Mennoniten und Amische

„Wenn wir zusammenkommen und uns versöhnen…“

Vergebung und Versöhnung eröffnen eine hellere Zukunft – nicht nur zerstrittenen Menschen, sondern auch getrennten Gemeinschaften und Kirchen. So erleben Amische und Mennoniten in den USA, dass Gott sie miteinander auf neue Wege führt.
Miteinander zu mehr Leben unterwegs: Steve Lapp und Lloyd Hoover.
Viele herzliche Beziehungen: Lisa Sensenig, rechts Janet Keller Richards.
„Der Lehrer der Bergpredigt ist heute unter uns“: Lloyd Hoover
Neue Freiheit, andauerndes Ringen: Steve und Jacob Lapp wurden von ihren Gemeinden ausgeschlossen.
Machtspiele und Manipulation in Täufergemeinden haben manche Familie gegen ihren Willen zerrissen (Szene aus dem Freilichtspiel ‚Wehrlos‘, Dürrenroth).
Sehnsucht nach einschliessender Gemeinschaft und Authentizität: Junge Mennoniten an der Petra-Konferenz 2005.
Herbst in Trachselwald: Mehrere zehntausend Nachfahren der aus dem Bernbiet vertriebenen Täufer…
…leben heute im Osten Pennsylvanias.
Die Gesprächsteilnehmer in Trachselwald: Janet Keller Richards, Lisa und Hershey Sensenig, Jacob und Steve Lapp, Lloyd und Elaine Hoover.
Erneuerungsimpuls: An der Winterthurer Konferenz von 2003 fanden die Amischen um Ben Girod ihre reformierten Brüder und Schwestern.
Zeichen für Vergebung durch Christus: Das Tuch wurde über ein Banner mit dem Bild des Lammes gelegt.

Livenet sprach am Rand des Trachselwald Openair im September mit sieben täuferischen Christen, die sich mit Trennung und Traditionalismus nicht abfinden und im Gebet eine geistliche Umwälzung anstreben.

Verständlich wird das starke Sehnen nach Versöhnung auf dem Hintergrund des zerklüfteten Täufertums in den USA. Lancaster im Ostküstenstaat Pennsylvania ist das zweitälteste täuferische Siedlungsgebiet in den USA; heute leben rund 40‘000 Mennoniten und halb so viele Amische in der Region. Die Vorfahren der ersten Siedler in Conestoga (Ankunft 1710/11) waren aus Zürich vertrieben worden; sie hiessen Kündig, Meili, Funk und Oberholzer. Zu ihnen stiessen bald Berner. Ab 1717 bauten 70 täuferische Familien (unter ihnen Brechbühl, Bruppacher, Burkhalter, Hirschi, Kolb und Nüssli) im Gebiet eine neue Existenz auf.

Getrennt statt miteinander

Heute zählt man über 50 (!) täuferische Gemeindeverbände, Gemeinden und Gruppen in Lancaster. Viele von ihnen lassen keine fremden Pastoren predigen und gehen eigene Wege. Die meisten Spaltungen erfolgten im 20. Jahrhundert bei Streitigkeiten übers Mass der Anpassung an die moderne Welt. „Die Leute zogen die Grenze an verschiedenen Orten“, sagt Lloyd Hoover, einer der 24 Bischöfe der ‚Lancaster Mennonite Conference‘, mit 180 Gemeinden die grösste Täufer-Denomination der Region. Statt der Einladung Gottes zu erneuerter Hingabe zu folgen, hätten sich Gemeinschaften durch eigene Lehren verhärtet, auf gesetzliche Positionen zurückgezogen und voneinander abgeschottet. Denn so konnten Hirten ihre Herde zusammenhalten.

„Was hindert Gott, seinen Geist über uns auszugiessen?“

Täufer wurden vermehrt über ihr Aussehen und die Lebensweise als über ihr Christsein identifiziert. „Wir haben den Blick auf Jesus, der für unsere Vorfahren in der Schweiz alles bedeutete, ein Stück weit verloren“, bilanziert Hoover. Die guten Beweggründe lässt er gelten: „Mit reiner Lehre sollte heiliges Leben gefördert werden.“ Doch hätten die Verantwortlichen dies auf menschliche Weise angegangen und den Gemeinden Vorschriften gemacht. Seit Jahren hat eine Frage Hoover und andere US-Täufern zum Gebet motiviert: „Gibt es etwas, das Gott hindert, seinen Geist auszugiessen über die Täufer, die viel von ihrem ursprünglichen Feuer verloren haben?“

Amische suchen nach der Quelle

Die Amischen, die grösste traditionalistische Gruppe im Täufertum, sind nach Jakob Amman benannt, der sich 1693 von seinen Berner Brüdern und Schwestern trennte – die folgenreichste Spaltung im Täufertum überhaupt. Die sogenannten Old Order Amish verweigern sich, ihrer verfolgten Glaubensväter eingedenk, der modernen Welt und ihrer Technik.

Steve Lapp gehört zu denen, die aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden, weil sie den Vorgaben der Leiter nicht nachkamen. Er und seine Freunde lasen trotz Verbot die Bibel auf Englisch (Amische halten sich bisher allein an ihre alte deutsche Übersetzung) und bildeten eigenständige Gebetsgruppen. Seit dem frühen 20. Jahrhundert sei deutlich mehr Wert auf die überkommene Lehre gelegt und die Herzenshaltung vernachlässigt worden, findet Lapp. „Wenn das Herz in Spiel kam, wurde dies als Bedrohung gesehen und jene, die davon sprachen, des Abweichlertums verdächtigt: dass sie nicht mehr ‚auf die amische Art glauben‘.“

Zur Gemeinschaft zurückfinden

Lange haben sich in der Wahrnehmung des jungen Mannes aus Pennsylvania viele Amische an das gehalten, was man ihnen sagte; „sie suchten irgendwie damit klarzukommen, ohne mit dem ganzen Herzen dabei zu sein.“ Doch in den letzten Jahren hätten mehr und mehr Amische unter 40 erkannt, dass die Gemeinschaft zur Bibel zurückkehren muss, zu Gebetsversammlungen und dem Vorbild der frühen Väter, das durch die letzten 60 Jahre verstellt wurde. „Der Geist der Spaltung, der Kontrolle und Manipulation muss als Unkraut erkannt und entfernt werden. Es geht darum, dass wir wieder zur Zusammenarbeit und Gemeinschaft finden, als Teil des Leibes von Jesus, nicht als einzelne Gruppe, die der Leib zu sein beansprucht.“

„Der Lehrer der Bergpredigt ist heute unter uns“

Für Lloyd Hoover geht es nicht darum, „dass wir Täufer, Amische oder Mennoniten werden. Wir wollen Christus nachfolgen, der das Haupt der Kirche ist, und leben, wir er uns lehrt. Wir wollen ihn im Zentrum haben und uns dem Werk seines Geistes unter uns heute öffnen. Darum geht es, nicht um kirchliche Identität.“ Und er fügt an: „Der Lehrer, der die Bergpredigt hielt, ist nicht tot. Er ist heute unter uns. Er ruft uns, ihm zu folgen, wie an jedem Tag in der Vergangenheit.“

Den Aufbruch unter Amischen bremst der tief verwurzelte Traditionalismus: „Das Alter wird in den Amisch-Gemeinschaften wohl mehr respektiert als die Wahrheit.“ Steve Lapp hält sich indes an die Worte von Jesus. Er habe versprochen, „dass sein Geist uns in alle Wahrheit leitet und dass uns diese Wahrheit frei macht. Um frei zu sein, brauchen wir alle Wahrheit. Ich glaube, dass verschiedene Gruppen je einen Teil der Wahrheit haben. Wenn wir zusammenkommen und uns versöhnen, zeigt sich die Wahrheit in ihrer Fülle. Das ist besser, als an einem Teil der Wahrheit zu hängen und in eine Richtung zu gehen.“

Was der Geist Gottes tun kann

Hoover ist überzeugt: „Wahre Versöhnung in der Kirche von Christus wird nur dann geschehen, wenn wir uns der Leitung des Heiligen Geistes überlassen. Allein er kann uns zusammenführen und uns die Augen dafür öffnen, dass wir einander brauchen, dass wir Brüder und Schwestern sind. Er will uns auch die Augen öffnen, dass wir sehen können, wie er als Vater anerkannt sein will.“

Diese Perspektive lässt keinen Raum mehr für Selbstinszenierungen: „Wie wollen wir Gott nahe sein und seinem Geist widerstreben? Der Vater ist unter uns gekommen durch seinen Geist, und wenn wir ihm widerstreben, widerstreben wir in Tat und Wahrheit Gott selbst. Wenn wir den Geist in unserem Herzen wirken lassen, wird er uns zeigen, was unseren Beziehungen und seinem aufbauenden Wirken im Weg steht. Dann werden wir den Anteil sehen, den Amische, Mennoniten und Reformierte am Bau von Gottes Reich haben.“

Beiträge von Schweizer Reformierten

Zur Gebetsgruppe von Lloyd und Elaine Hoover gehört seit Jahren Janet Keller Richards. Ihr liegt die Aufarbeitung von seelischen Verletzungen und Verhärtungen im US-Täufertum am Herzen; davon handelt ihr Buch „Unlocking Our Inheritance“ (Unser Erbe aufschliessen). Keller Richards berichtet, dass nach der Petra-Versöhnungskonferenz im April 2005 amische und mennonitische Beter übereinkamen, wieder füreinander zu beten und mit einem Bund (covenant) die von Jakob Amman 1693 vollzogene Trennung aufzuheben.

„In einem weiteren Treffen wurde die Gemeinschaft von Amischen und Mennoniten, die im Heiligen Geist vorwärts gehen wollen, in einem Bund neu besiegelt. Das waren bedeutsame Schritte, wie es sie bisher nicht gegeben hatte.“ Janet Keller Richards übt sich in Geduld; der Erneuerungsprozess komme „langsamer voran, als wir dachten“. Den Schritten, welche Schweizer Reformierte auf die Täufer zu getan hätten (Winterthurer Konferenz 2003, Zürcher Begegnungstag Reformierte-Täufer 2004, Petra-Konferenz in New Holland 2005), misst sie beträchtliche Bedeutung zu. Die Autorin hofft, dass vor diesem Hintergrund Täufer aus den USA und Europa einander näher kommen.

Vergebung nach dem Massaker von Nickel Mines

Schlagzeilen machte im Oktober 2006 das Massaker in der Amish-Schule von Nickel Mines in der Nähe von Lancaster. Fünf Schülerinnen wurden erschossen. Mitglieder der Gemeinde suchten die Witwe des Mörders, der sich selbst richtete, auf, umarmten sie, riefen zu einer Spendenaktion für sie und ihre drei Kinder auf und erschienen auch zu seiner Beerdigung. Laut Steve Lapp hat der Wille zu vergeben, der weltweit für Aufsehen sorgte, besonders bei jungen Amischen Spuren hinterlassen. „Sehr viele haben sich gefragt: Sind wir wirklich so bereit zu vergeben, wie es der Welt gegenüber dargestellt wurde? Und sie haben sich vorgenommen, ihre Mitchristen, die aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden, nicht mehr zu meiden (was zur amischen Gemeindezucht gehört; Red.). Viele Gebetsversammlungen sind in diesem Jahr entstanden und laufen weiter.“

Die amischen Bischöfe (Gemeindeleiter) wüssten nicht, wie sie darauf reagieren sollen, sagt Lapp. Denn was könne an Gebetsversammlungen falsch sein? Immer noch würden Amische deswegen ausgeschlossen. Die Bischöfe seien herausgefordert: „Sie müssen sich klar werden, ob sie wirklich ihren Leuten das selbständige (englische) Bibellesen und Beten verbieten wollen.“

Vergeben – wie weit ein Konflikt auch zurückliegen mag

Laut Lloyd Hoover kann die Bedeutung von Vergebung kaum überschätzt werden. „Zum einen sehen Täufer heute ein, dass Vergebung gewährt werden und etwas bewirken kann zwischen Parteien, die sich auf Geschehnisse vor Jahrhunderten bezieht. Dies hat quer durchs Täufertum, auch bei Amischen, Aufmerksamkeit gefunden. Man wurde der Kraft und Bedeutung der Vergebung ganz neu gewahr.“

Dass 20 reformierte Pfarrer aus der Schweiz 2005 an der Petra-Konferenz Reue ausdrückten und um Vergebung baten, habe bei Tausenden, die nicht anwesend waren, tiefen Eindruck gemacht. „Es löste in ihren Herzen das Verlangen aus, auch auf anderen Spannungsfeldern, die nicht 475 Jahre alt sind, Vergebung zu praktizieren. Diese Menschen haben gemerkt: Wie weit ein Konflikt auch zurückliegt – wir brauchen Vergebung. Wir Christen haben in einem Geist der Vergebung zu leben.“ Hoover denkt, dass diese Botschaft um die Welt gehen wird.

Heilung für uralte Wunden

Hoover ist mit amischen Leitern im Gespräch. Immer wieder gehe es dabei um Vergebung. „Es bewegt sie tief, dass sich hier in der Schweiz nach Jahrhunderten etwas getan hat. In den Gemeinden herrschte bisher die Neigung vor, vergangene Konflikte zu begraben und in die Zukunft zu blicken. Aber der Herr ermöglicht nun in diesen Tagen, dass wir mit einem Herz der Vergebung alte Angelegenheiten aufarbeiten und Heilung finden für die Wunden, die wir einander zugefügt haben.“

Darin sieht der Mennoniten-Bischof aus Lancaster die Bedeutung der letzten Jahre: „Der Herr setzt Gnade frei, dass wir uns einander zuwenden, merken, dass wir einander wehgetan haben, und einen neuen Anfang finden können. Jesus hat uns den Weg der Vergebung gezeigt. Er ist die einzige Grundlage für wahre Vergebung. Er lehrte sie und lebte sie vor.“ Steve Lapp fügt an, dass ohne Vergebung Versöhnung an der Oberfläche bleibt.

Träume und Erscheinungen

Hoovers Frau Elaine hätte sich so warme, herzliche Beziehungen zu amischen Brüdern und Schwestern nie träumen lassen. Auch Hershey Sensenig staunt über das grosse Interesse bei Amischen. Seit Petra seien viele neue Beziehungen geknüpft worden. Lisa Sensenig nimmt zahlreiche individuelle Durchbrüche wahr. „Durch das Wirken des Heiligen Geistes in Vergebung und Versöhnung hören mehr Christen die Stimme des Herrn. Prophetische Stimmen kommen auf. Wir dienen einem Gott, der immer noch zu seinen Kindern sprechen will. Sie hören Gott zu sich reden, wie es vorher nicht geschah, namentlich in Träumen und Bildern. Dies weckt einen Hunger und Durst nach mehr vom Herrn.“

Damit wird das Korsett der Konformität aufgebrochen, die laut Sensenig für die konservativeren Gruppen bisher bestimmend war. „Eine über 70-jährige Mennonitin besuchte mich und erzählte mir, ihr sei Jesus Christus in einer Vision begegnet. Dabei wurde sie von seiner Gnade überwältigt. Er sagte ihr in der Vision, sie solle sich auf Erweckung vorbereiten.“

„Wir liessen zu, dass Furcht uns trennte“

Offenheit für einen geistlichen Aufbruch hat Lloyd Hoover auch an den letzten nationalen Konferenzen der neugebildeten Mennonite Church USA gespürt. Seine „Die Furcht, die uns voneinander fernhielt und stärker prägte, als wir uns eingestanden, ist weg. Wir hatten zugelassen, dass Furcht uns trennte und Spaltungen in der Kirche verursachte. Wegen Furcht blieben wir auf Distanz, überlegten uns genau, wie wir auf dies und das reagieren würden. Nun ist uns bewusst geworden, dass wir uns auch vor dem Wirken des Heiligen Geistes fürchteten. Der Herr zeigt uns, dass wir ihm vertrauen und dem Heiligen Geist Raum geben dürfen. Dies geschieht quer durch die täuferischen Gemeinschaften – es geht nicht darum, charismatisch zu sein. Offenheit für den Geist Gottes, seine Gegenwart unter uns, Bereitschaft, ihm zu folgen, heute – darum geht es.“

Berichte von der Petra-Versöhnungskonferenz 2005:
Täufer und Reformierte: Schritte der Heilung – und Freude bricht auf
Väter und Söhne brauchen einander, in der Kirche wie in der Familie

Bericht vom Zürcher Begegungstag Reformierte – Täufer

Website der Lancaster Mennonite Conference www.lanmenconf.org

Zürcher Website über Beziehungen Reformierte – Täufer

Was Amische und Reformierte gemeinsam haben – Erlebnisse in Pennsylvania

Datum: 12.10.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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