensverständnisses? Da habe ich meine Fragezeichen.

Schade …

Trotz bisher über 4'000 Unterzeichnern bei Facebook und einer breiten, positiven Öffentlichkeit für «Zeit zum Aufstehen» habe ich meine Zweifel, ob die Initiative das leisten kann (ehrlich gesagt: ob sie es leisten will), was sie sich selbst als Präambel voranstellt, einen «Impuls zur Erneuerung der Kirche» zu geben. Denn dazu ist bei allen nötigen Standpunkten auch eine gewisse Dialogbereitschaft nötig. Ein «Impuls» im physikalischen Sinne bezeichnet eine Bewegung. Schade, dass «Zeit zum Aufstehen» diesen Impuls nur als Absicht hat, aber ansonsten Positionen zementiert, ohne das Gespräch zu suchen.

Datum: 28.04.2014
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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