Kruzifixstreit in Italien eskaliert

kruzifix

Die Weisung eines Richters, die Kruzifixe aus den Schulzimmern eines kleinen Abruzzendorfes zu entfernen, hat in Italien grosse Aufregung ausgelöst.

Der 33-jährige Jungrichter Mario Montanaro hatte im Bezirkshauptort Aquila verfügt, dass die Kruzifixe aus den Schulzimmern Ofenas verschwinden müssen: In einem laizistischen Staat, in dessen Verfassung die Religions- und Gewissensfreiheit verankert sei, habe das Kreuz in den Schulen nichts verloren, so befand der Richter in seinem dringlichen, aber noch nicht definitiven Urteil. Das Kruzifix in den Schulzimmern stelle den katholischen Glauben ins „Zentrum des Universums“ und erhebe ihn zur absoluten Wahrheit „ohne den geringsten Respekt für andere religiöse und soziale Erfahrungen“.

Das Aufhängen des Kruzifix in den Schulen ist in Italien nach einem Gesetz von 1924 vorgesehen. Dieses Gesetz ist, woran am Sonntag der Sekretär der Bischofskonferenz, Bischof Giuseppe Betori, erinnerte „von keinem Parlament und noch weniger durch das Verfassungsgericht verändert worden“.

Der Richter, der das Urteil zur Abnahme des Kruzifixes gefällt hat, könnte nun Gegenstand einer administrativen Untersuchung werden, wie der italienische Justizminister angekündigt hat. Nachdem er mit den Verantwortlichen der zuständigen Justizverwaltung in L’Aquila östlich von Rom gesprochen hatte, in deren Zuständigkeitsbereich sich die Schule befindet, kündigte Minister Roberto Castelli an, dass er selber die Untersuchung eröffnen werde.

Auch der Vatikan hat scharf reagiert. Als „absurd und beleidigend“ hat die Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ am 28. Oktober die gerichtlich angeordnete Entfernung der Kruzifixe bezeichnet. „Man kann uns Christen vieles nehmen. Aber das Kreuz als Zeichen des Heils lassen wir uns nicht nehmen“, schreibt die Zeitung. „Lassen wir nicht zu, dass man es aus der Öffentlichkeit entfernt!“, zitiert das Blatt auf seiner Titelseite aus einer Papstrede von dessen Österreichbesuch 1998. Der Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz, Giuseppe Betori, betonte, das Urteil öffne eine Strasse zu „religiösem Fundamentalismus“ und verstosse gegen geltende Gesetze. Auch Innenminister Giuseppe Pisanu, der sich immer für den Dialog der Religionen eingesetzt hatte, erklärte sich „sowohl als Christ wie auch als Bürger verletzt“.

Das Urteil gegen die Kruzifixe in der Vor- und Grundschule „Antonio Silveri“ in dem kleinen Ort Ofena wurde pikanterweise von Adel Smith, Vorsitzender der islamisch-fundamentalistischen Union der Muslime Italiens, angestrengt. Smith, Sohn eines schottischen Vaters und einer ägyptischen Mutter, gibt an, dass diese Union über 5000 Anhänger verfügt. Er selbst ist jedoch innerhalb der muslimischen Gemeinschaften Italiens umstritten. Der Generalsekretär des Verbandes, Hamza Roberto Piccardo sagte, dass „Smith jede Gelegenheit ausnutzt, die christliche Religion und ihre Symbole zu beschimpfen und zu bekämpfen“.

Nach dem Gerichtsurteil hat der Leiter der betroffenen Grundschule von Ofena in den Abruzzen nun zehn Tage Zeit, den Auflagen nachzukommen oder Widerspruch einzulegen. Richter Montanaro wurde nach italienischen Presseberichten unterdessen unter Polizeischutz gestellt, nachdem er mehrere anonyme Drohanrufe erhalten habe.

Kommentar


Der Kruzifix-Streit aus evangelischer Sicht
Der in Italien durch das Urteil eines erstinstanzlichen Richters ausgelöste Streit fördert Bedenkliches zutage. Zum einen selektive Wahrnehmung und mangelnde Rücksicht. Dass ein führender Muslim gegen religiöse Symbole in einer öffentlichen Institution eines Landes mit christlicher Tradition ankämpft, ist nicht nur unsensibel, sondern weckt den Verdacht auf eine totalitäre Gesinnung. Welchem Christen würde es einfallen, in einem muslimischen Land gegen islamische Symbole zu kämpfen. Man würde ihn für verrückt erklären. Aber auch der Richter, der das Urteil gefällt hat, muss sich zumindest eine einseitige Sichtweise vorwerfen lassen. Gerichte sind nicht dazu da, um Symbole der kulturellen Identität eines Landes entfernen zu lassen. Auch wer dem Säkularismus und dem Laizismus huldigt, sollte Symbole der Identität eines Landes nicht vorschnell antasten.

Verständlich also, dass nicht nur muslimische Führer über ihren klagenden Glaubensbruder irritiert sind, sondern auch die Richterkollegen des Landes. Überraschender mag sein, dass auch Regierungsmitglieder so scharf auf den Richter schiessen. Sind ihnen katholische Symbole vielleicht wichtiger als das, was die Kirche inhaltlich sagt? Sind sie sich bewusst, wie wenig ihre Entscheidungen zurzeit oft mit christlicher Ethik zu tun haben? Benutzen sie einfach die Gelegenheit, um auf den unpopulären Richterstand zu schiessen, der ihnen immer wieder auf die Finger klopft?

Auch die scharfen Töne aus dem Vatikan geben zu denken. In fundamentalistischer Manier poltert die Vatikanzeitung, man lasse sich das Kreuz nicht nehmen. Als ob es darum ginge, der Kirche das Kreuz zu rauben. Zur Debatte steht ja lediglich, ob dieses katholische Symbol nicht nur die Kirchen, sondern auch die Schulen zieren soll.

Damit sind wir bei einem weitern Aspekt angelangt. Das Kruzifix ist in dieser Form in erster Linie ein katholisches Symbol. Es grenzt eigentlich auch andere christliche Bekenntnisse aus. Als allgemeines Symbol christlichen Glaubens und christlicher Kultur kann nur das schlichte Kreuz ohne aufgenagelten Jesus gelten. Ob es die evangelischen Christen in Italien wagen können, einmal darauf hinzuweisen? Oder lassen sie es vielleicht besser bleiben, um nicht den Zorn der Bischofskonferenz oder gar des Vatikans auf sich zu ziehen? Die Römisch-katholische Kirche wäre eigentlich herausgefordert, darüber nachzudenken.

Quelle: Livenet/ZENIT/KIPA

Datum: 30.10.2003
Autor: Fritz Imhof

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