Die Zürcher Reformierten

Pfarrerkirche im 21. Jahrhundert

Die Zürcher reformierte Landeskirche erhält eine neue Kirchenordnung. Am 26./27. September stimmen die Mitglieder über die Vorlage ab. Bewährtes bewahren, die Erkennbarkeit fördern und dem Gottesdienst Sorge tragen, zugleich die Vielfalt pflegen und Neues ermöglichen: Kirchenrat und Kirchensynode tendieren insgesamt zu einer detaillierten Ordnung in 254 Artikeln. - Einige Punkte im Überblick.
Abendmahl
Kirche und Schloss Uster
Diskussion in der Pause: Die Kirchensynode beriet die Vorlage des Kirchenrats in zehn Sitzungen von September 2008 bis März 2009.
Für neue Initiativen wie das 2008 eröffnete Wipkinger Zentrum für Migrationskirchen bietet die Kirchenordnung Raum.
Saal
Am Wasser gebaut: Grossmünster, Wasserkirche und Rathaus an der Limmat.

„Soviel Freiheit wie möglich, so viele Normen wie nötig", fasste Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich in der Eintretensdebatte die Leitlinien des Kirchenrats zusammen. Bei allem Regeln und Ordnen sei zu bedenken, dass kirchliches Leben nicht durch Gesetze geschaffen werden könne, sondern durch das Evangelium getragen sei.

Jesus „Herr und Versöhner der Welt"

Der theologische Grundlagenteil der Kirchenordnung wurde stark erneuert. Im Artikel 1 wird Jesus Christus als „Haupt der Gemeinde" und „Herr und Versöhner der Welt" bezeichnet. Die Bindung der Kirche an Christus (in der Ordnung von 1967 „einziger Ursprung und Herr ihres Glaubens, Lehrens und Lebens") wird festgehalten in Artitkel 3: „Die Landeskirche ist mit ihren Gliedern allein dem Evangelium von Jesus Christus verpflichtet. An ihm orientiert sich ihr Glauben, Lehren und Handeln."

Teil der weltweiten Kirche

Die neue Ordnung bettet die Zürcher Kirche ökumenisch ein - „Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche" - und erwähnt ihre „Verbundenheit mit den altchristlichen und reformatorischen Bekenntnisschriften". Die Bekenntnisfreiheit (in der Praxis oft Bekenntnislosigkeit) bleibt garantiert; die Pfarrerinnen und Pfarrer geloben bei der Ordination, den Dienst am Wort Gottes „in theologischer Verantwortung und im Geiste der Reformation zu erfüllen".

Eingefügt wurde im Lauf der Beratung der Artikel 6: „Die Landeskirche tritt ein für die Familie, für eine kinderfreundliche Gesellschaft und für das Miteinander der Generationen." Als letzte Schweizer Landeskirche wollen die Zürcher das Stimm- und Wahlrecht für alle Mitglieder, auch jene ohne Schweizerpass, einführen. Bisher verhinderte dies die Bindung an den Kanton.

Erkennbar reformierter Gottesdienst

In den Gottesdienst-Artikeln sticht eine Äusserlichkeit hervor: Pfarrerinnen und Pfarrer tragen künftig „in der Regel" den Talar (Art. 36,4). In der langen Debatte wurde betont, gerade für Reformierte sei es heute wichtig, für Erkennbarkeit zu sorgen.
„Die Predigt ist Auslegung der Heiligen Schrift": Kirchenrätin Irene Gysel plädierte mit Nachdruck für diese kategorische Formulierung. Wie bisher „sind Pfarrerinnen und Pfarrer in der Wahl des Bibeltextes frei". Einen bedeutungsvollen Akzent setzt die Bestimmung, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer „bei der Gestaltung von Gottesdiensten nach Möglichkeit Gemeindeglieder einbeziehen". Im Kirchenjahr soll künftig eine „Schöpfungszeit" begangen werden, wobei die Synode keinen Monat vorgibt.

Mehr Abendmahl

Die theologischen Bestimmungen zum Abendmahl genehmigte die Kirchensynode ohne Diskussion, gemäss der reformierten Tradition: Es „vergegenwärtigt den Bund, den Gott in Jesus Christus mit seiner Gemeinde geschlossen hat", und ist Bekenntnis des Glaubens (Art. 47). Traditionell feierten die Zürcher Kirchgemeinden Abendmahl an den hohen kirchlichen Feiertagen; nun soll es „in der Regel zwölfmal im Jahr" ausgeteilt werden, wie bisher auch am Bettag - ein Zeichen gegen die Entwertung dieses Feiertags.
Trauungen finden in der Kirche statt. Die Pfarrerin kann Ausnahmen machen. Die Konfirmation ist neu auch als Gottesdienst geregelt; sie „nimmt das Ja Gottes auf, wie es in der Taufe zum Ausdruck kommt" (Art. 56,2).

Vier Handlungsfelder

„Diakonie ist tätige Nächstenliebe und Ausdruck gelebten Glaubens" (Art. 60). Auf das Handlungsfeld ‚Gottesdienst und Verkündigung‘ folgen in der Kirchenordnung drei weitere: Diakonie und Seelsorge, Bildung und Spiritualität, Gemeindeaufbau und Leitung (entsprechend den altkirchlichen Begriffen leiturgia, diakonia, martyria und koinonia). Die Synode beschloss nach wiederholter kontroverser Diskussion zur Diakonie, dass der Kirchenrat „sich für den Zugang der Kirchgemeinden zu fachlichem diakonischem Handeln einsetzt". Das von Sozial-Diakonen fachlich verantwortete Handeln geschieht „in Zusammenarbeit" mit Pfarrern (Art. 66).

„Für die Nachfolge Christi gewinnen"

Neuland betritt die Zürcher Kirche mit dem Handlungsfeld Gemeindeaufbau und Leitung. Menschen sollen „für die Nachfolge Christi und seine Gemeinde gewonnen werden". Der erste Absatz des neuen Artikels 86 betont die geistliche Dimension: „Gemeinde wird gebaut durch Gottes Geist, wo Menschen im Glauben gestärkt werden, neue Lebenskraft, Orientierung und Hoffnung finden und ihren Glauben in der Gemeinschaft leben können."

Der zweite Absatz betont die Begabungen der Mitglieder: „Gemeindeaufbau schafft Raum für die Gemeinschaft im Feiern, im Hören auf Gott, im Beten und Dienen sowie im Mitwirken der Mitglieder gemäss ihren Begabungen."

Strategisch leiten?

Kaum ein Thema war so umstritten wie die Leitungsgrundsätze. Die Synode folgte erst ihrer vorberatenden Kommission, die auf straffere Leitung abzielte, um Konflikten vorzubeugen und sie rascher zu lösen. Beim Rückkommen nahm sie schliesslich Kompromissformeln an, die dem Kirchenrat genehm waren. „Kirchliche Leitung erfolgt auf allen Ebenen nachvollziehbar und in theologischer Verantwortung"; zugleich leiten „Behörden und Organe sowie Ämter und Dienste" in „strategischer, operativer oder aufsichtsrechtlicher Hinsicht" (Artikel 87f).

Pfarrwahlen an der Urne

Das Zürcher Pfarramt ist seit der Reformation zentral geregelt. Um der Demokratie und Transparenz willen sollen Pfarrwahlen grundsätzlich an der Urne stattfinden; Kirchgemeinden können Neuwahlen der Kirchgemeindeversammlung übertragen (Art. 124f). Die Synode beschloss, der Exekutive im Grenzbereich zu einer weiteren Stelle (mehr als 2500 Mitglieder in der Gemeinde) Handlungsfreiheit zu belassen: „Der Kirchenrat kann in einer Kirchgemeinde eine Ergänzungspfarrstelle errichten, wenn die Mitgliederzahl dies rechtfertigt oder für die pfarramtliche Tätigkeit besondere Verhältnisse vorliegen" (Art. 118,1). Somit kann der Kirchenrat rund 20 Prozent aller Pfarrstellen zuweisen. Die Aufteilung einer Stelle auf zwei Personen ist möglich (jede mindestens 30 Prozent).

Pfarrer herausgehoben

Theologen werden für ihr Amt ordiniert; für den kirchenmusikalischen, diakonischen und katechetischen Dienst gibt es eine Beauftragung (Art. 134). Stärker als früher gewichtet werden die Beiträge der Freiwilligen: „Die Kirchgemeinden schaffen für die Freiwilligen ein von Wertschätzung, Vertrauen und gegenseitiger Achtung geprägtes Umfeld. Die Verantwortlichen sorgen für entsprechende Rahmenbedingungen. Sie berücksichtigen die besonderen Fähigkeiten der Freiwilligen und fördern und unterstützen diese im Hinblick auf ihren Einsatz" (Art. 141,2).

Kanton, Bezirk, Gemeinde

Wenn die kantonale Ebene der Zürcher Landeskirche im Zug der Entflechtung, etwa mit dem eigenen Personalrecht, deutlich mehr Gewicht bekommt, bleibt doch die Struktur dieselbe: „Die Landeskirche baut auf den Kirchgemeinden auf" (Art. 143,1). Der Bezirksebene misst die neue Kirchenordnung mehr Bedeutung zu. Die Bezirkskirchenpflegen sollen bei Spannungen vermitteln und können aufsichtsrechtliche Massnahmen anordnen (Art. 186). Die Dekane begleiten, beraten und fördern die Mitglieder ihres Pfarrkapitels und sind befugt, sie zu ermahnen (Art. 192).

Mehr Initiativ- und Einspruchmöglichkeiten

Die Kirchenordnung ermöglicht zwölf Kirchgemeinden, einem Drittel der Synode oder 2000 Stimmberechtigten, eine Initiative für eine Änderung der Kirchenordnung einzureichen. Für das fakultative Referendum braucht es 20 Kirchgemeinden und 1500 Stimmberechtigte. Die Kirchensynode tagt künftig vierteljährlich. Die Finanzkompetenzen von Kirchensynode und Kirchenrat werden erhöht, aber nicht im ursprünglich von ihm beantragten Mass. Für Angelegenheiten auf Gemeindeebene wird neu eine kirchliche Ombudsstelle eingerichtet.

Der neue Finanzausgleich „sorgt für eine ausgewogene Steuerbelastung unter den Kirchgemeinden" (Art. 236,2). Die Richtlinien für den Umgang mit Liegenschaften, die der Kirchenrat erlässt, sind für die Kirchgemeinden im Finanzausgleich verbindlich (Art. 243). Pfarrerinnen und Pfarrern, die in einer Kirchgemeinde mindestens 50 Prozent angestellt sind, ist ein Pfarrhaus oder eine Pfarrwohnung zur Verfügung zu stellen.

In allem will die Landeskirche, die „aus dem befreienden Zuspruch Gottes lebt", ihre Verantwortung in der Gesellschaft wahrnehmen, indem sie den Menschen nah ist und sie „in ihrer Vielfalt anspricht" (Art.4f).

Links zum Thema:
Der Text der neuen Zürcher Kirchenordnung
Beratung der Kirchenordnung durch die Synode
Communiqué des Kirchenrats zur Abstimmung

Datum: 18.09.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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