Wie das Christkind Buddha besiegte

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Franz Walter

Fernöstlich inspirierte Fastenseminare und schamanische Heilserfahrungen sind out – das Christentum steht vor seinem Comeback: Das behauptet der Politologe Franz Walter in einem Artikel im deutschen Magazin „Spiegel“. Er beschreibt darin, wie sich die westlichen Menschen zurzeit immer mehr von der Religion Marke „Eigenbau“ abwenden und zurück in die christlichen Kirchen kommen.

Dass die Kirchen und der christliche Glaube nur noch während den Weihnachtstagen Hochkonjunktur erleben, sei sich heute langsam am ändern. Hinweise dafür sieht Franz Walter unter anderem auch in den zahlreichen christlichen Grossevents des letzten Jahres: die Papst-Renaissance, das Kölner Jugendevent oder der Evangelische Kirchentag.

Esoterik und New-Age

Für den Politologen sei dies besonders überraschend, wenn er sich die Entwicklung seit den 70er-Jahren anschaue. Eine Mehrheit habe sich immer mehr von der institutionellen Religion und dem kirchlichen Christentum abgewendet und auf New-Age-Angebote und Esoterik zurückgegriffen. „Heraus kam so etwas wie eine individualisierte Religion, kamen privat zusammengestellte und eigenhändig zubereitete Sinnmenüs aus verschiedenen religiösen und heilsversprechenden Zutaten.“ Jeder habe jeweils das experimentell mitgenommen, was gerade einleuchtend klang, und es dann kurzerhand ausgewechselt, wenn es doch nicht das hielt, was es ursprünglich versprochen hatte. Gleichzeitig hätten die etablierten Kirchen jedes Jahr mehr als 100'000 Mitglieder verloren.

Der Zwang der Freiheit

Diese Entwicklung sei vor allem auf den menschlichen Wunsch nach Individualisierung und Freiheit von Zwängen und Konventionen zurückzuführen. Dadurch ist das Leben laut Franz Walter in einer gewissen Weise abwechslungsreicher und aufregender geworden.

„Doch Abwechslung und Aufregung als Dauerzustand ist nicht jedermanns Sache“, schreibt er weiter. Deshalb spreche einiges dafür, dass die Lobgesänge auf die individualisierte Gesellschaft schon bald verstummen werden und stattdessen das Bedürfnis nach Loyalitäten und nach der Sicherheit einer stabilen Deutungs- und Sinnperspektive zunehmen wird. So würden schon jetzt Erhebungen aus der Jugendforschung zeigen, dass die Optionsgesellschaft zu Erschöpfungen und Orientierungslosigkeit geführt hat. „Psychologen berichten von einem dramatischen Anstieg neuer "Grübelkrankheiten", in die man hinein gerät, wenn man sich unaufhörlich selber festlegen muss und keine orientierende Massstäbe mehr besitzt.“ Der individualisierte Mensch würde es allmählich nicht allein als Chance empfinden, kreativ, authentisch und originär sein zu dürfen, sondern oft genug als herrischen Zwang, all dies jederzeit sein zu müssen.

Wichtige Stellung der Kirchen

All diese Faktoren könnten gemäss Franz Walter in naher Zukunft zu einem Comeback des Christentums führen. Zumindest seien die Aggressionen der Gegner christlicher Kirchen erkennbar abgeflaut. Militante Kirchenfeindschaft sei auch unter Intellektuellen kaum mehr anzutreffen. Dazu komme, dass die christlichen Kirchen ihre bedeutende Stellung bei freudigen oder traurigen Wendepunkten des menschlichen Lebens über alle Krisen bemerkenswert zäh hinweggerettet hätten. „Wenn die Menschen in Mitteleuropa heiraten, ihre Kinder in die Welt setzen, ihre Angehörigen zu Grabe tragen, bedienen sie sich nach wie vor dem kulturellen Erfahrungsreichtum der amtskirchlichen Ritenexperten.“ Auch die Professionalität und Organisationserfahrung der Kirchen werde geschätzt und in Notsituationen bevorzugt abgerufen. „Sterben Menschen irgendwo in dieser Welt massenhaft an Hunger, kommen sie unter entfesselten Meeresfluten um, werden sie Opfer von Vulkanausbrüchen oder Erdbeben, dann vertrauen die spendenbereiten Mitteleuropäer in erster Linie den kirchlichen Hilfswerken.“

Mehr als Servicestationen?

Doch mehr als „Servicestationen für überlieferte Rituale und soziale Dienstleistungen“ seien die christlichen Kirchen heute kaum: „Vom missionarischen Eifer der Religion wollen die modernen Bürger weiterhin verschont bleiben.“ So erwarte man von den Kirchen, dass sie sich ihres anstrengenden, provokativen und menschenfischenden Kerns entledigen. Diesem Wunsch hätten sich die beiden christlichen Amtskirchen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts auch stillschweigend gebeugt. „Andererseits erleben wir gegenwärtig, wie sehr sich in den romanischen Ländern, vor allem in mehreren afrikanischen und südamerikanischen Gesellschaften ein erneuertes, vitales, authentisches Christentum massenhaft ausbreitet.“ Auch habe der charismatische neue Papst dem Katholizismus unzweifelhaft neue Schubkräfte verliehen. Ganz auszuschliessen sei also nicht, dass einige der ermüdeten Kirchen durch diese Entwicklungen neu belebt würden.

Viel hängt laut dem Politologen Walter davon ab, wie kräftig die spirituellen Energien und Leidenschaften des institutionalisierten Christentums noch sind. Andererseits sei auch der Wert kirchlichen Dienstleistungen nicht zu unterschätzen: „In einer Zeit, in der verlässliche Grossorganisationen und überindividuelle Strukturen aus wirtschaftlichen Gründen bewusst abgebaut werden, ist die zähe Beständigkeit kirchlicher Dienstleistungen von einigem Wert – gerade auch für diejenigen, die nicht über eigene Mittel und Möglichkeiten verfügen und um die sich Kirchen seit jeher zu kümmern haben: die Bedrängten und Beladenen der Gesellschaft.“

Quelle: Spiegel, Livenet

Datum: 23.01.2006
Autor: David Sommerhalder

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