Mehr als nur Wunschdenken?

Kommen alle Menschen in den Himmel?

Das gab es noch nie: In den USA hat es ein Buch über die Hölle auf Platz 2 der Bestsellerliste der «New York Times» geschafft. Geschrieben hat es Rob Bell, Gründer der unabhängigen evangelischen Mars Hill Bibel-Kirche. Seine gewagte These: Die Hölle ist nicht für ewig, früher oder später wird Gott alle Menschen für sich gewinnen.
Kommen alle Menschen in den Himmel?

Mit dieser Ansicht hat Rob Bell eine heisse Diskussion in den USA lanciert: Kritiker werfen ihm vor, damit die Botschaft vom Kreuz überflüssig zu machen. Die Debatte wird sich nächstens auch in Europa entfachen, denn Bells Buch liegt jetzt neu auf Deutsch vor.

Geschichtenerzähler

Rob Bells Gemeinde zählt jeden Sonntag mehr als 8000 Besucher. Bekanntgeworden ist Bell auch durch Tourneen, Bücher und Kurzfilme, in denen er die biblische Botschaft erklärt. Bell ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, ein fantasiereicher Prediger und ein hartnäckiger Fragensteller – mehr als 350 Fragen sind es allein in seinem neuen Buch «Das letzte Wort hat die Liebe».

Kirche und Jesus überflüssig

Vielen seiner – oft poetisch formulierten – Gedanken kann man zustimmen. Sein neues Buch wird von theologisch konservativer Seite jedoch scharf kritisiert. Der Präsident des Theologischen Seminars der grössten evangelischen Kirche in den USA, der Südlichen Baptisten, R. Albert Mohler, warf Bell vor, die Lehre der Allversöhnung zu vertreten, also die Vorstellung, dass am Ende alle Menschen von Gott gerettet werden. Seine Lehre entspreche einem «theologischen Striptease». Mohler: «Wenn man diese Lehre annimmt, braucht man weder die Kirche noch Jesus Christus noch das Kreuz.» Sind die Vorwürfe berechtigt?

Zweite Chance?

Tatsächlich argumentiert Bell in seinem Buch dafür, dass es nach dem Tod eine «zweite Chance» gibt «in einem endlosen Zeitraum endlose Gelegenheiten für die Menschen, zu Gott Ja zu sagen». Bell schreibt:

  • «Der Rückblick auf die christliche Tradition seit der Zeit der ersten Kirche zeigt: Es findet sich darin auch ein Strom von Menschen, die darauf beharren, dass die Geschichte nicht tragisch endet, die Hölle nicht für immer währt und die Liebe schlussendlich gewinnt.»
  • «Hinter dieser Sicht steht der Glaube, dass sich – ausreichend Zeit vorausgesetzt − jeder Gott zuwenden und sich im Frieden Gottes wiederfinden kann. Die Liebe Gottes bringt jedes noch so harte Herz zum Schmelzen und selbst die ‚verdorbensten Sünder’ werden letztlich ihren Widerstand aufgeben und zu Gott umkehren.»
  • «Eine Geschichte zu erzählen, in der Milliarden Menschen für immer irgendwo im Universum in einem schwarzen Loch endloser Qual und Pein ausweglos gefangen sind, ist keine besonders gute Geschichte. Eine Geschichte zu erzählen über einen Gott, der mitleidlos und unnachgiebig Strafen über Menschen verhängt, weil sie in dem kurzen Zeitfenster, das Leben genannt wird, nicht die richtigen Dinge getan oder gesagt oder geglaubt haben, ist keine besonders gute Geschichte. Umgekehrt: Dass alle Gottes gute Welt gemeinsam geniessen, ohne Erniedrigung, ohne Scham, dass Gerechtigkeit siegt und alles Unrecht richtiggestellt wird, ist andererseits eine bessere Geschichte. Sie ist grösser, liebevoller, umfassender als jede andere Geschichte über den letztgültigen Verlauf, den die Welt nehmen wird. Man kann sicher Einwände gegen diese Geschichte haben. Aber man muss zugeben, dass sie passend und angemessen ist und dass es christlich ist, sich zu wünschen, dass sie wahr ist, und zu erwägen, ob sie möglich sein könnte.«

Ansicht nicht neu

Bell spricht mit diesen Aussagen sicher vielen aus dem Herzen. Und tatsächlich gab es in der Kirchengeschichte immer wieder Theologen, welche die Meinung vertraten, dass mit der Wiederherstellung von Himmel und Erde schlussendlich alle Menschen gerettet werden. Bell beruft sich also zu Recht darauf, dass es in der Kirchengeschichte immer Christen gegeben hat, welche die Allversöhnung vertraten. Fair wäre es allerdings gewesen, nicht zu verschweigen, dass diese Sicht in der Christenheit zu keiner Zeit eine Mehrheit fand.

Das ist das Grundproblem von Bells Buch: Es hat oft einen hohen Unterhaltungs-, aber nur einen geringen Erkenntniswert. Bell wirft eine Vielzahl von (guten!) Fragen auf, die dann aber unbeantwortet in der Luft hängen. Auf Argumente, die gegen seine Sicht sprechen, geht er kaum ein – und wenn er doch welche nennt, dann nur, um sie zu karikieren. Bell stellt dem Gott der Liebe einen «Sklaventreiber»-Gott gegenüber, dies sei ein «billiges Gottesbild» und zeuge von «verkrüppelter Vorstellungskraft». Nur: Welcher Christ glaubt so?

Kommt Jesus als Retter oder Richter?

Ärgerlich ist, wenn Bell die Bibel unvollständig zitiert, zum Beispiel Jesu Ausspruch, er sei «nicht als Richter der Welt gekommen, sondern als ihr Retter». Da möchte man erleichtert aufatmen und Entwarnung geben: Hey Leute, entspannt euch, das Endgericht fällt aus! Doch Bell unterschlägt den direkt nachfolgenden Satz von Jesus: «Wer mich verachtet und nicht annimmt, was ich sage, hat seinen Richter schon gefunden: Das Wort, das ich gesprochen habe, wird ihn an jenem letzten Tag verurteilen.»

Giftig und unerträglich?

Folgt man den Evangelien, kommt man am doppelten Ausgang des Gerichtes – Verurteilung oder Freispruch – nicht vorbei. In seinem Buch schreibt Bell: «Es ist unsere Verantwortung, ausgesprochen vorsichtig zu sein im Blick darauf, negative, entscheidende, endgültige Urteile über das ewige Schicksal anderer zu fällen.» Dem ist zuzustimmen – aber gilt das dann nicht auch für einen generellen Freispruch aller Menschen? Bell ärgert sich über die Spekulationen anderer – und spekuliert seinerseits.

Zu Recht fordert er von seinen Kritikern mehr Grosszügigkeit in der Debatte ein. Aber wie grosszügig ist er selbst? In seinem Buch bezeichnet Bell andere theologische Sichtweisen als schädlich, giftig und unerträglich. Dazu kommen eigenwillige Definitionen wie diese: «Hölle ist unsere Weigerung, Gottes Neuerzählung unserer Geschichte zu vertrauen.» Das muss man dreimal lesen und versteht es dennoch kaum.

Eine unbeliebte Lehre

Konsequenzen für die Verkündigung in der Predigt:

  • Der englische Literaturwissenschaftler C.S. Lewis schreibt zur Lehre von der Hölle: «Es gibt keine Lehre, die ich lieber aus dem Christentum tilgen möchte als diese – wenn es nur in meiner Macht läge. Aber sie wird sehr eindeutig durch die Bibel gestützt und vor allem durch die Worte von Jesus selbst.»
  • Nicht die Hölle steht im Zentrum der Verkündigung, sondern das Evangelium, die frohe Botschaft. Die Predigt kommt jedoch in Schieflage, wenn man die Versprechen die Jesus abgegeben hat verkündet, seine Warnungen jedoch verschweigt.
  • Attraktiv war die Lehre von der Hölle nie – und das soll sie ja auch gar nicht sein. Sie ist keine Werbung, sondern eine Warnung. Sich über die biblischen Hölleworte aufzuregen, ist ebenso sinnlos, wie über einen Bauzaun zu motzen, der einen vor dem Fall in eine Grube schützen soll.
  • Kein Christ wird sich beschweren, wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass Gott doch alle Menschen rettet. Man kann vielleicht leise darauf hoffen. Aber verkündigen sollte man es nicht.

Zum Thema:
Den Gott der Liebe kennenlernen

Datum: 06.05.2011
Quelle: idea

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