Das Geschenk des Abendmahls

1549 vereinbarten Johannes Calvin und Heinrich Bullinger für ihre Kirchen in Genf und Zürich den „Consensus Tigurinus". Dieser „Zürcher Konsens" sicherte die Gemeinschaft der Reformierten in ihrem helvetischen Ursprungsland.
Christus im Abendmahl gegenwärtig: Pfr. Ruedi Reich zog die Linie von 1549 zu 2009.

Der Zürcher Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich erläuterte am 9. Juni vor der Kirchensynode die grundlegende Bedeutung des Consensus: Er hält das reformierte Verständnis des Abendmahls fest. - Livenet dokumentiert den Vortrag im Wortlaut.

Die Herausgabe des „Consensus Tigurinus" ist der spezifische Beitrag der reformierten Zürcher Kirche zum Calvin-Jubiläum 2009. Die Herausgabe des Originaltextes zusammen mit Aufsätzen, die über Abendmahlslehre und Abendmahlspraxis in Geschichte und Gegenwart nachdenken, erfolgt zusammen mit dem Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte der Universität Zürich...

Am 6. September 2009 findet zusammen mit Verantwortlichen aus Kirche und Staat der Kantone Genf und Zürich ein Abendmahls-Gottesdienst im Grossmünster statt. Dieser ist Zeichen der Dankbarkeit für den von Heinrich Bullinger und Johannes Calvin erzielten Consensus. Der Consensus ist ein Grunddokument der reformierten Kirche.

16. Jahrhundert: Schmerzhafte Verletzungen...

Die Kirchengeschichte ist reich an Auseinandersetzungen, Abgrenzungen und Verletzungen. Die Reformationsgeschichte macht hier leider keine Ausnahme. Die innerreformatorischen Abendmahlsstreitigkeiten sind besonders schmerzlich: Das Mahl der Gemeinschaft mit Christus wurde zum Anlass von Streit und Verketzerung. Dies hat evangelisch-lutherische und evangelisch-reformierte Kirchen über Jahrhunderte getrennt.

Durch diese Kontroverse wurde die reformatorische Bewegung kompromittiert und geschwächt. Kaum zu denken, was geschehen wäre, wenn es zu einer zusätzlichen Spaltung zwischen »Zwinglianern« und »Calvinisten« gekommen wäre. Von daher zeigt sich die grosse Bedeutung des Consensus Tigurinus für die reformierten Kirchen: Zürich und Genf verstanden sich weiterhin als zwei eigenständige Mitglieder der reformierten Familie, aber verbunden durch das gemeinsame reformierte Glaubensverständnis.

...und »versöhnte Verschiedenheit«

Von dieser Einsicht, dass eigenständige Akzente kirchlicher Praxis nicht kirchentrennend sind, führt ein Weg hin bis zur Leuenberger Konkordie von 1973. Die daraus hervorgegangene Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) ist in Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verbunden durch »versöhnte Verschiedenheit«. Zu dieser »versöhnten Verschiedenheit« haben sich die Zürcher und Genfer Reformation mit dem Consensus Tigurinus schon 1549 bekannt.

Und sie haben sie auch persönlich praktiziert. Johannes Calvin besuchte, zum Teil zusammen mit Wilhelm Farel, Heinrich Bullinger verschiedentlich in Zürich. Dazwischen wurde intensiv korrespondiert. Emidio Campi vermutet, dass diese schriftliche Kommunikation einfacher war als die mündliche. Schriftlich und mündlich erfolgte sie auf Latein. Bullinger und Calvin beherrschten diese Gelehrtensprache perfekt. Man konnte so über philosophische und theologische Feinheiten korrespondieren und abwägen. Bullinger konnte aber wohl das stark französisch gefärbte Latein Calvins mündlich nur schwer verstehen. Daher verkehrte man - trotz Besuchen, Begegnungen und Absprachen - primär schriftlich.

Brot und Wein vergegenwärtigen...

Abendmahl: Vergegenwärtigung - nicht nur Zeichen, so könnte man die Akzente im Consensus Tigurinus 1549 und in der Zürcher Kirchenordnung 2009 umschreiben. Beides offensichtlich Grunddokumente der reformierten Kirche. In gut zwinglianischer Tradition sagte die Kirchenordnung von 1967: »Das Abendmahl wird nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes als Zeichen des Bundes begangen, den Gott in Jesus Christus mit seiner Gemeinde geschlossen hat«. Die Kirchenordnung 2009 hält demgegenüber fest: »Das Abendmahl vergegenwärtigt den Bund, den Gott in Jesus Christus mit seiner Gemeinde geschlossen hat. Es ist Bekenntnis des Glaubens und wird gemäss dem Zeugnis des Neuen Testamentes gefeiert.«

Vergegenwärtigt - Bekenntnis: Damit nimmt die Kirchenordnung die beiden Akzente des genuin reformierten Abendmahlverständnisses auf, wie es dem Consensus Tigurinus entspricht. Wer im Anschluss an Zwingli von »Zeichen« redet, steht in Gefahr, missverstanden zu werden, es gehe ihm nur um ein Zeichen. Mit »vergegenwärtigt« wird der Akzent klarer gesetzt: Es geht um die Gegenwart Christi im Vollzug des Abendmahls. Es geht um »sprechende Zeichen«, um »lebendige Bilder«, wie der Consensus sagt.

...Christus im Abendmahl

Mit dieser Betonung der Gegenwart Christi im Abendmahl werden sowohl im Consensus Tigurinus wie in der neuen Zürcher Kirchenordnung urreformatorische Anliegen angesprochen. Der Consensus redet davon, »dass unseren Augen gleichsam lebendige Bilder vorgeführt werden« (Art. 7). Heinrich Bullinger geht im Zweiten Helvetischen Bekenntnis noch weiter, wenn er in Bezug auf das Abendmahl Christus mit der lebensspendenden Sonne vergleicht.

Bullinger sagt: »Der Herr ist nicht abwesend, wenn seine Gemeinde das Abendmahl feiert. Die Sonne ist ja auch weit weg am Himmel, und trotzdem ist sie mit ihrer Kraft bei uns. Wie viel mehr ist Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, obwohl dem Leibe nach abwesend im Himmel, doch bei uns, zwar nicht leiblich, sondern geistlich durch sein lebensspendendes Wirken, wie er selbst bei seinen letzten Mahl erklärt hat, dass er bei uns sein werde (Johannes 14,15-16). Daraus folgt, dass wir nicht ohne Christus Abendmahl halten«.

Dieser Vergleich Christi mit der lebensspendenden und darum gegenwärtigen Sonne ist eine bis heute berührende Aussage, die auf die Präsenz Christi im Abendmahl deutlicher hinweist als philosophische Begriffe. Calvin brauchte dieses Bild schon Jahre zuvor. Dieses bildhafte Reden war beiden Reformatoren wichtig, weil dadurch in einer nicht objektivistischen Art von der Gegenwart Christi gesprochen werden konnte. Die Zürcher Kirchenordnung 2009 steht demnach mit ihrem »vergegenwärtigt« in gut reformierter Tradition und unterstreicht mit dem Stichwort »Bund« ein wichtiges Anliegen Bullingers. Dass der Bundesgedanke nicht nur an einen juristischen Pakt erinnert, sondern das Verbindende und Verbindliche betont, zeigt auch eine Formulierung des Consensus eindrücklich: »Jedoch gibt es Glauben nicht ohne Christus, sondern so weit der Glaube durch die Sakramente bestärkt und vermehrt wird, werden in uns Gottes Gaben bestätigt, und auf diese Weise wächst Christus auf eine gewisse Weise in uns, und wir wachsen in ihm«.

Lebendige Sprachbilder

Christus wächst in uns - wir wachsen in ihm, Christus ist gegenwärtig wie die lebensspendende Sonne: Wer vom Abendmahl redet, kann es nicht nur mit intellektuellen Begriffen tun. Er kommt, wie der Consensus Tigurinus und das Zweite Helvetische Bekenntnis, nicht ohne mystische Sprachbilder aus. Vergleiche aus der Natur, also Kategorien des Lebendigen, und eine mystische Sprache - schön, dass auch der Consensus zeigt, wie dies dem »Geheimnis des Glaubens«, um welches es im Abendmahl geht, angemessener ist als scholastische Begrifflichkeit.

Solches Reden vom Abendmahl ist im Hinblick auf die Eucharistische Gastfreundschaft oekumenisch von Bedeutung. Gut, dass in dieser Hinsicht in der Zürcher Kirche mehr Verbindlichkeit und Eindeutigkeit geschaffen wurde. Die Kirchenordnung 2009 sagt: »Zum Abendmahl ist die ganze christliche Gemeinde eingeladen.« Diese Aussage ersetzt den undifferenzierten Satz in der alten Kirchenordnung: »Zum Abendmahl ist jeder Gottesdienstbesucher eingeladen«.

Keine geschlossene Gesellschaft

Zweierlei betont unsere Kirchenordnung demnach: Die Einladung geht an »die ganze christliche Gemeinde«. Die Abendmahlsgemeinde ist keine »konfessionell geschlossene Gesellschaft«. Wo Christus an seinen Tisch lädt, wo er Gastgeber ist, setzen die Kirchen keine Grenzen. Weil aber das Abendmahl »Bekenntnis des Glaubens« ist, wie die Kirchenordnung betont, kann nicht undifferenziert »jeder Gottesdienstbesucher« eingeladen werden. Hier geht es um eine stärkere Verbindlichkeit. Das Abendmahl ist Christusgemeinschaft, Christusbekenntnis.

Das Abendmahl hat dadurch Geschenkcharakter und Bekenntnischarakter. Es geht darum, dass Christus in uns wächst und wir in ihm, wie der Consensus festhält. An dieses Wachsen in Christus sind wir in dieser Zeit des Kirchenjahres besonders erinnert. Geht es doch auf den Tag Johannes des Täufers zu, auf den 24. Juni. Johannes sagt im Blick auf Christus: »Jener muss grösser werden, ich aber geringer« (Johannes 3, 30). Dieses Grosswerden Christi in uns und unter uns wird uns im Abendmahl geschenkt. Das ist die bleibende Botschaft des Consensus Tigurinus - und der neuen Zürcher Kirchenordnung!

Datum: 12.06.2009
Autor: Ruedi Reich
Quelle: Zürcher reformierte Landeskirche

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