Jürg Buchegger

Die Erneuerung des Menschen

Mit dem Begriff „Erneuerung“ lässt sich gut werben. Wer wünscht sich nicht in dieser Welt und erst recht privat eine grundlegende Veränderung zum Guten oder wenigstens eine Besserung?
Jürg Buchegger

Der Ostschweizer Theologe Jürg Buchegger, Pastor der Freien evangelischen Gemeinde in Buchs/SG, hat für seine Studien zum Thema den Johann-Tobias-Beck-Preis 2005 erhalten. Der Preis wurde an einer Studienkonferenz in Bad Blankenburg (Thüringen) überreicht. Buchegger schildert im Folgenden, was der Apostel Paulus mit dem Wort „Erneuerung“ meint.

Auch im christlich-evangelikalen Jargon wird „Erneuerung“ als positives Schlagwort verwendet: in der Seelsorgeliteratur und –praxis (Erneuerungs-Konferenzen) und im Gemeindebau (Stichwort „charismatische Erneuerung“).

Das deutsche Wort „Erneuerung“ gibt allerdings nur unzureichend wieder, was der Apostel Paulus mit der „Erneuerung des Menschen“ (2. Korinther 4,16; Römer 12,2; Epheser 4,23; Kolosser 3,10 und Titus 3,5) meint. Das beginnt schon damit, dass man bei „Erneuerung“ an einen Gegenstand oder Zustand denkt, der veraltet ist und deshalb „erneuert“ werden sollte.

Erneuert wird – der neue Mensch!

Paulus aber sagt ausdrücklich, dass es der „neue [Mensch ist], der erneuert wird…“ (Kolosser 3,10)! Was versteht die Bibel also unter „Erneuerung des Menschen“?

In meiner Doktorarbeit habe ich die oben genannten fünf Bibeltexte eingehend untersucht. Dabei ging ich von der Beobachtung aus, dass das griechische Wort für Erneuerung/erneuern (anakainosis/anakainoo) mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit eine Wortneubildung des Paulus ist. Es ging darum, durch detaillierte Forschungsarbeit wenigstens ein bisschen Licht in die Begriffsverwirrung rund um die „Erneuerung“ zu bringen. Die Ergebnisse lassen sich in folgenden fünf Punkten zusammenfassen:

1. Erneuerung ist Teil breiter Neuheitsthematik

Wer das Neue (!) Testament liest, dem wird auffallen, dass trotz tiefster Verwurzelung im Judentum und im Alten Testament mit dem Kommen des Christus Jesus etwas Neues angebrochen ist. Interessanterweise knüpfen Jesus und die Apostel dabei begrifflich bei prophetischen Aussagen des Alten Testaments an: Jesus selbst spricht vom „Neuen Bund“ (Jeremia 31) und neuen Gebot.

Insbesondere seit der Ausgiessung des Heiligen Geistes an Pfingsten und speziell durch Paulus werden die Ausdrücke „Neue Schöpfung“ (Jesaja), „neuer Mensch“ (neuer Geist/Herz; Hesekiel 36) und „Erneuerung“ geprägt. Johannes greift „neues Lied“ (Psalmen), „neues Jerusalem“ und „neuer Himmel und neue Erde“ (Jesaja) auf. Dabei geht Paulus einen besonderen Weg, indem er die Neuheitsthematik begrifflich sehr präzise formuliert und dabei auch ein neues Wort hervorbringt.

2. „Erneuerung“ ist Konzentratwort des Paulus

So wird zum Beispiel das „Ausziehen des alten Menschen“ und „Anziehen des neuen Menschen“ bei Paulus zum Bild für das Christ-Werden. Der Begriff „Erneuerung“ allerdings (in Epheser 4,23 aus stilistischen Gründen ein griechischer Parallelbegriff mit gleicher Bedeutung) wird von Paulus in 2. Korinther 4,16 (einige Jahre früher geschrieben) sozusagen kreiert.

Der Grund dafür liegt in seinem Bestreben, in diesem zusammenfassenden Satz parallel zum Verb „zugrunde gehen“ ein Tätigkeitswort zu benutzen, dass all das zusammenfasst, was er in den vorangehenden Abschnitten ausführlicher beschrieben hatte:

„Darum werden wir nicht unwillig, sondern wenn auch unser äusserer Mensch zugrunde geht, so wird doch unser innerer [Mensch] von Tag zu Tag ………………“

Welcher Begriff könnte konzentriert das zusammenfassen, was er insbesondere am Ende des vorletzten Abschnittes (3,18) so formulierte: „Wir werden aber alle, mit aufgedecktem Angesicht – die Herrlichkeit des Herrn anschauend – umgestaltet nach demselben Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Herrn, den Geist.“

Schon dieser Satz war ja äusserst konzentriert und enthält eine Fülle von gewichtigen Aussagen: Durch das Rettungswerk von Jesus Christus und das Wirken des Heiligen Geistes dürfen jetzt die Christusnachfolger in unverstellter Gemeinschaft mit Gott selbst leben. Das im Unterschied zum bisherigen „alten“ Bund, in dem sogar Mose Gott nur mit verdecktem Gesicht begegnen durfte.

Christusgläubige werden durch die von Gott ausgehenden Kräfte („Herrlichkeit“ im Sinn des Alten Testaments) umgestaltet in das, was Gott ursprünglich beabsichtigte: Durch diesen Vorgang werden Christen fähig, Gott zu „verherrlichen“, das heisst: ihn mit ihrem Leben zu ehren.

Diesen ganzen Vorgang will Paulus also hochkonzentriert in ein einziges Wort fassen. Das gelingt ihm nur mit Hilfe einer Wortneuschöpfung: „…wird doch … von Tag zu Tag erneuert!“

3. Erneuert wird, wer neu geworden ist

Damit ist deutlich geworden, dass „Erneuerung“ ein Vorgang ist, der denen gilt, die bereits durch Umkehr und Glauben „neue Menschen“ oder „neu geschaffen“ (2. Korinther 5,17) wurden. So verwendet Paulus den Ausdruck konsequent auch an den übrigen Stellen und es kann nicht erstaunen, dass wir in Kolosser 3,10 sogar lesen: „und [ihr] den neuen [Menschen] angezogen habt, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat…“

Es ist der „neue Mensch“, der erneuert wird. „Erneuerung“ ist also nicht mit der Neuschöpfung oder der Wiedergeburt (vgl. Titus 3,5) gleichzusetzen. Die beiden geistlichen Vorgänge folgen organisch aufeinander. Der systematische Theologe würde sagen: „Neuschöpfung/-werden“ ist die Rechtfertigung, „Erneuerung“ die Heiligung.

4. Erneuerung ist Umgestaltung des Christen

Bereits in den Korinthertexten wurde deutlich, was dann in Römer 12,2 eng beieiander steht: „… passt euch nicht diesem Zeitalter an, sondern lasst euch umgestalten [durch] die Erneuerung des Sinnes…“

Auch hier befinden wir uns an einer Konzentratstelle (Römer 12,1-2 ist sozusagen das Scharnier zwischen den beiden Hauptteilen des Römerbriefs!). Entscheidend ist für unsere Thematik, wie das Umgestalten mit der Erneuerung zusammenhängt. Sprachlich gesehen kann sowohl „lasst euch umgestalten, das heisst: euren Sinn erneuern“ oder aber „lasst euch umgestalten durch die Erneuerung des Sinnes“ (die Erneuerung ginge hier der Umgestaltung voran) übersetzt werden.

Der Vergleich von 2. Korinther 3,18 mit 4,16 hat aber bereits gezeigt, dass Paulus mit der „Erneuerung“ den Vorgang meint, der unter anderem auch mit „Umgestaltung“ umschrieben werden kann. Mit anderen Worten: Die beiden Ausdrücke beschreiben im Grunde denselben Vorgang. Einziger Unterschied: „Erneuerung“ geschieht an allen Stellen betont durch Gott, Jesus, den Heiligen Geist. Unterstrichen ist Gottes Aktivität und die Passivität des Menschen, also Gnade und Glauben.

Andererseits macht gerade Röm 12,2 deutlich, dass die Umgestaltung auch eine Forderung an den Christen ist: Das Verb steht hier in der Befehlsform. Allerdings in der Befehlsform Passiv (= jemand tut es an Dir)! Das ist biblische Theologie bis in die Sprachform hinein: Der Mensch ist aufgefordert – und Gott ist es, der das Wollen und Vollbringen wirkt.

5. Erneuerung geschieht in der Lebensverbindung mit Jesus

Fragen wir uns zum Schluss, wie „Erneuerung“ und „Umgestaltung“ des christlichen Menschen ganz praktisch gefördert kann und geschieht. Die untersuchten Stellen betonen hier zuerst das Handeln Gottes am Menschen durch den Heiligen Geist. Christbleiben ist wie Christwerden ein Gnadengeschenk, das allein durch den Glauben verwirklicht wird.

Die Erneuerung und Umgestaltung des Menschen geschieht nicht „schmerzfrei“, sondern trotz Anfechtung und Leid. Zur Erneuerung gibt es keine seelsorgerlichen Kniffe oder glaubensmässige Abkürzungen. Erneuerung bleibt auch ein lebenslanger Prozess, der bis zur Ankunft der „neuen Welt“ andauert.

Wer allerdings „Gott in seinem Leben machen lässt“ und sich täglich angeschlossen an die Kraftquellen Gottes seinem Licht aussetzt, der wird fähig, in dieser zerfallenden Welt ein Leben nach den Massstäben Gottes zu führen.

Die täglichen Erneuerungskräfte werden dem Christen geschenkt in der engen Lebensverbindung mit Jesus in guten und schlechten Tagen. Das ist für Bibelkundige im Grunde keine „neue“ Wahrheit, aber Paulus fasst sie in neuen Worten zusammen. Und er betont dabei besonders stark, dass auch die Jesus-Nachfolge aus Gnade gelebt werden muss.

Autor: Jürg Buchegger

Datum: 18.09.2005
Quelle: Livenet.ch

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